Es gießt aus Strömen. Orientierungslos laufen wir durch das verwinkelte Bahnhofsgebäude und finden eine Wartehalle, in der wir uns niederlassen. Hier wollen wir nun warten bis sich Chris, unser österreichischer Couch Surfing Gastgeber in Irkutsk, bei uns meldet, spätestens aber bis neun.

Um fünf Uhr morgens herrscht draußen noch schwarze Nacht, die Menschen sehen müde aus und der Regen fühlt sich besonders kalt an. Wir kramen unser Netbook hervor und suchen nach einer Internetverbindung. Tatsächlich gibt es eine: Über dem Wartesaal scheint es ein Stundenhotel zu geben, in dem Reisende sich die Nacht um die Ohren schlagen können. Die Internetverbindung ist ungeschützt. Damit das Signal ausreichend stark ist müssen wir jedoch bis vor den Eingang der Schlafstätte und setzen uns dort auf die obersten Treppenstufen. Natürlich dauert es nicht lange bis wir entdeckt werden. Eine Russin mittleren Alters mit halb herausgewachsener blonder Dauerwelle baut sich grimmig dreinschauend mit einem Wischer ausgerüstet hinter uns auf. Als wir zu ihr aufschauen schüttelt sie nur missbilligend den Kopf: „Internet?“, fragt sie mürrisch. Als wir nicken, schüttelt sie nur noch nachdrücklicher den Kopf und zeigt mit der typischen Geste, dass wir das erst bezahlen müssen.

Geknickt ziehen wir uns zurück. Heute morgen gibt es kein Internet für uns.
Die Stunden vergehen zäh. Neben uns quartiert sich eine alte Babuschka eingehüllt in diverse Röcke und Jacken ein, die Haare mit einem Kopftuch bedeckt und streckt die Füße über ihren vielen Plastiktüten aus. Der Typ hinter uns hat den Kopf weit zurück gelehnt und beschallt die Halle mit seinem durchdringenden Schnarrchen. Eine junge Familie tröstet ihre zwei kleinen Kinder. Die Leute sehen hier schon ein bisschen anders aus, fällt mir auf. Zwar sehen wir noch immer die „typisch russischen“ Gesichter, doch nun mischen sich immer mehr asiatisch und mongolisch aussehende darunter. Die Hautfarbe wird etwas dunkler, die Haare schwärzer und die Figuren zierlicher.

Unser Chouch Surfer meldet sich einfach nicht. Um halb neun beschließen wir einfach aufzubrechen. Zum Glück haben wir seine Adresse und können so den Weg mit Tram und zu Fuß allein bewältigen. Die Tram ist schonmal ein Abenteuer: Die Tür ist eher ein Tor, das sich geräuschvoll öffnet, sobald der Ein-Waggon-Zug zum Stehen kommt. Im Innern sind die Fenster nass beschlagen und es gibt zwar einen breiten Gang dafür aber auf jeder Seite immer nur einen Sitz. Eine Frau schaukelt mit einem kleinen Rechenautomat ausgerüstet durch die holprige Bahn und kassiert 12 Rubel pro Person und Fahrt.

