Während der neunstündigen Fahrt läuft eigentlich die ganze Zeit mongolische Musik, so wie in allen öffentlichen Verkehrsmitteln. In diesem „Luxus“-Bus wird diese zusätzlich unterstützt durch die dazu passenden Musikvideos. Die Videos zeigen hauptsächlich traditionelle Szenen: Ein kräftiger Mongole, der in der traditionellen Tracht (einer Art wadenlanger Mantel ohne Kaputze, über einer langen Hose, dazu Lederstiefel und Hut) vor seiner Jurte eine Ballade trällert. Die Lieder sind allesamt langsam, schnulzig und für unsere Ohren relativ gleichklingend. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass sich die gleichen fünf Lieder immer wieder abwechseln. Vor allem ein Song hat es in der Mongolei bis ganz nach vorn geschafft, dieses Lied wird mir in den nächsten Tagen noch häufiger begegnen – bis ich mitsingen kann…

Der Musikstil ist eine Mischung aus chinesisch und arabisch. Obwohl ich weder China noch irgendwelche arabischen Länder je bereist habe, so glaube ich doch durch die Medien ein recht gutes Bild beider Kulturen vermittelt bekommen zu haben. Über die Mongolei hingegen wusste ich bis vor meiner Ankunft nur Schemenhaftes. Woran denkt man, wenn man an die Mongolei denkt? Grasland, Steppe, Pferde, Reiter, Jurten. Mehr hätte ich vor ein paar Tagen nicht sagen können. Und der erste Eindruck ist schonmal kein falscher. Dazu kommen aber noch Motorräder und Solarzellen vor den Jurten und Plasmafernseher im Innern. Außerdem Yaks, Adler, fliegende Grashüpfer, wilde Hunde, fettiges Essen, dreckige Fingernägel, Plumsklos, Umweltverschmutzung. Und noch viel mehr…

IMG_2284

Felsenberge hinter Wüstendünen hinter Grasland, so ist die Mongolei.

Nachdem alle Songs mehrmals durchgelaufen sind, wird die englischsprachige Pop-CD kurzzeitig eingelegt. Wir sind uns nicht sicher ob das extra für uns geschieht, aber plötzlich hören wir sogar „Cherry Lady“ von Modern Talking und trauen unseren Ohren nicht.

Unser Bus zeigt sich geländegängig als wir einige Passagiere direkt bis vor ihre Jurten bringen. Um 17 Uhr erreichen wir endlich Tsetserleg, der nach Meinung des Lonely Planets angeblich schönsten Aimag- (=Provinz) Hauptstadt. Zunächst laufen wir zum Fairfield, dem populärsten Guesthouse im Ort unter englischer Führung. Die Nacht kostet hier 19.500 Tögrög pro Person, Frühstück und heiße Dusche inklusive. Wir ziehen erstmal weiter durch den Ort hindurch, begleitet von neugierig winkenden und „Hello! Hello!“-grüßenden Kindern.

IMG_2289

Das Resultat aus Platzregen + Sonnenschein in Tsetserleg.

Am anderen Ende der Stadt gibt es ein Ger-Camp, das nach Lonely Planet ziemlich günstig sein soll. Leider lachen sich die Damen dort mal wieder über unsere Preisvorstellungen kaputt. Statt 3.500 T pro Person soll das Ger hier 25.000 T kosten. Nein. Ohne Dusche und Frühstück ist uns das die Nacht im zugigen Ger nicht wert.

Also wieder zurück. Die Leute müssen auch denken wir sind bekloppt. Die gucken uns immer noch interessiert hinterher und verdrehen sich auf ihren Motorrädern die Hälse nach uns zwei „Weißen“. Wir checken im Fairfield ein. Bevor wir in die Wildnis aufbrechen wollen wir noch eine Nacht komfortabel wohnen. Und das tun wir! Heiß duschen und dann die zwei Betten mit Federkernmatratze zu einer zwei Meter mal zwei Meter Liegefläche zusammenschieben. Ich schlafe wie ein Stein und könnte morgens noch ewig liegen bleiben. Doch das Frühstück ruft. Es gibt Rührei mit Toast und American Pancakes mit Butter und Marmelade. Dazu einen Tee und einen Kaffee.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen. Einen Großteil lassen wir im Fairfield. Nur das Nötigste und ein geliehenes Zelt sowie zwei Isomatten nehmen wir mit.

Bei strahlender Sonne wandern wir durch die blumigen Wiesen  hinter der Stadt.

IMG_2295

IMG_2300

IMG_2302

Wir steigen den Berg hinauf und rasten im Schatten eines Baumes. Dann geht es auf der anderen Seite wieder runter vorbei an Pferden und ein paar Jurten.

