Der Minibus ist so voll wie er voller nicht sein könnte. Es gibt drei Sitzreihen. Die erste, mit dem Rücken zu Fahrer und Beifahrer, ist ausgelegt für drei Personen, die beiden anderen Reihen schauen in Fahrtrichtung. Ein Klappsitz erweitert die zweite Reihe auf ebenfalls drei Plätze. Auch die letzte Reihe hat drei Plätze. Durch eine seitliche Schiebetür werden innerhalb von 15 Minuten zwölf Personen plus Gepäck auf zu wenig Plätze verteilt. Da das Gepäck zwischen die Rückenlehnen von Fahrer bzw. Beifahrer und erste Sitzreihe gequetscht wird, bekommt die erste Reihe eine leichte Neigung nach vorne, wodurch es noch enger wird. Und genau dort werden wir hin platziert, Knie neben Knie mit unseren Gegenübersitzenden. Ich sitze am Fenster. Mir gegenüber eine ältere Dame in traditionellem Mantel, die von der jungen Mongolin neben ihr ein Tütchen „Samar“ – Pinienkerne zum aus der Hülle knacken, die Lieblingsbeschäftigung aller Mongolen – von der Straßenverkäuferin mitgebracht bekommt. Die Britin, die uns in ihrem Landrover mitgenommen hatte, sitzt auf dem Klappsitz ganz außen. In der Reihe hinter ihr vier junge Mongolen. In unserer Reihe sitzt ebenfalls ein junger Mann. Als wir schon glauben, der Bus sei mit 10 Personen auf 9 Plätzen voll, wird zwischen die Britin und die junge Mongolin eine Tasche als Sitzersatz gequetscht, auf der sich ein dicker, wankender und durch schläfrige Augen schielender Mann mittleren Alters breit macht. Ihm gegenüber setzt sich, direkt zwischen Christian und den jungen Mann, ein alter Mongole, der anscheinend zu dem pflegebedürftigen Dicken dazugehört. So massiert er ihm während der Fahrt den Kopf und lässt ihn auf seinen Knien ausruhen. Wir sind uns nicht sicher, ob der Dicke mit dem offenen Hosenstall krank oder einfach nur fertig vom Gelage der letzten Nacht ist. Die Britin jedenfalls findet seine Versuche es sich auf ihr bequem zu machen „so not cool“, dass er jedes Mal, wenn sie sich wieder von seinem massiven Körper befreit, resigniert die Nase geräuschvoll hochzieht um es dann bei der jungen Mongolin zu seiner Linken zu probieren. Die ist jedoch ebenso wenig angetan von seinem Gelalle und Gehuste, dass sie ganz bleich wird im Gesicht und Anstalten macht, mir in den Schoß zu kotzen.

Mittlerweile haben wir schon ein paar Kilometer auf der buckeligen Piste zurückgelegt und haben es geschafft, den rauchenden Fahrer vom Anhalten zu überzeugen. Eilig verlässt die junge Mongolin mit vorgehaltener Hand die Enge und atmet draußen mit Tränen in den Augen die frische Morgenluft ein. Mit einer Tüte Chips ausgerüstet steigt sie zurück in den Bus. Doch als wir weiterfahren, kommen ihre Übelkeitsattacken wieder. Sie wünscht Frischluft, doch die feine Omi, die ununterbrochen ihre Nüsschen knackt, die sie aus ihrem linken Ärmel in ihre Handfläche schüttelt, gekonnt mit ihren Eckzähnen öffnet, gleichzeitig den Kern im Innern mit der Zunge aus den Schalen befreit und den Abfall aus ihrem Mund dann in ihre rechte Hand spuckt, welche sie von Zeit zu Zeit umständlich über mich hinweglehnend in den Aschenbecher in der Minibustür entleert, sieht das anders. Sie will das Fenster geschlossen halten, woraufhin die junge Frau wieder die Backen prustet und mir Angst und Bange wird. Sie beugt sich zum Fenster, ich helfe ihr – nicht ganz uneigennützig – dabei und sie erbricht sich bei voller Fahrt durch das geöffnete Fenster. Jetzt hat es auch die arrogante Omi erkannt: Die beiden tauschen Plätze. Mir ist das ganz lieb, da die junge Mongolin, genau wie wir, versucht sich klein zu machen. Die alte Dame hingegen macht es sich weiterhin bequem, lehnt sich auf ihrem Platz ganz zurück und streckt die Beine aus. Jetzt darf Christian mit ihr Kniedrücken.

Der besoffene Typ muss zum Glück nicht kotzen. Er sitzt auch zum Glück nicht auf unserer Seite. Das sind aber auch die einzigen positiven Aspekte dieser Reise. Nach neun Stunden Fahrt erreichen wir in Hitze, Staub und Smog endlich die Hauptstadt. Im Bus herrscht mittlerweile eine aggressiv angespannte Atmosphäre. Zurücklehnen ist auf unseren nach vorn gekippten Sitzen unmöglich, Pobacke wechseln auch. Der Hintern brennt, der Rücken zwickt. Es werden unsere bislang längsten neun Stunden Fahrt.

Zusammen mit der Britin warten wir am Busbahnhof auf ihren Taxifahrer, der sie ins „Oasis Guesthouse“ (zur Erinnerung: Deutsch-österreichische Leitung, Käsekuchen und gut situierte Reisende mit neiderregenden Geländewagen) bringen soll. Doch nach so einer schrecklichen Fahrt taucht der Taxifahrer, der bei mehrmaligen Anrufen jedes Mal beteuert er sei „right there“ oder „there in a minute“, natürlich auch nach halbstündiger Wartezeit nicht auf.

Todesmutig überqueren wir die zwei stark befahrenen Fahrbahnen, ein Auto hält, ohne dass wir ein Zeichen geben müssten. Wir springen rein, Wegbeschreibung folgt während der Fahrt. Bei dichtem Nachmittagsverkehr schlängeln wir uns hupend, bremsend und beschleunigend durch die staubige Stadt. Am Department Store lassen Christian und ich uns rausschmeißen. Der Britin drücken wir ein paar Tausender in die Hand und verabschieden uns eilig.

Zum Glück gibt es im Golden Gobi noch Betten. Leider nur im 8-Bett-Zimmer. Vorerst ist uns das aber egal. Wir sind so müde von all den Strapazen der letzten Tage, den eisigen Nächten, den anstrengenden Verhandlungen mit der mongolischen Familie, dem spärlichen und unregelmäßigen Essen, dass wir nur schnell noch etwas kochen und dann in unsere Betten fallen.