Chris‘ Wohnung zu finden ist nicht schwer. Doch hineinzukommen stellt sich als eine Geduldsprobe heraus. Mehrmals klingeln wir bei seinem Appartment. Dann hören wir eine Stimme durch die Sprechanlage, die gebrochen Englisch spricht. Vielleicht sein Mitbewohner? Wir fragen nach Chris, doch nichts geschieht. Wieder warten wir frierend im nasskalten Morgen – zum Glück hat der Dauerregen aufgehört. Wieder klingeln wir, dann summt plötzlich der Türöffner und wir sind drin. Wir fahren in den 7. Stock und stehen wieder vor verschlossener Tür. Wir klopfen, klingeln, dann geht die Tür auf. Ein verschlafener Typ steht vor uns, entschuldigt sich, dass er nicht wusste wie die Tür zu öffnen sei. Nein Chris sei er nicht, aber Walter. Wir treten ein, da kommt Chris aus seinem Schlafzimmer, zieht sich schnell noch ein T-Shirt über und reibt sich verschlafen die Augen. „Haben wir Dich geweckt?“, fragen wir, er nickt heftig, „oh Tschuldigung!“. Naja, wir wollen uns ja sowieso gleich wieder hinlegen. Wenn nicht unsere Couch besetzt wäre… Walter, Italiener auf Reisen, war die letzte Nacht mit Chris um die Häuser gezogen, sie hatten „eine total verrückte Nacht“, hatten wunderschöne Mädels kennengelernt und mit denen die Nacht in der russischen Banya (Sauna) verbracht und waren erst um 7 Uhr morgens wieder nach Hause gekommen (Ha! Um die Zeit hatten wir ja schon 2 Stunden am Bahnhof rumgesessen und gewartet…). Demensprechend übernächtigt sind die beiden heute morgen. Chris fällt sofort wieder in sein Bett, Walter macht es sich auf „seiner“ Couch gemütlich, wir wissen nicht was wir denken sollen. Verzweiflung macht sich breit. Erstmal ein Müsli essen. Wir überlegen einfach wieder zu gehen und uns ein Hostel zu suchen. Doch zum Glück hat Walter Mitgefühl und räumt die Couch für uns. Er zieht sich auf seine Isomatte zurück, wir duschen erst dann schlafen wir sofort auf der schmalen Couch ein.

Zwei Stunden später werden wir von Chris geweckt. Er hat einen Termin in der Stadt und wir müssen mit ihm die Wohnung verlassen. Also geht es wieder raus, in den Regen. Mit der Tram in die Stadt und da ein bisschen rumlaufen. Irkutsk ist eine wilde Mischung aus halb im Boden versunkenen traditionellen Holzhäusern mit detailreich verzierten Giebeln und Fensterläden auf der einen und modernen Betonbauten, die nicht selten fünfstöckig sind oder mehr auf der anderen Seite.

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Stadtbild Irkutsk

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Durch die Stadt fließt die Angara, der einzige Abluss des Baikal See. Ihr Wasser ist leuchtend Blau bis Türkis. Überall entdecken wir verkohlte Holzläuser oder zerfallene Ruinen ehemaliger Backsteingebäude. Anscheinend fehlt das Geld die Schäden zu beseitigen.

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Zum Mittagessen treffen wir uns zu viert wieder. Chris führt uns in ein usbekisches Restaurant. Dort essen wir ohne Schuhe im Schneidersitz und auf Polstern vor einem niedrigen Tisch heiße Suppe mit Fleisch und Gemüse oder Lamm direkt vom Knochen. Dazu gibt’s grünen Tee und Brot. Chris erzählt uns von seiner Tätigkeit als Deutschlehrer an der Uni in Irkutsk. Außerdem beteiligt er sich an einer Fotodokumentation der deutschsprachigen Minderheit in Irkutsk. Er selber lebt seit einem halben Jahr in der Stadt am Baikal. Von seiner Heimat Wien aus ist er schon häufiger in Russland und auch am Baikal gewesen und hat sich in die Gegend verliebt.

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Nachmittags schauen wir uns noch ein wenig mehr von der Stadt an, spazieren an der Angara entlang und besichtigen eine kleine Kirche, in der fromme Frauen singend beten und ich meine Haar bedecken muss.

In einem Fastfoodrestaurant finden wir eine Internetverbindung und ich habe endlich die Möglichkeit den Moskau Bericht fertigzustellen.
Abends gehen wir erleichtert schlafen.