IMG_2311

Die Mongolische Steppe.

IMG_2323

Wir werden nur knapp von einem Gewitter gestreift und amüsieren uns über die lustigen kleinen Erdmännchen, die überall aus ihren Löchern luken.

IMG_2321

Endlich erreichen wir wieder die Hauptstraße, die von Tsetserleg in das knapp 200 km entfernte, nordwestlich gelegene Tariat führt. Tariat ist der einzige Ort am See Terkhiin Tsagaan Nuur, zu dem wir versuchen werden per Anhalter zu reisen. Der nächste Ort, Intamir, ist in Sichtweite. Danach kommt bis Tariat – abgesehen von ein paar Ger-Siedlungen – erstmal nichts. Doch für heute haben wir genug erlebt und gemacht. Daher suchen wir uns erstmal einen gemütlichen Platz für unser Zelt mit Blick auf die Berge.

IMG_2331

IMG_2337

Überall springen die Grashüpfer vor unseren Schritten davon. Die großen schwirren knarrend durch die Lüfte. Wir sind k.o., hocken uns vor unser Zelt in die Sonne und sind froh endlich angekommen zu sein.

IMG_2339

Zum Abendessen gesellt sich eine Riesen-Heuschrecke alias „Fetti“ ohne Flügl oder Sprungbeine zu uns. Ein Glück (für beide Seiten!), dass wir grad nicht auf die Extraportion Eiweiß angewiesen sind…

IMG_2340

Stattdessen gibt es junge Erbsen mit Möhrchen von „Gut und Günstig“ aus dem Department Store.

Als die Sonne zwischen Wolken hinter den weit entfernten Bergen verschwindet, verkriechen wir uns in unsere Schlafsäcke.

IMG_2355

IMG_2360

Es wird eine schöne, nicht zu kühle Nacht.

Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne. Wir lassen den Tau auf einer Wäscheleine zwischen zwei Bäumen trocknen, frühstücken ein bisschen und laufen dann zur Straße. Das erste Auto hält gleich an. Ein junger Mann in Polizeiuniform nimmt uns mit bis ins nächste Dorf Intamir. Er fährt bis ins Zentrum rein wo wir gleich umringt werden von anderen Männern. Wir erklären, dass wir nach Tariat wollen, zeigen unsere Straßenkarte. Mit Karten haben wir jedoch in der Mongolei noch nie gute Erfahrungen gemacht. Für Gewöhnlich werden uns die Karten erst aus der Hand gerissen, in alle Richtungen gedreht, dann wird mit dem Finger der Straße entlanggefahren und dann wird staunend versucht die Karte zu lesen. Von Tariat hat man aber gehört und versucht uns gleich einen Transport zu organisieren.

Ein Mann telefoniert mit seinem Handy, ein anderer spielt mit einer Sony Videocamera rum, filmt uns auffällig unauffällig: Lächeln und Winken. Christian bekommt das Telefon ans Ohr gedrückt. Eine Frau ist am anderen Ende, sie spricht Englisch. Christian erklärt unsere Lage. Das Telefon geht mehrmals hin und her. Das letzte Angebot ist 100.000 T für die Fahrt im Jeep. Wir lehnen dankend ab, geben unserem Polizisten noch 1.500 T, dem das etwas unangenehm ist, sein Kollege verlangt 10.000, wir wollen weg. Doch wir kommen nicht weit. Ein Jeep steht wenige Meter entfernt abfahrbereit. Wir werden eingeladen einzusteigen. Wieviel? 50.000. Nein danke, diesmal aber wirklich: Bajartaj, wir machen uns aus dem Staub.

Wir laufen quer durch den Ort durch und bekommen von einem vorbeifahrenden Laster noch eine ordentliche Schlammdusche verpasst. Kaum sind wir wieder auf der Straße kommt schon von hinten ein alter Bus angefahren. Nein, Minibus wollen wir auch nicht fahren. Doch der Bus hupt uns an und bleibt stehen. Ein Mongole reiferen Alters steigt aus. Auf dem Beifahrersitz sitzt eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Wir wollen nach Tariat. Er auch. Wir fragen wieviel. 20.000 T. Ok! Wir steigen ein. Eher gesagt: Wir quetschen uns mit unseren Rucksäcken zwischen Basketbälle, Säcke voll Nüsse und Toilettenpapier. Der Bus ist bis unters Dach bepackt.

IMG_2365

IMG_2370

Unsere kleine Mitfahrerin ist erst zwei Jahre alt.

Aber egal! Wir sind froh eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben und hoffen nun nur noch, dass die 20.000 T für uns beide zusammen gelten.