Leider wird diese Nacht wenig erholsam. Mit uns im Zimmer befindet sich nämlich die norwegische Party-Truppe, die nach und nach zwischen zwei und vier Uhr nachts eintrudelt. Die meisten fallen einfach besoffen ins Bett und verfallen anschließend in monotones Schnarchen, einer jedoch fehlt und ruft daraufhin seine Kumpels auf ihren Handys an. Leider sind die in solch einem komatösen Zustand, dass sie das permanente Klingeln erst hören, nachdem wir sie wachrütteln. Danach ist endlich Ruhe.

Der nächste Tag ist fürs Schreiben reserviert. Ich habe einiges nachzuholen. Habe noch nichts über die Mongolei veröffentlicht, obwohl wir uns jetzt bereits seit 2 Wochen in diesem aufregenden Land befinden. Ich sitze bei den anderen Backpackern im Aufenthaltsraum, schmiere mir Marmeladenbrote und trinke Teekonzentrat mit heißem Wasser und Zucker.

Irgendwann gegen Mittag höre ich plötzlich die Stimmen von Guillaume und Jenny, dem französisch-deutschen Paar vom Baikal See. Die zwei sind gerade in UB angekommen und wissen noch nicht, was sie als erstes machen wollen. Wir freuen uns einander wieder zu sehen und tauschen uns ein wenig über vergangene Erlebnisse und anstehende Pläne aus. Wir hatten überlegt eventuell gemeinsam noch eine Reise zu unternehmen, doch wie es aussieht wollen Guillaume und Jenny am liebsten reiten gehen, uns hingegen zieht es in die Wüste Gobi. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Heute gibt es noch einiges zu erledigen: Ich beende nach 12 Stunden Schreiben meine zwei Einträge, wir lassen für 20.000 T (11 Euro!!) drei Maschinen Wäsche waschen und trocknen, dann verlassen wir das nach Alkoholfahne stinkende Party-Zimmer und gönnen uns den Luxus eines Doppelzimmers für 20 US$ die Nacht. Die nächste Nacht wird deutlich angenehmer.

Am nächsten Morgen treffen wir uns nach dem Frühstück mit Guillaume und Jenny. Allard, der von seiner Gobi-Tour zurück ist, sein japanischer Kumpel und eine etwas anstrengende Israelin sind ebenfalls dabei. Wir trinken Süütai-Tsai und beratschlagen wer was machen will und mit wem. Die einen wollen reiten gehen, die nächsten in die Gobi, andere weder noch. Nach vielem Hin und Her beschließen wir mit Jenny und Guillaume in die Wüste zu fahren. Allard zieht es allein nach Tsetserleg und zum „White Lake“, wo wir gerade herkommen. Der Japaner will lieber nicht so weit weg, da ihm nur noch wenige Tage in der Mongolei verbleiben und die Israelin will lieber reiten gehen.

Mit unseren Rucksäcken ziehen wir um vom Golden Gobi ins Edelweiss Hostel, in dem Guillaume und Jenny wohnen. Dann schwärmen wir aus. Christian und ich kaufen für uns alle vier Tickets nach Dalanzadgad (Даланзадгад), der Hauptstadt der südlichen Gobiprovinz Ömnögov, für den nächsten Morgen. Danach kaufen wir uns nach langem Überlegen Zugtickets für den 24. September von Ulaanbaatar nach Beijing. Jetzt sind wir zeitlich festgelegt. Wir stellen fest, dass wir keinen Tag später hätten ausreisen können. Am 25. September läuft uns vierwöchiges Visum für die Mongolei ab: Wie schnell die Zeit vergeht!!

Zurück im Hostel haben Jenny und Guillaume einen Gaskocher und einen Topf zum Kochen organisiert. Den Kocher können wir kostenlos vom Hostel leihen. Auch unsere Klamotten können wir kostenlos hier deponieren. Zusammen mit Mat, einem in Südkorea als Englischlehrer arbeitenden US-Amerikaner, gehen wir alle abends Burger essen. Dazu gibt’s Bier und Oktoberfestgeschichten!

Am nächsten Morgen geht es früh raus. Um zehn vor sieben holt uns ein Taxi am Hostel ab, das uns bis zum Busbahnhof bringt. Der Luxus hat seinen Preis: Die Fahrt kostet 10.000 T (5,55 €)! Aber jetzt sind wir ja zu viert. Unsere Sachen werden gleich in die hintere Ladeklappe des einfahrenden Busses verfrachtet. Der Bus ist auffällig klein, zwar kein Minibus aber dennoch viel kleiner, staubiger und klappriger als der schicke Überlandbus, mit dem wir nach Tsetserleg gefahren sind. Wir nehmen unsere Plätze auf der hinteren Sitzbank ein. Alle vier nebeneinander und auf den letzten Platz passt noch ein kleiner Chinese, der für den Mittagshunger ein Paket „Mr. Chicken“ bei sich trägt.

Wir beobachten wie der Bus sich füllt; Erst mit Menschen, dann mit Päckchen, dann wieder mit Menschen, dann noch ein paar Taschen und Pakete. Zum Schluss ist der Bus so voll, dass wir uns bei den seltenen Pausen über die Stapel Päckchen und Taschen hangeln müssen.

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Der Bus ist voll!

Die erste Stunde verbringen wir im stockenden Morgenverkehr von Ulaanbaatar, da unser Bus erst vorgetankt werden muss.

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Nach sieben Stunden erreichen wir endlich Mandalgov zur Mittagspause.

In der letzten Reihe hat man zwar den Überblick über den ganzen Bus, man hat aber auch den größten Hebel wenn es um das Umfahren bzw. Überfahren von Bodenwellen, Matschlöchern und Erdhügeln geht: Wir fliegen regelmäßig bis an die Busdecke und müssen aufpassen nicht einander auf dem Schoß zu landen. Die Beinfreiheit ist durch die engen Sitzreihen so gut wir gar nicht vorhanden und so verbringen wir eingequetscht und uns gleichzeitig festklammernd weitere sechs Stunden, bis wir endlich die Lichter von Dalanzadgad am Horizont sehen. Da wir uns jedoch in einer Wüste befinden und man Dinge schon von sehr weit weg sehen kann, vergeht eine weitere gute Stunde im vom Mondlicht erleuchteten Bus bis wir um 22 Uhr endlich die staubige Provinzhauptstadt erreichen.