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker bereits um 7 Uhr. Wir machen uns fertig und treten zu dritt wieder raus in den strömenden Regen. Mit der Tram wieder in die Stadt, dann 15 Minuten durch den Platzregen stapfen und über knöcheltiefe Pfützen springen. Im Regen verwandeln sie die Straßen Irkutsks in eine Mischung aus Teer, Schlamm und braunen Bächen. Eine Kanalisation scheint es nicht zu geben. Endlich erreichen wir den Busbahnhof. Von hier aus wollen wir auf die Insel Olkhon im Baikal See fahren. Ein Minibusfahrer fängt uns sofort ab und verfrachtet uns nass wie wir sind in seinen Bus. Unser Gebäck kommt oben auf den Bus, hoffentlich packt er eine Folie drauf…

Nach und nach steigen mehr Reisende zu uns in den Bus: Eine junge Mutter mit ihrer süßen Tochter, zwei Russen, die ebenfalls mit großen Wanderrucksäcken ausgestattet sind, ein französisches Pärchen, das gerade mit der Eisenbahn von Peking bis Moskau reist und zwei Russen, Buriaten aus Ulan-Ude, die mit ein paar Fetzen Englisch Kontakt zu uns aufnehmen.

Um 10:30 Uhr geht es endlich los. Zunächst durch den dichten Verkehr und strömenden Regen Irkutsks, durch Pfützen spritzend und hupend, dann auf die Schnellstraße über die grünen Hügel der Umgebung. Die Fenster sind so nass, dass ich alle paar Minuten mit dem Ärmel meiner Regenjacke wischen muss um die Sicht frei zu halten. Nach etwa zwei Stunden halten wir an einer kleinen Gastronomie. Das erste Mal komme ich in den unglücklichen Genuss eines Plumsklos. Ich bin froh, als ich das Jauchehäuschen wieder verlassen kann.

Wir kaufen ein bisschen was zu Essen, die Buriaten kommen mit zwei Flaschen Wodka und ein paar Plastikbechern ausgestattet wieder zurück: „Good Russian Wodka“, grinst der eine und lacht übertrieben. Er schenkt sich und seinem Kumpel erstmal einen guten Schluck ein, reicht dann die Becher weiter an die Jungs. Der arme Franzose, der direkt neben den zweien sitzt, muss während der ganzen Fahrt fünf Wodka Shots trinken. Ich komme vorerst drum herum.

Nach der kleinen Zwischenmahlzeit werden alle im Bus müde und lassen ihre Köpfe auf die Brust, die Lehne, die Schulter ihres Nachbarn oder gegen die Scheibe sinken. Als wir die Teerstraße verlassen werden alle wieder wach. Die zweite Hälfte der Strecke legen wir auf holprigen Sandstraßen zurück. Schlaglöcher, Steine und Fahrrillen drosseln die Geschwindigkeit unseres rasant fahrenden Fahrers. Der kennt jedoch keine Gnade für seinen Minibus und holt die maximale Geschwindigkeit aus ihm heraus. Ab und zu muss er jedoch wirklich vorsichtig sein, wir hängen schräg am Hang oder steil nach vorne, alle schaukeln hin und her.

Als der Blick auf den See zum ersten Mal frei wird recken alle ihre Hälse: Wunderschön still liegt das große silberne Gewässer zwischen den trockenen Grashügeln. Dabei ist der Teil, den wir hier sehen, nur ein Fjord, der große Teil des Sees liegt noch hinter den Hügeln verborgen.

Wir fahren wieder runter, ans Wasser und warten auf die Fähre, die uns auf die Insel bringt. Olkhon liegt auf mittlerer Höhe des Sees, nahe der westlichen Küste. Die Insel ist ca. 80 km lang und an der breitesten Stelle ca. 20 km breit. Ihre westliche Flanke ist hügeliges Grasland, das in sanften Kiesel-, Kleinstein- oder Sandstränden in den See übergeht, oder als steile felsige Klippe endet. Die östlichen bis zu 700 Meter hohen Berge hingegen sind überzogen von einem dichten Nadelwald, der meist in hohen steilen Klippen zum offenen See hin abbricht.

IMG_1891Warten auf die Fähre: Unsere ersten See-Bilder.