Über den Beifahrersitz kommunizieren wir mit der Kleinen. Immer wieder muss ich das seitliche Klappfenster öffnen damit mir von dem Benzingeruch nicht schlecht wird. Zwischendurch stellen wir einander vor und versuchen uns ein wenig zu unterhalten. Uns fällt auf, dass unser Fahrer beim Bergabfahren den Motor ausstellt. Sobald  wir ganz unten sind und fast stehen, macht er den Motor schnell wieder an. Auf der geteerten Straße fahren wir maximal 80 km/h. Doch schon nach wenigen Kilometern ist die angenehme Straße durch Felsbrocken blockiert und wir müssen auf eine der vielen in Schlangenlinien parallel zur Asphaltstraße verlaufenden Sandpisten ausweichen. Der Teil der Strecke ist weniger angenehm. Wir schaukeln hin und her, vor und zurück, hoch und runter und bald bin ich begraben unter Basketbällen und Klopapier. Es dauert lange bis wir wieder auf ebener Straße frahen können. Später müssen wir uns wieder unseren Weg durch das hügelige Grasland und ein paar Flüßchen schlängeln.

IMG_2378

Eine Schlucht 30 km vor Tariat.

Nach fünfstündiger Fahrt erreichen wir endlich unser Ziel: Tariat. Zum Glück ist unser Fahrer mit 20.000 T für beide zusammen zufrieden.

Wir marschieren erwartungsvoll in die einzige „Stadt“ am See. Vielleicht können wir ja irgendwo eine etwas detailliertere Karte als unsere im Maßstab von 1:50.000 bekommen… Doch außer neugierigen Mongolen, ängstlichen Yaks und einem Tante-Emma-Laden in dem es von Haushaltsgegenständen über Lebensmittel bis hin zu Klamotten alles zu kaufen gibt, finden wir weder ein Hotel noch eine Touristeninfo. Also stocken wir mal unsere Vorräte ein wenig auf und laufen einfach mal in die Richtung in der wir den See vermuten.

Auf einem Platz im Ortszentrum treffen wir plötzlich ein europäisch aussehendes Paar. Europäer ziehen sich hier einfach an. Erleichtert lächeln wir einander zu und unterhalten uns mit den zwei Holländern über den See und wie wir am besten hinkommen. Wir müssen erst um ein paar Berge herum und vorbei am Khorgo-Vulkan um zum See zu gelangen, erklärt uns der Holländer. Acht Kilometer sind es bestimmt. Ok, also laufen wir los Richtung Berge und Vulkan. An einer ziemlich bedauerlich aussehenden Holzbrücke, die laut Schild immer noch fünf Tonnen tragen soll, müssen wir bei einem alten rauchenden Mongolen unseren Eintritt für den Nationalpark in Höhe von 3.000 T pro Person zahlen. Als „Ticket“ erhalten wir jeder einen Infoflyer, der sogar eine kleine Karte erhält. Na wunderbar!

IMG_2380

Unsere erste Berührung mit dem Vulkangestein der Gegend.

Kaum sind wir 20 Minuten unterwegs – wir haben uns gerade mit Softshell und Mütze gegen den recht eisigen Wind ausgestattet – da hält schon wieder ein Auto neben uns an. Ob wir zum See wollen? Ja. Im Auto sitzen drei Männer, wir kommen mit unseren Taschen noch hinten dazu. Der Kleinwagen muss seine Geländetauglichkeit unter Beweis stellen als wir vollbeladen am schwarzen Vulkan vorbeischaukeln. Endlich fahren wir über den letzten Hügel und haben freie Sicht auf den See und die karg bewachsenen Hügel, die ihn säumen. Unten am See werden wir am ersten Ger-Camp rausgelassen. 3.000 T will unser Fahrer haben. Als wir ihm das Geld geben, überlegt er sich spontan, dass der Preis pro Person zu verstehen sei. Wir winken ab und machen, dass wir weg kommen.

IMG_2383

Mittlerweile regnet es fies und der Wind weht kalt. Wir rüsten uns und unsere Rucksäcke mit Regenschutz aus und beginnen am Seeufer entlangzulaufen. Wir wollen einen geeigneten Zeltplatz für die Nacht finden.

Doch schon nach 50 Metern hält wieder ein Auto. Diesmal ein Geländewagen. Nein, bitte nicht schon wieder! Wir haben die Nase voll von Mongolen, die unser Geld wollen und dabei so tun als wollten sie uns helfen.