Innerlich noch schwankend nehmen wir unsere komplett eingestaubten Rucksäcke entgegen. Leider haben wir in Dalanzadgad nichts reserviert und so irren wir erst Mal eine gute Stunde der ungenauen und nicht mehr aktuellen Lonely Planet Karte folgend durch die dunklen Sandgassen der Stadt. Obwohl alles natürlich ganz einfach und ziemlich verbaut ist, sind wir doch erstaunt wie entwickelt und modern diese Provinzhauptstadt ist. Anscheinend hat der wachsende Tourismus hier in letzter Zeit viel Geld mitgebracht. Es gibt mehrere Hotels, die für uns eine oder gleich mehrere Nummern zu teuer sind und die Hauptstraße wird durch schöne Straßenlaternen beleuchtet, durch einen Parkstreifen begrünt und durch kleine Plätze und Statuen geschmückt. Als wir endlich ein Hotel finden, dass uns vier Betten zu passablem Preis (10.000 T pro Person) in einem Gemeinschaftszimmer anbieten kann, sind wir alle sehr erschöpft aber auch erleichtert, diesen anstrengenden Tag hinter uns gebracht zu haben.

Das durch ein paar Neonröhren erleuchtete Zimmer offenbart bei genauerem Hinsehen jedoch seine Tücken: Die „Dusche“ ist eher ein auf dem Boden liegender Regler, dessen Leitungen sich frei durch den kleinen fensterlosen Raum schlängeln und dabei nur kaltes Wasser spenden. Im Klo erwartet uns eine kleine Hinterlassenschaft von unserem Vorgänger, die Spülung funktioniert widerwillig durch das Ziehen einer Schnur und der Mülleimer sondert ununterbrochen unangenehme Gerüche ab, so dass es jedes Mal eine Überwindung ist, ihn tatsächlich auch für das Klopapier zu nutzen. Das Wasser am Waschbecken läuft, aber leider auch nur kalt. Ansonsten ist alles etwas dreckig und heruntergekommen: Die Deckenplatten haben Wasserflecken, die Badezimmerdecke ist eingebrochen, unterm Waschbecken ist ein großes Loch aus dem alle Leitungen klaffen, ein Fenster lässt sich nicht schließen und die Heizung funktioniert nicht. In der Ecke steht ein Eimer mit dreckigem Wasser drin, die Holzbetten mit traditioneller Bemalung sind wackelig oder fallen halb auseinander. Der einzige Hingucker ist ein Wackelbild Bild der Portraits dreier Wölfe in 3-D Optik.

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Einen Luxusartikel gibt es dann doch noch: Das Zimmer verfügt über einen eigenen Fernseher!

Auf gewohnt harten Betten schlafen wir bald ein, morgen wollen wir fit sein, um uns einen Fahrer und einen Jeep zu organisieren.

Während des Frühstücks kommt ab und zu ohne Ankündigung ein gebeugt laufender Mongole in dreckigen Klamotten, offenem Hosenstall und schwarzen Fingern ins Zimmer geplatzt und schraubt in unserem Badezimmer herum, dreht hier mal einen Hahn auf und da mal einen zu, so dass sich Wasser unbekannter Herkunft aus einem Schlauch, der aus dem Loch unterm Waschbecken ragt, über unseren Badezimmerboden ergießt. Glücklicherweise verschwindet aber alles Wasser in einem Loch, das als Abfluss dient. Am Ende haben wir sogar warmes Wasser. Leider haben wir zu dem Zeitpunkt schon alle kalt geduscht.

Dann geht es auch gleich los. Unser Gepäck deponieren wir noch im Hotel. Wir wollen jemanden finden, der uns möglichst günstig durch die Wüste fährt, geplant sind sieben Tage, ab heute. An einer Werkstatt sprechen wir den ersten Geländebullifahrer an, der uns über den Weg läuft. Er spricht überraschender Weise ein paar Brocken Französisch. Nachdem wir ihm unser Anliegen erklärt haben, ruft er jemanden an und fährt uns dann zum Busparkplatz, wo noch andere Bullifahrer neben ihren typischen grauen Geländebullis zusammenstehen und quatschen. Wir werden verschiedenen Fahrern vorgeführt. Die Kommunikation ist nicht so leicht, doch ab und zu tauchen immer wieder Übersetzer auf, die wunderbar Französisch sprechen. Guillaume führt in unserem Namen die Verhandlungen. Erst sind es 800 T pro Kilometer (etwa 44 ct). Fahrer und Benzin inklusive. Wir nehmen die Umgebungskarte eines Fahrers zur Hand und schätzen, dass wir ca. 1000 km unterwegs sein werden. Wir schlagen unsere Route vor, werden aber gleich mit Kopfschütteln abgewiesen. Nein, es soll eine andere Route sein. Natürlich eine mit mehr Kilometern. Einer der Fahrer will uns für 700 T pro Kilometer erst durch die Wüste und dann zurück nach UB mitnehmen. Sein Angebot klingt verlockend, nur leider will er viel früher als wir wieder in UB sein. Also nein. Die Verhandlungen geraten ins Stocken. Jenny und ich wollen uns anderswo umhören. Wir laufen um die Ecke und sehen eine weitere Ansammlung von Geländebullis. Kaum haben wir einen Fahrer angesprochen sind wir umringt von jungen Männern, die uns immer näher kommen und wie wild auf uns einreden. Wir halten Geldbeutel und Taschen fest und versuchen uns auf ihre Verhandlungen einzulassen. Hier wird pro Tag verhandelt. Sie wollen 70.000 T pro Tag (ca. 38 €), plus Benzin, das bei einem Verbrauch von etwa 20 Liter pro 100 km und bei einem Preis von ca. 1.500 T  (knapp 1 €) pro Liter liegt. Wir rechnen, versuchen zu handeln, doch die Jungs lassen nicht mit sich reden Jeder will der Fahrer sein, zeigt uns seinen Bulli. Wir fragen nach Zelt und wo wir schlafen könnten, die Jungs machen blöde Witze, immerhin wissen sie nicht, dass wir eigentlich zu viert sind.