Auf der Fähre herrscht reger Betrieb: Kernige Jungs manövrieren das Rangieren der Minibusse und Autos auf der Fähre und schlängeln sich geschickt um die herumstehenden Touristen. Zu allem Überfluss setzt auch noch eine taiwanesische Reisegruppe mit uns über. 30 Asiaten müssen gebändigt werden, die Nerven der Fährjungs werden auf die Probe gestellt.

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Am anderen Ufer komme ich dann doch nicht um den traditionellen Woda-Short herum.

Nach weitern 40 Kilometern unwegsamer Sandpiste erreichen wir Chuschir (Xyжиp), die „Hauptstadt“ der Insel und das Ziel unserer Reise. Dabei handelt es sich eher um ein größeres Dorf, das auf mittlerer Höhe an der Westküste der Insel liegt. Eine breite Sandstraße zieht sich als Hauptader durch den Ort, von der mehrere schmalere Sandstraßen nach rechts und links abgehen. Die Häuser sind meist einstöckig und aus Holz, umgeben von hohen, blickdichten Holzzäunen und einem kleinen Garten, in dem sich jeweils eine als Toilette dienende Holzhütte befinden. Mittlerweile ist es später Nachmittag. Zwar sind wir den Dauerregen los, aber der Himmel ist dennoch grau bedeckt und ab und zu fallen ein paar Troppen. Olkhon, so wurde uns versprochen, habe im Jahr mehr Sonnentage als Mallorca. Anscheinend haben wir einen schlechten Tag für diese Bilanz erwischt.

Zusammen mit Walter suchen wir die kleine Kirche des Ortes auf. Dort lebt Sergej, ein junger Pastor mit dichtem schwarzgelocktem Vollbart und treuen braunen Augen. Er ist der einziger Couch Surfer auf der Insel und bietet gleich mehreren Couch Surfern gleichzeitig eine kostenlose Unterkunft an. Genutzt werden kann ein zweistöckiges Holzhaus, das unten zwei und oben drei Doppelbetten bietet. Die Schlafplätze befinden sich jeweils erhöht auf einem 2,50 Meter mal 1,40 Meter breiten Holzbrett, dass mit Fouton oder Decken gemütlich gemacht wurde. Im oberen Teil steht außerdem ein Zwei-Personen-Zelt und ein Zwei-Platten-Elektroherd. Unten steht ein Kühlschrank zur allgemeinen Benutzung, außerdem ein Babybett und ein Bügelbrett. Das Haus wurde, genau wie ein Holztisch und eine Holzbank vor dem Wohnhaus und das Plumsklo in Tipiform von anderen Couch Surfern erbaut.

Leider ist nur noch ein Doppelbett frei. Wir überlassen Walter das Bett – immerhin hat er die letzten Male unseretwegen auf dem Boden geschlafen – und versuchen es bei einer privaten Pension am anderen Ende des Dorfes. Zum Glück hatte Chris für uns dort am Abend vorher ein Zimmer reserviert. Beladen wandern wir also zurück über die Hauptsandstraße und bekommen einen kleinen Eindruck vom Leben der Menschen hier. Überall gibt es Kühe und Hunde, die zwischen schrottreifen Autos und alten Geländebullis umhertrotten oder auf dem Boden liegen. Alle hundert Meter gibt es einen kleinen Tante-Emma-Laden in dem das Nötigste zu besorgen ist. Auch Souvenier-Shops, Fahrradverleihe und andere Anbieter für Touriausflüge säumen die Straße.

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Am Ende der Straße müssen wir links abbiegen und nach einem silber-blauen Haus Ausschau halten. Das auffällige Haus ist nicht schwer zu finden und so klingeln wir am Eingangstor. Erst öffnet ein Junge, der gleich seine große Schwester holt, die zum Glück sehr gut Englisch spricht. Sie führt uns durch den Garten zu den Zimmern, die in einem länglichen Holzhaus vermietet werden. Im Zimmer stehen vier unterschiedliche Betten. Wir suchen uns die zwei breitesten und bequemsten heraus. Eine Matratze gibt es auch hier nicht. Wir liegen auf einem Holzbrett und Decken. Die Tocher unserer Vermieterin zeigt uns auch die Sanitäranlagen: Drei Wasserbecken aus Metall, die von oben befüllt werden und unten durch Wasserhähne zum Waschen genutzt werden können, darunter eine Abflussrinne. Durch den Garten, in dem Kartoffeln und hohe Sonnenblumen wachsen geht es dann zu den zwei Plumsklos.