Doch die Person am Steuer ist eine Frau und noch dazu eine Europäerin! Das Angebot lassen wir uns nicht entgehen. Im geräumigen und wohl temperierten Landrover werden wir einige Kilometer entlang der Nordküste des Sees kutschiert. Die Britin erzählt uns von ihrer Reise mit ihrem Mann, mit dem Auto wollen sie noch bis nach Singapur reisen. Wir werden wieder neidisch. So ein Teil, das wär was!!

Sie setzt uns an der Stelle ab, an der sie mit ihrem Mann und dessen Bruder übernachten will. Wir überqueren den nächsten Hügel und suchen dann auch ein Plätzchen. Zwar ein bisschen exponiert, dafür mit wunderbarem Blick und einen Steinwurf vom See entfernt.

IMG_2384

Hier sind Improvisationskünste gefragt.

Das Zelt aufzubauen ist bei dem starken Wind schon eine echte Herausforderung. Zumal es sich bei dem Zelt um ein absolutes Billigzelt handelt mit einem Neuwert von maximal zehn Euro: Es gibt nichts zum Abspannen, Innen- und Außenzelt berühren sich zwingend, es gibt nicht genügend und nur verbogene Heringe, ein Stangenglied ist gebrochen und mit Tesafilm geflickt, ein anderes wird einfach ins vorherige reingesteckt und eine der Stangen hat an Spannung verloren, so dass sie sich unter dem starken Wind nach innen biegt. Letzte Nacht war das alles noch kein Problem…

Christian versucht mit improvisierten Abspannungen das Innenzelt vor Regen zu schützen. Ich verkrieche mich ins Innere und richte uns ein. Zum Abendessen gibt es Tomatenmatsche aus der Dose, gemischt mit Zwiebel und Salatgurke. Dazu Brot und geröstete Erdnüsse.

IMG_2385

Zwischendurch kommt mal der Ranger auf seinem Moppet vorbei und schaut nach dem Rechten.

Um 20 Uhr ist es wegen der dicken Wolken bereits dunkel. Draußen ist es eiskalt geworden. Also verziehen wir uns in unsere Schlafsäcke, spielen noch ein paar Runden MauMau und schlafen dann bald.

Leider ist unsere zweite Nacht keinesfalls so erholsam wie die erste. Nachts fängt es an zu regnen und ich mache mir ernsthafte Sorgen, dass wir nass werden. Außerdem windet es mitlerweile so sehr, dass das laute Schlackern der äußeren Zelthaut mich immer wieder weckt. Als sich morgens das tropfende Regengeräusch in ein Rieseln verwandelt stehe ich auf.

Draußen herrscht eine Weltuntergangsstimmung: Es stürmt, der see ist voller Gischt, er dampft und brodelt, Wolken wehen um uns herum und uns fliegt der Schnee um die Ohren. Die Spitzen der umliegenden Berge sind weiß vom ersten Schnee.

IMG_2393

Schrottizelt im Extremeinsatz.

Es ist der 06. September und es schneit.

Schnell verkrieche ich mich wieder im Zelt. Meine Hände sind bereits rot verfrohren. Wir warten bis zum Vormittag doch das Wetter beruhigt sich nur mäßig. In Sturm und Wind packen wir das Zelt zusammen. Erst laufen wir noch weiter im Schneesturm auf der Suche nach einem windgeschützeren Platz. Doch bald kehren wir erfolglos um, wollen zu den Engländern um sie zu fragen, wann sie fahren und ob sie uns vielleicht mitnehmen würden. Doch als wir den Hügel endlich überqueren sind der Landrover und das blaue Igluzelt bereits verschwunden.

Auf dem Weg am Ufer entlang machen wir viele Pausen. Kauern uns hinter Felsen und schmelzen unsere Vorräte. Der Wind macht uns zu schaffen.

IMG_2416

Irgendwann erreichen wir wieder Zivilisation und tatsächlich kommt die Sonne ein wenig raus.

IMG_2418

Uns kommen zwei europäisch aussehende Leute entgegen, die wir sofort ansprechen. Sie kommt aus Schweden, er ist Kolumbianer. Sie wohnen im Ger-Camp direkt hinter uns. Was es kostet wissen sie nicht. Sie haben eine Tour gebucht, da ist alles inklusive.

Sofort sprechen wir die zwei Mongolen an, die vor dem kleinen Holzhäuschen bei den Jurten stehen. Ja, Gers seien noch zu haben. 6.000 T pro Person. Super! Hier bleiben wir!

IMG_2419

Wir beziehen unser Ger mit fünf Betten drin und bekommen sofort Feuer angemacht und heißes Wasser gebracht. Doch schnell stellt sich heraus, dass unsere Jurte ein wenig zugig ist. An den Seiten bläht sich der Stoff und durch den Raum geht ein spürbares Lüftchen. Wir verfeuern eine ganze Wanne Holz, doch unsere Jurte bleibt frisch. Christian fragt, ob wir eventuell umziehen können. In der Jurte des Schwedisch-Kolumbianischen Paars ist es muckelig warm und es sind noch drei Betten frei.

