Wir wollen wieder zurück Richtung Norden. Unsere Zeit in Polen geht langsam zu Ende und wir müssen uns auf den Weg zur Grenze nach Litauen machen. Der größte Ort, der für uns auf dem Weg dorthin liegt ist Białystok. Zwar hatten wir bisher nicht viel Gutes über die Stadt gehört – in Warschau wurde sie uns als langweilig, hässlich und daher weniger sehenswert beschrieben – dennoch wollen wir uns von den Vorurteilen der Städter nicht abschrecken lassen und suchen uns eine Unterkunft bei einem Polen in unserem Alter. Die ca. zweistündige Fahrt von Hajnówka nach Białystok verbringen wir in einem kleinen Bus, der uns wieder durch wunderschöne Landschaften trägt. Überall sehen wir die anmutigen Storche auf ihren viel zu dünnen Beinen in ihren Nestern stehen oder durch die Felder starksen, immer auf der Suche nach einem kleinen Grasfrosch, von denen es hier so viele gibt. Die Sonne scheint auf Hafer-, Roggen- und Weizenfelder und es fühlt sich richtig an wie Sommer. Für die 60 km Fahrt zahlen wir jeder umrechnet 2 €.

Marek empfängt uns unglaublich herzlich und neugierig in der kleinen aber feinen Vier-Zimmer-Wohnung seiner Eltern, die wir zu Fuß, mehrere Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt in einer Plattenbausiedlung finden. Schnell lernen wir die zwei orangefarbenen Hauskatzen, die unterschiedlicher nicht sein können, kennen: Bennek, ein im Wald ausgesetzter und seit dem über drei Jahre hinweg zu einem stattlichen Stubentiger herangefütterter Tyrann, und Chanel, eine in die Jahre gekommene Langhaarkatze, die im Schrank schläft und Küchengerüche liebt. Bennek ist an einer Katzenleine befestigt, die ihn davor schützt, sich vom Balkon zu stürzen und Chanèl vor seinen gewaltätigen Übergriffen bewahrt.

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Bennek verflucht seine Leine

Wenig später treffen Mareks Eltern ein: Ein stattlich gebauter Vater, der mit seinem Sohn schon den Pilgerweg nach Santiago de Compostela gelaufen ist und uns stolz Fotos von diesem Erlebnis zeigt, und eine liebenswürdige Mutter, deren Fürsorge sich noch herausstellen wird. Sofort werden wir gefragt ob wir Hunger haben. Klar! Wir bekommen gebratene Hähnchenschnitzel mit gekochten Kartoffeln und Gurkensalat serviert. Alles ist super lecker und so essen wir uns richtig satt. Doch zum Nachtisch gibt es noch selbstgebackenen Streuselkuchen mit Quarkcreme und Aprikosen. Außerdem gibt es Bier und einen leckeren Karamell-Likör aus Estland. Für jedes Bein einen, mindestens, denn auf einem Bein kann man ja nicht stehen! Mareks Mutter lernt seit einiger Zeit Englisch und sie zeigt sich mutig, stellt sich mitten ins Wohnzimmer vor uns hin und erklärt uns stolz: „I am mother of four sons!“ Die Worte kommen stockend aber immerhin – wir verstehen sie. Und sie erklärt uns noch mehr: Ihr ältester Sohn ist Reporter und war beruflich bereits in Afghanistan und im Irak, ihr zweitältester arbeitet in Warschau mit Computern, die zwei jüngsten sind Zwillinge, der eine lebt in Dublin, der andere, Marek, bei ihr. Von Marek erfahren wir, dass der Bruder, der mit Computern arbeitet, eine Brille trägt. Es gibt jedoch ein Wundermittel in Polen, das gegen schlechte Augen helfen soll: grüne Bohnen namens Bób (gesprochen wie englisch „boob“). Wir sind fasziniert – diese Bohnen müssen wir unbedingt probieren!
Der Abend wird gesprächig und lang. Müde bringt uns Marek irgendwann in das alte Appartment der Eltern, das normalerweise vermietet wird, zur Zeit jedoch leer steht. Wir haben ein Zwei-Zimmer-Appartment für uns alleine!