Wir legen nur schnell unsere Sachen ab, dann machen wir uns auf für einen kleinen Erkundungsspaziergang. Das touristische Highlight des Ortes ist der Schamanenfels, der viele Pilger anlockt, die ihn dann mit bunten Tüchern, die um Holzpfähle und Bäume gewickelt werden, und Kleingeld eehren. Die Tücher flattern im Wind als es zu wieder zu Fieseln beginnt. Der Wind ist kalt und bläst schnellere Wolken vor langsameren her und uns den Regen ins Gesicht. Dieser Ort verströhmt schon eine Magie, denke ich und beobachte die riesigen Möwen, die mit gewölbten Flügeln im Luftstrom stehen.

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Der Schamanenfels.

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Über den Strand wandern wir wieder zurück. Schnell noch was essen, dann ins Bett. Als noch mal schnell auf’s Klo will sitzt eine dicke Spinne direkt am Eingang des Klohäuschens. Ich hocke mich lieber zwischen die Sonnenblumen.

Die Nacht ist kalt aber erholsam. Wir packen alles zusammen, bezahlen unsere 800 Rubel und laufen wieder zurück zur Kirche und zu Sergej. Heute sieht die Bettensituation schon viel besser aus. Walter ist mit seinem großen Rucksack unterwegs. Bei ihm im Raum, im unteren Teil des Hauses ist noch ein Bett frei, das wir gleich beziehen. Wir lernen die Hunde kennen, die sich am Haus herumtreiben. Alle sind freundlich zueinander. Auch der kleinen schwarze Kater mit den weißen Pfötchen wird von den Hunden liebevoll genäckt. Hier wollen wir bleiben, beschließen wir, richten uns ein und beginnen unsere Erkundungstour die Küste entlang Richtung Norden.

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Um halb zwölf lässt Sergej die Glocken schlagen und spielt eine kleine Melodie für das Dorf.

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Heute sieht es schon viel freundlicher aus.

Die Natur ist wunderschön! Heute scheint zum Glück die Sonne. Zwar trennen uns ein paar Schleierwolken von ihren wärmenden Strahlen, doch in der Windstille ist es angenehm warm. Der Wind auf den Klippen hingegen hat es in sich: Er weht eisig frisch und so müssen wir uns ständig an- und ausziehen um den Temperaturunterschieden gerecht zu werden. Auf unserem Spaziergang entlang der Küste entdecken wir wunderschöne Strände, felsige Klippen und weite Wiesenlandschaften, auf denen Kühe frei grasen können. Sowieso laufen überalle Kühe herum: Sie klettern zwischen den Felsen umher und kauen genüsslich die duftenden Kräuter, die überall wachsen.

Leider sehen wir auch viele Menschen und vor allem ihre Hinterlassenschaften. Überall haben Camper ihre Zelte oder Geländejeeps aufgestellt und hausen improvisiert friedlich oder beschallen mit schlechtem Techno die stille Natur. Sie bringen ihre Klozelte mit oder befestigen einfach Planen als Sichtschutz zwischen Bäumen. Doch wirklich schlimm ist der Müll, den sie nach einem entspannten Nachmittag, Wochenende oder Natururlaub zurücklassen. Manchmal stehen die Mülltüten schon fertig gepackt an einen Baum gelehnt. Wer soll sie abholen?

Bei unserer Ankunft auf der Insel mussten wir jeder ein paar Rubel „Umweltgebühr“ zahlen, da es sich bei der Insel um eine „Eco Island“ handele. Jetzt fragen wir uns, was mit dem Geld wohl gemacht wird. Das Müllproblem, jedenfalls, wird damit nicht beseitigt.