Wir lösen uns wieder von der Männertraube und flüchten zurück zu unseren Jungs, die mittlerweile auch bei der Tagespauschale angekommen sind. Einer bietet 55.000 T pro Tag (ca. 30 €) plus Benzin natürlich. Er habe auch ein Zelt und Matten zum Schlafen, die wir kostenlos benutzen dürften. Wir rechnen. Kein schlechtes Angebot. Plötzlich kommt ein anderer Fahrer und verlangt für das Gleiche 70.000 T. Kurzfristig sieht es so aus, als sollte das ursprüngliche Angebot nicht mehr gelten. Bevor sie es sich anders überlegen, fertigt Christian einen kleinen Vertrag an und lassen unseren Fahrer unterschreiben.

Jetzt heißt es einkaufen gehen. Für sieben Tage und fünf Person, da wir den Fahrer auch durchfüttern müssen. Es folgen zwei Stunden hin und her laufen und fahren durch Dalanzadgad, vom Supermarkt auf den Markt und zurück in den Supermarkt. Eingedeckt mit vielleicht zwanzig 1,5 Literflaschen Wasser, zwei Kilogramm Kartoffeln, einem Kilo Möhren, Tomaten, Äpfeln, Kohl, Buchweizengries, Nudeln, normalem Gries, Reis, Dosen voll Tomatensoße, Erbsen, Fleisch, einem Paket Zucker, einem Päckchen Salz, einer Flasche Wodka, zwei Flaschen Cola und mehreren Dosen Bier, machen wir uns endlich auf die Reise. Unser Fahrer Tuvshin hilft uns noch Tickets für unsere Rückfahrt am 21. September zu organisieren. Am Ende machen wir noch beide Tanks seines Autos für insgesamt 112.000 T (ca. 62 €) voll.

Als wir Dalanzadgad verlassen begegnen uns unsere ersten Kamele.

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Tuvshin muss für uns anhalten, damit wir unsere Tourifotos schießen können.

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An unserem ersten Tag kommen wir nicht so weit. Wir fahren gerade noch zum Eingang des Nationalparks um unsere Eintrittskarten zu kaufen und uns in den Souvenirjurten umzuschauen. Dann verlassen wir den Parkeingang wieder und fahren zurück zu einem verlassenen Ger Camp, das nach Tuvshins Angaben ihm gehört. In der Küchenjurte kochen wir Nudeln mit Tomatensoße für alle.

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Leider gibt es in unserer Jurte keinen Ofen und so wird die Nacht recht frisch.

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Am nächsten Morgen verlassen wir nach einem gemütlichen Frühstück, bei dem wir eine alte mongolische Dame zu Gast haben, an der wir unsere Mongolisch Kenntnisse unter Beweis stellen können, das Camp Richtung Nationalpark. Wir wollen zu Yolyn Am, einer Schlucht in der es ganzjährig Eis geben soll – außer zwischen Juni und September.

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Auf dem Weg in die Schlucht.

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Natürlich bekommen wir kein Eis zu sehen. Dafür aber jede Menge Murmeltiere und gluckerndes Eiswasser.

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Auf einer Anhöhe genießen wir die wunderbare Aussicht.

Zurück bei Tuvshin kochen wir uns erst Mal ein leckeres Mittagessen auf unserem Gaskocher. Es gibt Buchweizen mit einer Zwiebel, einer Dose Fleisch und ein bisschen Gemüse. Dazu die restlichen Nudeln mit Soße vom Vorabend. Anschließend fahren wir weiter in Tuvshins Wohnort Bulgan Sum. Zunächst sehen wir die örtliche Wasserquelle: Eine tatsächliche Quelle, mitten im rötlichen Sand, bei der sich alle bedienen können. Über ein Rohr wird das Wasser teilweise weitergeleitet, in Richtung der Gärten der Dorfbewohner. Dort sind alle beschäftigt. Graben, jäten, ernten. Wir sind überrascht und beeindruckt. Die Wüste bringt Melonen, Kartoffeln, Karotten, Kohl und Zwiebeln hervor.

Im Tante-Emma-Laden holen wir eine beleibte und recht mürrisch wirkende Frau ab, von der wir einfach mal annehmen, dass es sich um Tuvshins Frau handelt. Tuvshin fährt uns bis in den Hof vor seinem Steinhaus. Eine Jurte ist ebenfalls auf dem sandigen Platz aufgebaut. Wir werden ins Haus gebeten. Zunächst betreten wir durch eine Schwingtür einen Zwischenraum. Hier gibt es ein Waschbecken mit Wasserbehälter oben und Eimer unten, eine Waschmaschine und hinter einer Tür so etwas wir einen Arbeits- und Lagerraum. Über drei Steinstufen gelangen wir durch eine zweite Holztür in das Wohnhaus. Rechts geht die kleine Küche vom Flur ab. Ein flüchtiger Blick zeigt einen typischen Holzofen, vor dem ein großes Stück rohes Fleisch liegt.

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Das Fleisch hat Guillaume ausgespart.

Wir werden nach links in das Wohnzimmer geführt. Im vorderen Teil nehmen wir auf einer bequemen Couch, auf der ein länglicher Teppich liegt, Platz. Vor uns befindet sich ein niedriger Tisch, der gleich mit Bonbons, Brotscheiben, Tassen, Schwarzteebeuteln und unnatürlich buntem Gebäck in rosa und gelb gefüllt wird. Eine große Thermoskanne voll dampfend heißem Wasser bekommen wir auch gereicht und gleich wird uns eingeschenkt.

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Zu viert auf der Couch haben wir den Blick frei auf das richtige Wohnzimmer: Nach einem Bogen, der den Raum teilt, befindet sich an der rechten Wand eine weitere Couch, uns gegenüber thront ein großer Flachbildfernseher neben einer Musikanlage. Links stehen unterhalb der Fenster kleine Schränkchen. An den Wänden hängen zu allen Richtungen große Teppiche mit traditionellen Mustern. Auch auf dem Boden befindet sich im Wohnbereich Teppich, vor unserer Couch liegt ein Linoleumboden aus. Ein bisschen beschämt-verdattert sitzen wir da, essen artig ein paar bunte Gebäcke, die unabhängig von ihrer Farbe alle nach Ananas schmecken, und schlürfen unseren Tee. Mal kommt jemand rein, dann geht mal wieder jemand raus.

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Dem Haus gegenüber, direkt am Zaun, befindet sich das Plumpsklo. Auf dem Weg zurück ins Haus erhasche ich einen Blick in das dritte Zimmer des Hauses, direkt gegenüber von der Eingangstür. Es ist leer und mit Teppichen ausgelegt. Ein Meditationsraum?