Sobald die beiden wieder von ihrem Spaziergang zurück sind, fragen wir ob wir bei ihnen einziehen dürfen. Sie willigen ein und so verbringen wir einen lustigen Abend bei „Hearts“ in einer T-Shirt-warmen Jurte, die sogar über eine elektrische Glühbirne verfügt. Zum Abendessen gibt es für 3.000 T extra Shölke Khool: Heiße Fleischbrühe mit langen Nudeln, Yakfleisch und ein bisschen Gemüse. Typisch mongolisch und sehr lecker!

Am nächsten Morgen ist das Wasser im Waschtank durchgefrohren, Gesichtwaschen gibt’s heute morgen also nur mit Trinkwasser. Um 8 Uhr müssen die beiden schon wieder weiter, ihr Fahrer wartet bereits.

Wir entschließen uns noch eine Nacht in der Luxusjurte zu bleiben. Wir packen einen Rucksack zum Tagesrucksack um und wandern zum Vulkan. Auf dem Hinweg begleitet uns erst ein Hund, der uns verlässt als wir sein Revier verlassen.

IMG_2428

Blick auf den Khorgo-Vulkan.

IMG_2436

Ein Geröllfeld kantiger Lavabrocken.

Wir wandern durch bizzarre Lavalandschaften. Der Boden ist mal fließend geschmolzen, dann wieder geröllartig, dann türmen sich riesige Steinplatten und schaffen dadurch zerklüftete Höhlen. Die Lava ist schwarz und erinnert an Kohle. Die Brocken sind, da von Luftlöchern durchzogen, ganz leicht und knirschen unter unseren Schritten. An manchen Stellen ist die geschmolzene Fläche aber auch überwachsen mit Flechten und Pilzen in bunten Farben. Zwischendurch wachsen Bäume, hier und da liegt ein ausgeblichener Knochen.

IMG_2439

Beim Anstieg können wir den See wieder sehen.

IMG_2446

Oben am Krater genießen wir erst die Aussicht, dann bringen wir uns schnell vor dem eisigen Wind in Sicherheit.

Als wir wieder unten sind, hat sich am Fuß des Vulkans ein altes Hutzelweiblein mit schwarzen Händchen mit verschiedenen Marmeladen und Getränken positioniert. Ich trinke einen heißen Yakmilch-Tee (Süütai Tsai) mit Butter und Salz, der herrlich deftig schmeckt und mich von innen aufwärmt. Christian kauft ein Glas selbstgemachte saure Blaubeermarmelade. An ihrer Bude hängen zwei Hunde rum. Der eine sieht aus wie unser Begleiter vom Hinweg, nur dass es sich um eine Hündin handelt. Sie ist mir gleich sympathisch und ich kraule sie dementsprechend liebevoll.

Vielleicht hätte ich das nicht machen sollen, denn von da an weicht sie nicht mehr von unserer Seite. Sie begleitet uns den ganzen Weg. Auch der zweite Hund wagt sich in unsere Nähe. Als ich jedoch einen Stock hebe um mit ihm das Stöckchenspiel zu spielen, macht er einen panischen Satz nach hinten und verzieht sich daraufhin. Anscheinend hat er schon ganz andere Erfahrungen mit Stöcken gemacht als das Stöckchenspiel.

Wir laufen wieder zurück, immer noch begleitet von unserer treuen Hündin. Als wir das Revier unseres anfänglichen Begleiters wieder betreten, werden wir gleich freudig von ihm begrüßt, von jetzt an haben wir schon zwei Hunde.

IMG_2454

Zurück am See.

IMG_2460

Unsere zwei treusten Begleiter.

Auf dem Weg zurück zur Jurte versuchen noch weitere Hunde sich uns anzuschließen, die wir jedoch versuchen zu ignorieren. Wenn das so weiter geht, haben wir bald ein ganzes Rudel, befürchten wir. Doch bis auf unsere Hündin verlieren alle anderen Vierbeiner bald ihr Interesse an uns. Auch der Rüde sucht sich bald andere Touristen, die ihm mehr Aufmerksamkeit schenken als wir. Unsere Hündin liegt noch lange an meiner Seite als ich mich in die Sonne hinter unserer Jurte setze. Auch als ich wieder reingehe bleibt sie treu an unserer Tür liegen. Nur als ein anderer Hund, der hier vielleicht sein Revier hat sie bellend und knurrend vertreibt, zieht sie Leine. Mir scheint, hier suchen sich die Hunde ihre Besitzer selber aus. Zu schade, dass wir auf unserer Reise keine treuen Gefährten auf vier Pfoten gebrauchen können.