Je weiter wir uns von Chuschir, und damit der Hauptanlaufstelle der Insel, entfernen, desto sauberer wird es zum Glück. In einer einsamen Bucht trauen wir uns ins kalte klare Wasser. Wir sind überrascht: So kalt ist es gar nicht!

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Wer war schonmal im Baikal See schwimmen??

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Als die Abenssonne einsetzt machen wir uns auf den Rückweg und wählen den schnelleren Weg der Straße entlang. Wir passieren ein weiteres, kleineres Dorf, grüßen die Kühe, die widerkauend auf dem Weg liegen und stapfen durch den feinen Sand der mit korrigen Kiefern und Dünengras bewachsenen Hügel.

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Wieder daheim.

Bei Sergejs Hütte erwartet uns schon eine kleine Gruppe anderer Reisende, die uns freundlich begrüßt: Jenny aus Deutschland und Guillaume aus Frankreich reisen zusammen mit Allard aus Holland. Sie laden uns gleich zum Essen ein und so lernen wir uns bei leckerem Omlette kennen und genießen einen viel zu schnellen Sonnenuntergang.

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Als die Sterne den Himmel erleuchten wandern wir zusammen mit zwei weiteren deutschen Frauen, die Schwestern Elke und Gudrun, zum ältesten und größten Backpacker Chuschirs: Nikita Homestay. Es fühlt sich an wie in einem Touristendorf, es gibt ein Café, in dem es original zubereiteten Cappuchino gibt, kühles Bier auf Bestellung, Mousse au Chocolat und morgens ein All-you-can-eat Frühstücksbuffet mit Pfannekuchen und Eiern für 130 Rubel pro Person. Wir trinken ein Bier und testen die internationale Backpackeratmosphäre.

Am nächsten Morgen weckt uns Kindergeschrei. In dem Raum über uns ist abends eine Familie eingezogen mit zwei kleinen Kindern. Um 7 Uhr sind sie aktiv und so wagen auch wir uns raus in den sonnigen Morgen.

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Wir spazieren durch das Dorf und frühstücken vormittags mit Jenny, Guillaume und Allard.

Die drei verbringen einen entspannten Tag am Strand, wir leihen uns Fahrräder um eine Tour auf die andere Seite der Insel zu machen. Mit einer ungenauen Karte ausgerüstet verlassen wir mit unseren Mountainbikes den Ort. Zunächst führt uns der Sandweg durch die Müllhalde Chuschirs. Zwischen Kiefern wurde einfach alles Mögliche abgeladen: alte Matratzen, Stühle, Plastikflaschen, Kleider. Ratlos treten wir in die Pedalen und versuchen das Müllfeld schnell hinter uns zu lassen.

Zunächst geht es erstmal nur bergauf. Kilometerweit quälen wir uns die steile Straße empor, umgeben von weiten Grashügeln. Je höher wir kommen, desto schöner wird die Aussicht. Wir können auf Chuschir herabsehen, die schmale Seite des Sees liegt tiefblau unter uns. Ein paar Mal müssen wir hin und her fahren bevor wir die richtige Abfahrt in den Wald finden. Dann geht es wieder bergauf. Teilweise ist es so steil, dass wir schieben und dabei aufpassen müssen, nicht rückwärts wieder runter zu rutschen. Vollkommen aus der Puste und verschwitzt machen wir immer wieder Trinkpausen. Es ist Mittag, die Sonne knallt, von meinem Gesicht fließt mittlerweile die dritte Schicht Sonnencreme.

Endlich geht es wieder abwärts. Wir rollen aus dem Wald heraus und kommen auf eine große Lichtung, in dessen Mitte der giftiggrüne See Shara-Nur (Шapa-Nyp) liegt, der einzige See auf der Insel. Sein Wasser und vor allem sein Schlamm sollen heilende Wirkung haben. Ich traue Farbe und Geruch jedoch nicht so ganz und wage mich nur bis zu den Waden ins Wasser.