Ein rotznasiges Mädchen klebt am Bein von Tuvshins Frau. Die Tochter? Die Enkelin? Nein, die Tochter eines Nachbarn. Tuvshin deutet auf ein Bild an der Stirnseite des Wohnraumes über dem Fernseher, das seine Familie vor etwa 20 Jahren zeigt. Seine Frau, ihn und davor drei Jungs. Seine Söhne sind bereits in unserem Alter, deutet er uns.

Tuvshin führt uns in den leeren Raum, der sich als unser Schlafraum entpuppt. Wahrscheinlich dient der Raum normalerweise als Schlafplatz für Tuvshin und seine Frau. Wir rollen Matten und Decken aus und machen es uns gemütlich. Dann gibt es Essen. Wieder versammeln sich alle um den niedrigen Tisch im Esszimmer. Jeder bekommt eine Schüssel voll Suppe: Klare Brühe mit länglichen Nudeln, Rübchen-, Kartoffel- und Möhrenstreifen und dunklem Fleisch. Tuvshin hält einen weißen schlanken Knochen, von dem er uns Fleisch und Fett auf die Hand schneidet. Wir schlürfen unsere Suppen und wissen nicht so ganz was wir mit dem wabbeligen Stück Fett in unserer Hand tun sollen. Ich versuche das Bisschen Fleisch zwischen den glänzenden Fettstreifen heraus zu lutschen, doch so ganz will mir das nicht gelingen. Da fasst sich Jenny ein Herz und steckt sich ihren walnussgroßen Fettknubbel in den Mund. Ich tue das gleiche. Wir kauen, wissen jedoch beide, dass man Fett nicht kauen kann. Man muss es schlucken. Doch wann haben wir schon mal so ein riesiges Stück pures Fett einfach runter geschluckt? Nicht drüber nachdenken, runter damit! Gedacht – getan – weg ist er. Und so schlimm war es gar nicht. Die Jungs verzichten auf ihre Fettknubbel, wir Mädels fühlen uns wie richtige Mongolen. Tuvshin und seine Frau machen es uns vor: Sie lieben pures Fett!

Als wir unsere Schalen leer gegessen haben, bekommen wir wieder aufgetan. Widerreden gibt es nicht, Tuvshins Frau kennt keine Gnade. Wir sollen wohl alle noch so dick werden wie sie. Meine letzte Portion muss Christian essen, was er die ganze Nacht bereut. Wir sind vollgefuttert wie an Weihnachten.

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Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von der immer noch etwas unfreundlichen Hausherrin.

Zunächst holen wir noch Wasser bei einer hutzeligen Frau ab und füllen damit einen großen Wasserkanister. Dann verlassen wir Bulgan Sum Richtung Bayan Zag (Баянзаг), im Lonely Planet als „Flaming Cliffs“ bezeichnet.

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Jenny in Action: Der weiche Sand der Klippen lädt zum Herumtollen ein!

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Wüstenblumen

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Die kleinen flinken Eidechsen sind eigentlich ganz zutraulich.

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Winke-Winke!

Am Fuße der Klippen kochen wir wieder unser Campingmittagessen. Es gibt Reis mit Zwiebel, Knoblauch und einer dose Erbsen. Tuvshin tut uns schon ein bisschen Leid: Bei uns gibt es keine Fettknubbel, das Essen schmeckt auch lang nicht so gut wie bei seiner Frau und unser Fleisch ist weich und kommt aus der Dose. Doch Tuvshin beißt die Zähne zusammen und probiert von allem.

Weiter geht es, bis sich die Landschaft wieder verändert und wir bei ein paar mit Büschen bewachsenen kleinen Sandhügeln ankommen.

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Dort geht jeder seiner Wege und lauscht den Pfiffen der Murmeltiere.

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Hier muss es aber auch ziemlich große “Murmeltiere” geben…

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Blick zurück zu den “Flaming Cliffs”.

Tuvshin schlägt vor erneut bei ihm zu übernachten. Immerhin liegt es auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel. Wir sind erst unschlüssig: Was seine Frau wohl dazu sagen wird… Doch dann willigen wir ein: Bei ihm war es doch gemütlich und warm ist es auch. Also drehen wir wieder um und steuern erneut Bulgan Sum an, wo uns seine Frau mit gewohnt schlechter Laune empfängt.

Wir fragen gleich ob wir ihr in der Küche helfen können, sollen und dürfen, werden jedoch abgewiesen. Also beziehen wir unsere Schlafplätze und ruhen uns ein wenig aus. Irgendwann kommt sie rein und ruft uns Frauen zu sich. Wir sitzen mit ihr zusammen in der Küche auf kleinen Hockern und putzen Gurken. Nachdem wir alle weißen Pocken abgeschrubbelt haben, werden die Gurken in Gläser gequetscht, bis nichts mehr rein geht. In die Gläser hat sie vorher ein paar Senfkörner, schwarze Pfefferkörner und Lorbeerblätter geschüttet. Obendrauf kommen Zwiebelringe. Um zu zeigen was einmal daraus werden soll, öffnet sie ein Glas fertig eingelegter Gurken. Wir dürfen probieren, auch das Gurkenwasser sollen wir trinken. „Sahar!“, lernen wir – lecker!

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Endlich haben wir Älla, wie wir herausfinden, ein bisschen aufgelockert. Wir schälen, waschen und schneiden Kartoffeln, Möhren, Rübchen und Zwiebeln. Dann beobachten wir sie wie sie alles nacheinander in ihren riesigen Wok schmeißt, der durch das Herausnehmen von ineinander geschachtelte Eisenringe direkt auf dem lodernden Feuer im Innern des Ofens steht. Sie wirft Gewürze dazu. Tuvshin wird herbestellt und schneidet bei Kerzenschein ein riesiges Stück Fleisch in mundgerechte Häppchen. Mittlerweile ist der Abend angebrochen und da der Strom mal wieder ausgefallen ist, sitzen wir lange im Halbdunkeln bis eine Kerze nötig wird. Das Fleisch wird dazu geworfen. Alles kocht und brodelt. Wir werden angewiesen den Tisch zu decken. Ein Plastikbecher mit Besteck, Schälchen für alle und ein Glas Gewürzgurken. Wir bekommen bereits fertig gekochten Reis und dazu das Gemüse mit dem Fleisch aufgetan. Das Essen ist wunderbar lecker und diesmal dürfen wir uns selbst nachnehmen. Vollgegessen und müde schlafen wir ein.