IMG_2462

Abendstimmung am See.

Den Abend verbringen wir bei MauMau und einem behaglich brutzelndem Feuer. Zu Essen gibt es heute Reis mit Kartoffelstücken, Möhren und Fleisch.

IMG_2470

Am nächsten Morgen ist wieder alles gefrohren.

Ohne die Mühen ein Feuer anzumachen, packen wir unsere Sachen zusammen und verlassen unsere Jurte. Wir wandern zwei Stunden in zügigem Tempo bis wir Tariat endlich erreichen. Diesmal folgt uns kein Hund.

In Tariat kaufen wir uns erstmal wieder ein paar Vorräte und treffen zufällig auf unseren Jurtenbesitzer, der Christian in alkoholisierter Glückseeligkeit umarmt: „Tsetserleg? Maybe!“, ist seine Einschätzung für unser heutiges Ziel. Wir versuchen es dennoch. Auf dem Weg zur Tankstelle werden wir gleich angesprochen. Eine junge Familie mit mehreren Kindern will uns nach Tsetserleg mitnehmen. Die Verhandlung erfolgt schnell und erfolgreich: Zwei Personen nach Tsetserleg für 20.000 T. Wunderbar! Wir steigen ein.

Doch vorerst geht unsere Reise nur bis zu einem Holzzaun. Alle steigen aus, wir folgen. Die Frau mit dem kleinsten Mädchen auf dem Arm winkt mich hinter sich her durch ein Tor im Zaun. Plötzlich befinde ich mich in einem begrasten Innenhof, auf dem zwei Jurten stehen. Ich werde von einem der Mädchen aus dem Auto in die eine Jurte geführt. Eine junge Frau sitzt dort auf dem Boden und sortiert Pinienkerne, die Lieblings-Knabber-Zwischenmahlzeit der Mongolen. Sie ist ein bisschen erschrocken, als ich hinter dem Mädchen mit den geflochtenen Rattenschwänzen das Zelt betrete. Ich soll mich auf ein Bett setzen. Ich weiß gar nicht wie mir geschieht – hatte ich doch noch vor wenigen Stunden darüber nachgedacht, wie gerne ich mal so eine „echte“ Jurte von innen sehen würde. Jetzt sitze ich mitten drin! In der Mitte steht wie gewohnt ein Holzofen aus Eisen. Rechts und links davon befindet sich jeweils ein ganz einfaches Holzbett, das mit Teppichen abgedeckt ist. Im hinteren Teil der Jurte stehen bemalte Kommoden auf denen in großen Bilderwänden Fotos von Familienmitgliedern ausgestellt sind. Neugierig schaue ich mich um. Ich bekomme gleich einen Yakmilch-Tee angeboten, den ich dankend annehme, die Erfahrung habe ich ja schon gemacht. Dann kommt das Mädchen mit einem Korb voll unterschiedlicher Dinge: Da sind Klumpen, die aussehen wie feste Butter, helle Krümel und kleine Würmer, die aussehen wie gefrohrene Nudeln. Ich greife mir so einen Butterklumpen und koste vorsichtig ein Stück davon. Es ist tatsächlich Butter. Yakbutter. Salzig und süß zugleich.

Ich versuche mit den beiden zu kommunizieren. Ein drittes Mädchen gesellt sich dazu. Ich erfahre, dass sie in der Schule Englisch lernt. Wir stellen uns mit „My name is…“ vor und zeigen mit unseren Fingern wie alt wir sind. Christian kommt irgendwann dazu und auch die junge Mutter mit dem kleinen Mädchen kommt rein. Außerdem eine weitere Frau, die mich freundlich anlächelt.

Wir wechseln die Jurte. Direkt nebenan befindet sich sozusagen die „Wohnzimmer-Jurte“. Hier gibt es einen Kühlschrank und eine große Kühltruhe. Einen Fernseher und eine Musikanlage. An den Wänden hängen die Wandteppiche, die wir schon auf dem Schwarzmarkt bewundert haben und vor Kopf ist eine kleine Ausstellung mit Medaillen und Urkunden zu sehen. Der Ofen im Raum ist schön warm und wir nehmen wieder Platz auf einem Bett, das als Ablagefläche für allerlei Klamotten dient. Ich schaue mir die Auszeichnungen an und erfahre, dass die Frau mit dem netten Lächeln diese für ihre Arbeit als Stylistin bekommen hat.