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Weiter geht’s, weiter bergab. Und wie! Teilweise wird mir richtig mulmig beim Abfahren, so steil ist es, ich lehe mich nach hinten, damit ich nicht vorn über falle. Vierzig Minuten Downhill, dann sind wir auf der anderen Seite, wir haben’s geschafft!

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Die Aussicht lohnt sich allemal! Wir können die Weite des großen Sees erahnen. In der Ferne erkennen wir schemenhaft das andere Ufer. Mit unseren Rädern laufen wir über die großen Kiesel am Strand und suchen uns ein einsames Plätzchen. Ruck zuck haben wir uns ausgezogen und wagen uns in die eisigen Fluten. Auf dieser Seite ist der See um einiges kälter! Hat man es einmal über die klitschigen Steine hineingeschafft, möchte man eigentlich so schnell wie möglich wieder raus. Doch so langsam wie wir hineingewankt sind, wanken wir auch wieder raus.

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Willkommene Abkühlung!

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Erfrischt lassen wir uns auf die warmen Steine nieder und lassen uns von der wunderbaren Kombination Sonne und Wind trocknen. Wir essen Brot, Käse und unseren Omul, geräucherten Fisch, wie es ihn angeblich nur am Baikal gibt, dann treten wir den Rückweg an.

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Omul-Filetieren ist gar nicht so einfach.

Zurück geht es natürlich erstmal wieder bergauf. Doch wir wählen eine andere Route, eine die um die Berge herumführt, und so müssen wir nicht ganz so viele Höhenmeter erklimmen.

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Die Natur ist umwerfend: Wir fahren durch Wiesen, auf denen zahllose Kräuter und Pflanzen wachsen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Es durftet und die Luft ist erfüllt vom Zirpen der Grillen. Auf dem Weg sitzen riesige Grashüpfer, die sich vor unseren Rädern in Sicherheit bringen. Bald verlassen wir den kühlen Wald und finden uns oben auf den Grashügeln wieder. Das Panorama ist perfekt: Wiese, Hügel, Sonne, See.

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Die letzte Abfahrt ist die schnellste. Der Wind saust in den Ohren als wir die steilen Hänge hinunterfliegen. Ich muss immer wieder zum See hinunterschauen, darf dabei nur nicht vergessen mich auf den mir entgegenfliegenen Sandweg zu konzentrieren.

Der Tag war erfüllend. Am nächsten werden wir wissen was wir getan haben. Bei selbstgemachten Spaghetti Carbonara und kühlem Bier lassen wir gemeinsam mit den anderen den Tag ausklingen.

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Von links: Allard, Elke, Gudrun, Jenny, Guillaume, Peggy aus Frankreich und Walter.

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Der nächste Morgen.

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Der süße Kater hat eine ungewöhnliche Freundin, die ganz verrückt nach ihm ist…

Heute müssen wir die Insel schon verlassen. Am nächsten Morgen um 5 Uhr geht unser Zug von Irkutsk nach Ulan-Bator. Obwohl wir gespannt sind auf die Mongolei, bedauern wir doch die Insel so schnell wieder verlassen zu müssen. Wir bekommen noch zwei Plätze in einem Minibus mittags um 12. Schweren Herzens verabschieden wir uns von der liebgewonnenen Umgebung: Sergej, die verschmuste Hündin und ihr Spielkamerad der kleine freche schwarze Kater, Jenny, Giullaume und Allard. All die schönen Erlebnisse und diese wunderbar friedliche Atmosphäre lassen wir nur ungern hinter uns zurück. Zu schade, dass wir den Zug in die Mongolei schon gebucht haben…

Während der sechsstündigen Minibusfahrt lerne ich Kir, einen russischen Student aus Ekaterinburg, kennen. Er erzählt mir von seinen Plänen Psychologie, Sprachen oder Musik zu studieren. Wir tauschen Reiseerfahrungen aus und unterhalten uns über Gott und die Welt. Als wir wieder im versmokten Verkehrschaos Irkutsks ankommen schüttelt er traurig den Kopf über das fehlende Umweltbewusstsein seiner Landsleute. Ich erzähle ihm, was wir in Deutschland für Methoden haben, um den Verkehr in den Städten zu reduzieren: Umweltplaketten, kostenpflichtige Parkplätze, gute Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Er ist erstaunt: „So smart ideas!“, bis es in Russland so weit ist vergehen noch Jahre, so scheint mir. Wir verabschieden uns. „Pakar!“, mach’s gut!