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Bei so langer Belichtung sieht die Kerze fast aus wie eine Glühbirne!

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Tuvshins Haus mit Bulli.

Am nächsten Morgen geht es also endlich in die weite, unbewohnte  Wüste. Wir kaufen noch schnell ein paar Reserven in den verschiedenen Tante-Emma-Läden des Ortes: Kohl, Äpfel, Klopapier, Kekse und Süßigkeiten.

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Richtung Nord-Westen verlassen wir Bulgan Sum. Die Strecke ist relativ eben und so holt Tuvshin alles aus seinem alten Bulli heraus. Mit 90 km/h fliegen wir durch die Steppe. Zwischendurch bremst er plötzlich um nicht über die nächste Bodenwelle zu fliegen, dann gibt er wieder Gas. Nach etwa 30-minütiger Fahrt taucht vor uns plötzlich eine einsame riesige Sanddüne mitten in der Stein- und Strauchwüste auf. Wir sind erstaunt: Unser erster Sand! Anders als man sich so eine Wüste normalerweise so vorstellt, besteht die Wüste Gobi nur zu 3% aus Sanddünen. Der Rest sind Berge, Felsen, Steppe, Buschland, Hügel und Steine. Obwohl das ziemlich langweilig klingt, ist die Umgebung so abwechslungsreich, dass wir immer wieder staunen, wie plötzlich wir uns in einer komplett anderen Landschaft befinden.

Diese erste Dünen wollen wir aber besteigen! Leider hat Jenny ihre Jacke bei Tuvshin zuhause vergessen. Und da sie auf die nicht verzichten kann, fahren die beiden noch mal zurück. Wir anderen drei wandern gemächlich den steilen Sand empor und genießen von oben die Aussicht und bewundern die seltsamen Formen der Düne: Mal diffus weiche Wellen, dann geschnitten scharfe Kanten.

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Das ist Wüste.

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Wir laufen wieder runter und erkunden noch ein wenig die Umgebung.

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Wir treffen auf ein paar scheue Kamele, die wir schon von Weitem riechen.

Nach einer Stunde sind die beiden wieder da und wir fahren weiter. Wieder ändert sich ständig die Gegend. Wir können kilometerweit gucken, sehen die schneebedeckten Gipfel der Dreitausender in der Ferne. Hin und wieder fahren wir an einer Stallung vorbei, die aussieht wie ein Unterstand für Tiere, daneben meist große Felsbrocken, die zu einer halbrunden Wand aufgestapelt wurden. Wir lernen, dass dies die Winterquartiere der Nomaden sind, die hier hinziehen, sobald der erste Schnee fällt. Normalerweise im Oktober.

Kamele schauen uns aus sicherer Entfernung mit ihrem etwas trotteligen Aussehen hinterher. Wir holpern über dicke Felsen und fliegen durch flaches Grasland.

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Dann fahren wir plötzlich auf eine Jurte zu. Wir halten an, werden von den zwei Hunden begrüßt, eine Frau und ein Mann treten aus dem einsamen Zelt, auf dessen Dach weißer Käse trocknet. Tuvshin geht vor, redet ein wenig mit den beiden. Dann werden wir dazu gerufen. Wir betreten die Jurte, erst den Kopf, dann den rechten Fuß, dann den linken: „Sayna bayna uu?“, wir werden freundlich begrüßt und sollen uns vor Kopf auf den Boden setzten. Jeder bekommt gleich eine kleine Schüssel Süütai-Tsai gereicht. Wir sitzen im Schneidersitz gegenüber der Tür und mustern das Innere der Jurte: Sie ist klein und wird bis auf jeden Zentimeter genutzt. Rechts neben der Tür befindet sich eine große Milchkanne und andere Werkzeuge zum Schöpfen und Destillieren, anscheinend die hauseigene Brauerei und Schnapsbrennerei. Tuvshin gießt auch gleich aus einer ein Liter Plastikflasche eine durchsichtige Flüssigkeit in eine Trinkschale, von der wir alle kosten. Was genau das ist wissen wir nicht, wir vermuten aber selbstgebrannten Milchschnaps (Hзрмзл Aрхи). Viel können wir davon jedenfalls nicht trinken. Auf der linken Seite der Jurte liegt eine etwa 90 cm breite und ziemlich plattgelegene Matratze, auf der anscheinend beide schlafen. An den Wänden der Jurte sind Kleidungsstücke, Taschen und Fleischbrocken befestigt. Hinter uns befindet sich der Multimediabereich: Ein kleiner Fernseher, der uns auch sofort vorgeführt wird, betrieben durch eine Autobatterie, ein Handyladegerät und ein Receiver für die Satellitenschüssel, die draußen neben der Jurte steht. Wir sind beeindruckt. In der Mitte des Raumes natürlich der Ofen, auf dem die Frau in einem Wok voll Milch rührt. Hinter dem Ofen steht eine weitere große Milchkanne, in der anscheinend der Käse hergestellt wird. Wir bekommen von dem Käse zu kosten. Es ist Ziegen- und Kamelmilchkäse.

Vorsichtig fragen wir Tuvshin mit einer Geste ob wir Fotos machen dürfen. Er schüttelt sofort heftig den Kopf: Auf gar keinen Fall! Oh, denken wir, schade, dann besser nicht. Doch Tuvshin bricht in schelmisches Gelächter aus, hat er uns wieder veräppelt!

Tuvshin gießt fleißig nach. Jedes Mal wenn einer von der klaren Flüssigkeit getrunken hat, wir die Schale wieder voll gemacht und weiter gereicht. Wir nippen nur, Tuvshin hingegen hat bald die halbe Flasche geleert und liegt sogleich entspannt auf der Seite.

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Da sitzt er noch…

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Unsere beiden Gastgeber!