Uns werden Fotos gezeigt, erneut bekommen wir Yakmilch-Tee. Dazu gibt es frittiertes Gebäck. Das älteste Mädchen holt ihr Englischbuch raus und wir gehen ein paar Sätze durch. Bei der Zahlen-Lektion erfahren wir, dass die Kleinste 1 Jahr alt ist, das andere Kleinkind 4, das kleine Mädchen 9 Jahre alt ist, das Schulmädchen 12, die junge Mutter 25 und die Stylistin 34 Jahr alt ist. Plötzlich greift die junge Mutter ein: „Tsetserleg“, sagt sie und deutet auf die Vier und dann auf die Zehn. 40.000 T? Das war aber anders vereinbart, denken wir und versuchen zu erklären, dass sie eben zur Hälfte des Preises zugestimmt hat. Sie schüttelt ungläubig den Kopf. Dann wird Papier und Stift herausgekramt um klar zu stellen: 20.000 T war der Preis für eine Person. Für zwei macht es also 40.000 T. Wir fühlen uns vor den Kopf gestoßen. Hat sie doch eben noch eindeutig zu der Vereinbarung zwei Personen für 20.000 T eingewilligt. Die Atmosphäre wird kurzzeitig angespannt. Die Älteste im Raum greift ein und schlägt vor für eine Person 15.000 T zu nehmen, das macht dann 30.000 T für zwei. Wir versuchen es mit 25.0000 T für zwei, doch darauf gehen sie nicht ein. Wir geben nach und einigen uns auf die 30.000 T für zwei. Sofort ist die Stimmung wieder gut. Die Verhandlungsmaterialen werden verstaut und die Mädchen ziehen sich für die Schule um. Es ist 13 Uhr, eine unübliche Zeit um in die Schule zu gehen.

Endlich kommt der Vater mit in den Raum, wir können los.

IMG_2479

Von den zwei „großen“ Mädchen verabschieden wir uns, die Kleinen kommen mit.

Doch bis wir endlich losfahren vergehen nochmal knappe zwei Stunden. Wir fahren im Ort von Tür zu Tür, unsere Fahrer steigt immer wieder aus, bringt irgendetwas hierhin und holt etwas anderes dort ab, steigt auf ein Motorrad und verschwindet. Jedesmal wenn er mit einer Kurbel an der Motorhaube seinen Jeep ankurbelt hoffen wir, dass es jetzt endlich losgeht.

Ein weiterer Mann steigt ein, dann noch ein Junge. Wir sitzen nun hinten zu fünft: Wir beide, das vierjährige Mädchen auf Christians Schoß und der Junge auf dem Schoß des Mannes.

An der Tankstelle am Ortseingang gehen wir tanken. Die Mutter verlangt Geld von uns. Nein, wir wollen hinterher bezahlen. Doch, doch, sie braucht das Geld zum Tanken. Ok, wir geben ihr 10.000, den Rest gibt es bei Ankunft in Tsetserleg. Nein, nein, alles Geld! Widerwillig reichen wir ihr unsere 30.000 T. Kurzfristig macht sie den Anschein als wolle sie mehr von uns, immerhin bezahlt der Mann demonstrativ mit einem 20.000-er. Nein! Wir haben 30.000 T ausgemacht! Basta. Sie gibt sich zufrieden. Wir können endlich losfahren!

Unser Fahrer holt alles aus seinem Auto raus. Obwohl der Wagen bestimmt 30 Jahre alt ist (oder mehr), jagt er mit uns durch die Steppe als gälte es ein Rennen zu gewinnen. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Und alles ohne Gurt natürlich… Den Kindern scheint es Spaß zu machen. Die Kleine vorne quietscht vergnügt, das Mädchen auf Christians Schoß freut sich erst über jede Bodenwelle und schläft dann trotz Achterbahnfahrt ein.

IMG_2484

Achterbahnfahrt in der Uraltkutsche.

IMG_2485

Mutter und Kind im Schleudersitz.

Zeitweise scheint es als habe der Fahrer die Kontrolle über sein heulendes Gefährt verloren, wie poltern über Hügel und durch Pfützen, dann reißt er das Steuer wieder rum und erlangt damit die Kontrolle zurück.

Wir sind erleichtert als endlich die asphaltierte Straße beginnt. Doch anstatt gemächlich auf der rechten Spur zu fahren, orientiert er sich am Mittelstreifen und fährt dabei immer noch Schlangenlinien. Anscheinend ist das Spiel seines Lenkrades so extrem, dass er sich lieber viel Platz an den Seiten lässt. Sobald uns jedoch ein Auto entgegen kommt, weicht er glücklicherweise auf die rechte Fahrbahnseite aus.

IMG_2488

Zwischenzeitlich halten wir dann nochmal aus unterschiedlichsten Gründen an.