Mit der Tram wieder zum Bahnhof. Wir versuchen ein Zimmer zu bekommen in dem kleinen Stundenhotel über der Wartehalle. An der Rezeption sitzt wieder ein Drachen: Schimpfend und Fluchend nimmt sie uns in Empfang. Zum Glück hat die Insel uns so sehr entspannt, dass wir nur schmunzeln können und alles tun was sie von uns verlangt. Erst will sie Tickets sehen, dann Geld, dann doch kein Geld, sondern, dass wir um 20 Uhr wiederkommen. Ok, wir warten eine Stunde draußen. Dort treffen wir wieder auf den Buriaten von der Hinfahrt: „Good Russian Wodka!“, begrüßt er und flachsend. Christian wird per Handschlag begrüßt, ich werde ignoriert. So ist das halt. Er gesellt sich zu uns, wartet auf seinen Zug nach Ulan-Ude. Um zehn vor acht wagen wir uns langsam wieder in den Warteraum des Hausdrachen. Gestresst putzt sie gerade schimpfend die zwei Badezimmer. Holt hier Bettwäsche raus, legt da neue rein. Zwischendurch will sie unsere Pässe sehen: „Russki, Russki“, schimpft sie, dann findet sie endlich unser russisches Visum und schreibt unsere Personalien ab. Sie kassiert 1.285 Rubel für die Nacht. Ein stolzer Preis, aber das ist es uns wert: Nicht mehr suchen und morgen früh einfach die Treppe runterlaufen und wir sind da. Als Christian sich in die Dusche schleichen will, ertappt sie ihn und ruft empört: „Dusch?!“, jetzt will er auch noch duschen oder was?? Na gut, für 100 Rubel extra schließt sie ihm die Dusche auf. Ich nutze den Dienstwechsel der Drachen und stehle mich nach ihm in die noch offene Dusche. Welch eine Erfrischung! Haare waschen, Ohren waschen, wunderbar!

In der luxuriösen Wartehalle des Minihotels gibt es kostenlosen und exzellenten WiFi-Empfang. Ich schicke meinen Transsib Bericht ab und falle erschöpft in das Kingsize Bed: zwei Meter mal zwei Meter Federkernmatratze, häärlisch!

Um 4 Uhr werde ich wachgerüttelt. Aufstehen, packen, los. Der Drachen wartet schon ungeduldig, die nächsten Gäste stehen schon in den Startlöchern.

Jetzt geht’s in die Mongolei!!

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Hallo Kathrin,

Felipa hat mir die Blog-Adresse gegeben und die letzten paar Stunden hab ich eine Riesentour von Deutschland, durch Polen über das Baltikum und durch Russland gemacht – ich konnte einfach nicht aufhören zu lesen: Nicht nur was du (ihr?) schreibst, sondern auch wie, ist faszinierend! Danke für die Einführung ins Kyrillische, ich hab mir gleich eine Liste gemacht und du hast recht: Man hat’s ziemlich schnell drauf! Deine Erfolgserlebnisse bei jedem Wort kenn ich übrigens von unserem Kreta-Urlaub, als ich Griechisch lesen musste, um über die Lautgebung die Straßennamen in lateinischen Buchstaben in meinem Reiseführer lesen zu können. Kyrillisch und Griechisch haben sogar ziemlich viele Buchstabenübereinstimmungen … Ich wünsche euch weiterhin ganz viele tolle Erfahrungen und ab und zu genug Zeit, um Kopf und Körper ein wenig verdiente Pause zu gönnen. Danke fürs Dabeiseindürfen! Mareike

1. September 2011 22:08

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