Schnell wird ein Mittagessen zubereitet: Die Milch aus dem Wok wird in eine Thermoskanne umgefüllt und dieser schnell mit ein bisschen Wasser direkt auf dem Feuer gereinigt. Dann nimmt die Köchin den Wok zwischen ihre Beine und gibt Mehl hinein, dem sie Wasser hinzufügt. Das Wasser schöpft sie jedes Mal mit einer rosa Plastikkelle aus einem Kanister, der vor der Jurte steht. Sie vermischt Mehl und Wasser und erhält schnell einen weichen hellen Teig, den sie glatt knetet. Ihr Mann rollt den Teig aus und formt einen großen Fladen. Alle gucken ganz gespannt zu wie der Fladen wieder auf der Mitte zusammengelegt wird, dann geviertelt und dann in längliche Streifen geschnitten wird. Das werden wohl Nudeln! Sobald alles fertig geschnitten ist, werden die Nudeln in kochendes Wasser geschmissen, das bereits im Wok auf dem Feuer blubbert. Dazu kommt getrocknetes Fleisch und ein paar Gewürze. Nach wenigen Minuten ist das Essen fertig.

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Wir haben unseren Tee ausgetrunken und bekommen jetzt die dampfende Suppe in unsere Schalen gegossen. Die Suppe ist so einfach und schmeckt doch so wunderbar, ich esse sogar meine paar Fettknubbel gern. Tuvshin freut sich über die verschmähten Knubbel der beiden Jungs. Der Schnaps ist leer und Tuvshin zeigt auf seine Uhr: Um 15 Uhr, also in einer viertel Stunde fahren wir weiter. Bis dahin schauen wir anderen uns ein bisschen draußen um. Wir suchen nach Halbedelsteinen, von denen hier viele einfach auf dem Boden herumliegen. Mit unserem Kauderwelsch Wörterbuch finden wir heraus, dass die Frau Tuvshins jüngere Schwester Tsetseg ist, ihr Mann Ganaa ist demnach Tuvshins Schwager. Zusammen haben sie zwei Kinder, die momentan anderswo zur Schule gehen. Wir erfahren, dass Tsetseg schon 38 Jahre alt ist, wir hätten sie auf Anfang 30 geschätzt. Wir befragen sie nach ihren Tieren. In einiger Entfernung können wir ihre Kamele (Temee) grasen sehen, in der anderen Richtung sehen wir ihre Herde Ziegen (Jamaa). Mit so vielen wertvollen Tieren scheinen sie sehr wohlhabend zu sein.

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Zum Dank für das leckere Essen lassen wir ihnen eine Packung Kekse und zwei Bier da, über die sie sich sehr freuen. „Bajar täj!“, winkend und grüßend verlassen wir die Jurte mitten im Nirgendwo.

Wir fahren ein paar Stunden weiter Richtung Norden. Als schon die Nachmittagssonne zu sinken beginnt fährt Tuvshin mit uns auf eine Anhöhe, die plötzlich vor uns abbricht.

IMG_6690 (Small)Uns bietet sich ein toller Blick, mit dem wir nicht gerechnet haben.

Tuvshin zeigt uns wo wir lang spazieren können. Wir stapfen durch die Hügel, mal auf dem Kamm, mal steil den Hang hinab. Auf einem Plateau bewundern wir Halbedelsteine und wagen den Blick in eine steile Schlucht, in die ein ausgetrockneter Wasserfall stürzt.

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Wir wissen gar nicht wo wir zuerst hinsehen sollen.

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Tuvshin erholt sich derweilen vom vielen Milchschnaps.

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Zurück am Auto steuert Tuvshin unser Nachtquartier an. Zwischen Felsen und auf getrockneten Bachläufen schlagen wir unsere Zelte auf.

IMG_2730 (Small)Das arme Pferdchen ist wohl zu platt um noch irgendwo hinzulaufen…

Nach einem leckeren Kohl-Kartoffel-Essen sammeln alle Holz und getrocknete Tierhaufen für ein knisterndes Feuer. Die Flasche Wodka und die Cola wird herausgeholt, Tuvshin trinkt pur. Der Abend wird lustig fröhlich bei warmem Feuer und leckeren Longdrinks.

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Tuvshin macht Quatsch.

IMG_2734 (Small)Zum Glück brennen die vertrockneten Büsche so wunderbar warm!

Als der Mond hell leuchtend aufgeht kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke. Durch den Wodka schlafen wir schnell ein, doch nach vier Stunden Schlaf ist für mich die Ruhe vorbei und ich muss das Zuviel an Wodka wieder in die mondhelle Steppe loswerden. In der Wüste ist es so still, dass man alles hört. Geängstigt von den Geräuschen der Wüstennacht bin ich schnell wieder im Zelt.

Nach dem Frühstück brechen wir unser Lager wieder ab und fahren weiter durch die Wüste.

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Unterwegs entdecken wir noch ein paar Ungewöhnlichkeiten: Pyramiden in der Mongolei?

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Echte Felsmalereien?

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Und Geier?!

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An einer buschbewachsenen Stelle hält Tuvshin an, um mit uns neues Feuerholz zu sammeln. Wir nehmen alles mit was vertrocknet und leicht raus zu rupfen ist und machen den Kofferraum voll mit Holz.

Endlich geht es in Richtung der großen Sanddünen, die Hauptattraktion der Wüste Gobi. Khongoryn Els (übersetzt “singender Sand”) ist mit ca. 100 km der längste Sanddünenstreifen in der Wüste, dessen Dünen am westlichen Ende bis zu 200 Meter hoch sind.

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Ich traue mich ganz nah an die gemütlichen Riesen heran.

Zunächst müssen wir noch am letzten Ger Camp des Grünstreifens vor den Dünen warten, da ein Filmteam sich die idyllische Szene für ihre Produktion ausgesucht hat.

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Auf dem Jurtendach trocknen wieder Käse und Mägen.

Wir werden in die Jurte eingeladen, wo wir mit getrocknetem Joghurt, angebratenem Rahm, der nach angebranntem Vanillepudding schmeckt und mit gebratenem Brot gegessen wird, und mit vergorener Stutenmilch (Airag) versorgt werden. Immer mehr Leute kommen in die Jurte, setzen und unterhalten sich. Als ein älterer Mann in traditionellem Outfit die Jurte betritt, wird schnell klar, dass er eine besondere Persönlichkeit ist. Er setzt sich mit seinen riesigen vorne spitz zulaufenden Stiefeln direkt neben mich. Er beäugt mich neugierig, ich schaue respektvoll zurück. Eine Übersetzerin, die sehr gut Deutsch spricht, gesellt sich zu uns und erklärt uns, dass es sich bei dem Herrn um einen berühmten mongolischen Schauspieler handelt, der die Hauptrolle in dem historischen Film spielt, der hier gerade gedreht wird. Der Film erzählt die Geschichte des Bogd Khan, dem letzten Khan der Mongolei und der berühmte Schauspieler spielt diesen Khan in seinem Erwachsenenalter.