Mal muss irgendetwas unter der Motorhaube geschraubt, ausgetauscht oder einfach nur mit dem Schraubenschlüssel abgeklopft werden, mal machen wir bei einer Jurte Halt und kaufen ein paar Flaschen Yakmilch zum Soforttrinken.

IMG_2491

Als die Kleine plötzlich die Hosen runter lässt und im Stehen pinkelt, stellt sie sich dann doch als Junge heraus.

Auch seine jüngere Schwester erweist sich mit nacktem Popo als kleiner Gingis Kahn. Wie falsch man Zöpfe und Spangen interpretieren kann…

Während der Fahrt lernen wir von den Kindern noch eine wichtige Lektion in Sachen Müllentsorgung: Flasche leer – Fenster auf – Flasche raus. So einfach ist das!

Endlich erreichen wir Intamir, der kleine Ort kurz vor Tsetserleg. Doch die junge Mutter zerschlägt unsere Freude und die gute Stimmung an Bord, als sie uns ihr Handy unter die Nase hält: Bis nach Tsetserleg seien es nochmal 10.000 T (wahrscheinlich auch noch pro Person)! So ein Quatsch, widersprechen wir, es war vereinbart bis nach Tsetserleg seien es für beide 30.000 T. Sie stellt sich unwissend. Nein, versucht sie uns auf Mongolisch beizubringen, die Vereinbarung gelte nur bis Intamir. Wir sind empört. Ich weiß nicht ob ich weinen oder lachen soll. So eine Dreistigkeit! Von Intamir war nie die Rede gewesen.

Sie deutet uns allen Ernstes wir sollten jetzt aussteigen und die 20 km bis Tsetserleg laufen. Wir weigern uns, deuten ihr, dass wir eine Abmachung hatten und dass sie uns gefälligst bis Tsetserleg bringen sollen. Sie bespricht sich mit ihrem Mann, dem sie wahrscheinlich ihr Storry als sie echte verkauft. Da wir uns jedoch weigern das Auto zu verlassen und sie zum Glück vor Gewalt noch zurückschrecken, kurbelt er bald seine alte Kiste wieder an und wir fahren weiter Richtung Tsetserleg.

Kaum haben wir den letzten Berg erklommen und die Aimaghauptstadt kommt in Sicht, geht das Auto entgültig aus und auch nicht mehr an. Wir nutzen den Moment, greifen unsere Taschen und verschwinden. Ich bin unglaublich enttäuscht von der Situation. Wie kann etwas gleichzeitig so schön und doch so erschütternd sein?

In Tsetserleg laufen wir die paar Kilometer bis zum Fairfield. Wir vereinbaren Zelt und Isomatten am nächsten Morgen um 7 Uhr abzugeben. Da wir für die nächste Nacht sowieso zahlen müssen, wollen wir sie auch nochmal im Zelt nutzen.

IMG_2493

Auf dem Weg zu unserem Schlafplatz etwas außerhalb der Stadt haben wir einen schönen Blick auf den örtlichen Tempel.

Die letzte Nacht ist die kälteste. Immer wieder werden wir wach, weil unsere Schlafsäcke den Minusgraden nicht gewachsen sind. Obwohl wir alle unsere Klamotten anhaben, frieren wir doch und stehen morgens ausgekühlt um 6 Uhr auf. Die äußere Zelthülle ist von beiden Seiten gefrohren, der Boden ist steinhart und alles ist mit Raureif überzogen. Mit tauben Fingern wickeln wir das Schrottizelt ein – das war’s!

IMG_2495

So trocknet der Schlafsack und hält mich gleichzeitig warm!

Wir stapfen zurück in die Stadt und geben Zelt und Isomatten zurück, holen unsere gelagerten Klamotten ab und laufen dann schnell zur Busstation, wo bereits sowohl der öffentliche Bus, mit dem wir auch nach Tsetserleg gekommen sind, als auch ein Minibus bereitstehen. Da der Minibus billiger und angeblich auch schneller ist, entscheiden wir uns für letztere Variante. Zusammen mit der Britin, die uns in ihrem Landrover über die Insel gefahren hatte, treten wir die Rückreise nach Ulaanbaatar an. Eine Erfahrung, die wir so schnell nicht wieder machen müssen…

One response


Do you want to comment?

Comments RSS and TrackBack Identifier URI ?

Hallo ihr zwei! Ich freue mich immer, von euch zu lesen und bin in Gedanken bei euch! So spannend, was ihr alles erlebt! Ganz liebe Grüße aus dem spätsommerlichen Berlin! Verena

11. September 2011 17:33

Comment now!
















Trackbacks