Am nächsten Morgen um zwölf bekommen wir Besuch von einem weiteren Paar aus Deutschland: Flavia und Oskar, zwei Studenten, die sich während ihres Erasmus in Łódź kennengelernt haben. Wir haben zwar gerade erst gefrühstückt aber Marek packt uns vier sofort wieder ins Auto, einen weinroten, 26 Jahre alten Mercedes 190D, und fährt uns zur Wohnung der Eltern.

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Auf der Couch mit Oskar: Noch sind wir hungrig…

Dort wartet bereits ein reichhaltiges polnisches Mittagessen auf uns: Zunächst gibt es eine klare, etwas säuerliche Suppe in der irgendein grünes, in dünne Streifen geschnittenes, Gemüse schwimmt, sowie in Viertel zerteilte gekochte Eier. Im Anschluss gibt es mit Hackfleisch gefüllte Kartoffelklöße über die wir ausgelassenen Speck gießen und geröstete Zwiebeln streuen. Mmhh… Dazu essen wir gedünsteten Brokkoli. Danach sind wir ziemlich satt! Zum Nachtisch gibt erst eine Wurstplatte mit Gurkenstreifen, dann eine Käseplatte mit Brot und dann einen kräftigen Pflaumenwodka! Gefüllt bis oben hin sitzen wir wieder lange zusammen, quatschen und trinken von dem leckeren Likör – für jedes Bein einen…und dann noch mal für jeden Arm einen.. und ok, einen noch für den Kopf!
Und als wären wir noch nicht voll genug, bringt uns Mareks Mutter plötzlich köstliche Piroggi – selbstgemachte Maultaschen mit Blaubeerfüllung – ins Wohnzimmer. Alles Stöhnen und Ächtzen hilft nix, die Dinger sind so lecker, wir essen unsere Teller leer!

Am Nachmittag zeigt uns Marek seine Heimatstadt. Białystok ist gar nicht so langweilig und hässlich wie es uns beschrieben wurde: es gibt viele schöne Kirchen – Marek nennt die Stadt liebevoll „Saint City“ – man spürt den weißrussischen Einfluss – ca. 40 % der Einwohner in Bialystok sind orthodox – und so wird der Anblick von Zwiebeltürmen mit schiefen Kreuzen drauf für uns langsam normal. Wir schlendern durch eine süße Innenstadt und besuchen auf der „Allee für Verliebte“ einen Park mit Springbrunnenshow.

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Branicki Palast in der Innenstadt von Białystok

Abends gibt es wieder selbstgemachte Pizza (die hatten wir schon geplant, bevor wir wussten was für eine kalorienreicher Tag das werden würde!). Diesmal sind wir die Köche, bzw. Pizzabäcker und unseren Gästen scheint es zu schmecken – sie essen zusammen alles auf was wir aus dem Ofen holen!

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Pizzabäcker bei der Arbeit

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Chanel liebt die Küche!

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Von rechts: Marek mit Bennek, Mutter Stasia und Vater Leszek, Flavia und Oskar. Alle satt!

Müde und vollgefuttert fallen wir spät abends in unsere Betten. Wir sind alle ganz hin und weg von dieser Fürsorge und wissen gar nicht was wir sagen sollen. Flavia und Oskar verabschieden sich schon früh am nächsten Morgen von uns. Sie wollen den Tag in Białowieza verbringen. Wir bekommen um zwölf nochmal Besuch von Mareks Eltern, von denen wir uns eigentlich nur verabschieden wollten und ihnen den Wohnungsschlüssel übergeben wollten, bevor wir um 13 Uhr unseren Zug nach Ełk nehmen. Wir hätten es besser wissen sollen! Natürlich kommen die Eltern mit einem Topf voll dampfender Kartoffeln und einfach genial schmeckenden gebratenen Frikadellen, wie wir sie noch nie gegessen haben, in die Wohnung und verköstigen uns erstmal bevor sie uns zum Bahnhof bringen, uns beim Ticketkauf helfen und uns dann auch noch aufs Gleis bringen.

Zum Andenken hat uns die Mutter ein paar liebe Wünsche auf Englisch in unser Reisebuch hinterlassen. Eine wunderbare Erinnerung!

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