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Am “Set” lässt es sich Tuvshin natürlich nicht nehmen, den jungen Darstellerinnen ein wenig zur Hand zu gehen…

Der Dreh zieht sich wie erwartet in die Länge und bevor die Sonne hinter den riesigen Sandhügeln verschwindet, sucht uns Tuvshin einen alternativen Zeltplatz auf einer kleinen Grasfläche zwischen einem kleinen Bächlein auf der einen und buschbewachsenen Hügeln auf der anderen Seite. Als die Dämmerung einsetzt stellt Tuvshin einen Wok, den er vom Ger Camp mitgenommen hat, auf drei Metallfüße und zündet darunter ein heißes Feuer an. Erst reinigen wir den Wok, dann kochen wir eine leckere Suppe, die fast so gut schmeckt wie die seiner Frau – nur das Fleisch und die Fettknubbel fehlen.

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Tuvshin entzündet ein zweites Feuer. Und so sitzen wir wieder lange zusammen und bestaunen den aufgehenden Mond, der den kleinen Bach in einen geschwungenen Silberstreifen verwandelt. Die Atmosphäre erinnert ein bisschen an Tausend und eine Nacht: Die Sterne funkeln über einen glasklaren tief blauschwarzen Nachthimmel, davor ragen die Dünen schwarz empor, es riecht nach Feuer und entfernten Kamelen. Kein Fotoapparat kann den Moment einfangen und so bleibt auch dieses Bild allein in unserer Erinnerung.

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Der nächste Morgen.

Nach dem Frühstück wollen wir die steilen Dünen besteigen. Der Aufstieg hat es schon mal in sich. Etwa eine Stunde lang kämpfen wir uns durch den feinen Sand, der unter unseren Schritten geschmeidig nachgibt, die Klippen empor: Himalaya-Training.

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Erste Etappe geschafft!

Der Wind weht kräftig und bevor wir den Kamm erreichen bläst er uns den Sand prickelnd ins Gesicht. Oben angekommen haben wir eine tolle Aussicht. Nur der nördliche Rand, auf dem wir jetzt stehen, ist so hoch. Richtung Süden werden die Dünen flacher und erstrecken sich auf eine Breite von ca. fünf Kilometern. Dahinter liegen spitze Berge. Wir können auch nach Norden in die flache Steppe schauen und unseren Weg ein wenig zurückverfolgen, auf dem wir gekommen sind.

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Doch vor allem bewundern wir wieder die Formen der Dünen. Wie mit dem Lineal gezogen schwingen sich die spitzwinkligen Kanten der Dünen. Zu den Seiten fallen sie steil ab oder schwingen sich in Täler zu weichen Formationen. Wir stapfen über den Grad, da wir dort am besten voran kommen.

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Schon von Weitem hören wir die dunklen Punkte ein paar Dünen weiter singen. Erst glauben wir es sei eine Touristengruppe, die ein paar Liedchen trällert, dann erkennen wir, dass es ein mongolisches Lied ist, das dort gesungen wird. Wir vermuten, die Touristen hätten sich ein paar Mongolen organisiert, die für sie „den singenden Sand“ besingen. Doch beim Näherkommen stellen wir fest, dass alle Personen mongolisch sind und alle gemeinsam aus voller Brust singen. Wir laufen an ihnen vorbei und hören ihrem schönen Gesang zu. Als ihr Lied zu Ende ist werden wir zurück gerufen. Sie wollen mit uns Fotos machen, bieten uns Wodka an, von dem sie schon fast eine ganze Flasche getrunken haben.

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Sie erklären uns, dass zwei von ihnen berühmte Sänger seien und dass sie hier ein wenig Urlaub machten. Dann fordern sie Guillaume auf die Berühmtheiten in allen möglichen Posen zu fotografieren. Mitten in den Dünen, ganz oben, beginnt eine spontane Fotosession!

Wir tauschen Nummern und Email Adressen aus, denn sie wollen die Fotos gerne haben. Dann verabschieden wir uns wieder und suchen uns einen Dünenberg zum Rasten. Obwohl wir nicht besonders weit gekommen sind, sind wir doch ziemlich angestrengt vom Laufen im feinen Sand. Vor allem Bergauf kommen wir kaum voran und daher schnell aus der Puste. Wir beobachten noch wie die ganze Truppe sich auf ihre Hintern setzt, bei den Händen nimmt und dann gemeinsam in jodelndem Geschrei die Düne herunterrutscht. Dann suchen wir uns einen windgeschützteren Ort und spielen ein wenig Strandurlaub mitten in der Wüste!

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Auf dem Weg wieder runter nehmen auch wir die Sandrutsche. Mit ein bisschen Anschubsen bekommt man richtig Geschwindigkeit und fährt auf dem brummenden Sand wie auf einer Welle nach unten.

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Wir sind ganz sandig und sonnenverwöhnt als wir wieder unser Lager erreichen. Ein Junge kommt auf seinem Motorrad vorbei und will uns Souvenirs aus Filz verkaufen: Kamele, Ziegen, Schuhe und Mäppchen. Anstatt ihm etwas abzukaufen, schenken wir ihm Bonbons.

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Drei Männer am Wok.

Wir kochen auf unserem Wok und bekommen Gesellschaft von einem Mann aus dem Ger Camp. Höflicherweise isst er auch ein bisschen von unserer Kartoffel-Reis-Gemüse-Pampe, der wir mit einer Dose Tomatensoße die richtige Konsistenz verpassen. Wir glauben am Ton seiner Worte zu verstehen, wie Tuvshin dem Besucher sagt: „Jetzt siehst Du mal was ich hier mitmachen muss“, woraufhin der andere ihm sein Beileid ausspricht. Wir lachen: Armer Tuvshin!

Nachdem die zwei Männer ihre Anstandsportion verspeist haben, verabschieden sie sich. Tuvshin schläft heute Nacht bei den anderen im Ger Camp und bekommt dort wahrscheinlich nochmal ein richtiges Abendessen. Wir bleiben zurück und verbringen unsere erste Nacht allein, ohne Tuvshin. Aber wir kümmern uns gut um unsere Feuer und so sitzen wir noch lange gesprächig zusammen.

Am nächsten Morgen heißt es wieder Aufbrechen und Abschied nehmen von den Dünen. Unsere letzte Nacht wollen wir in der Nähe eines Ortes verbringen, in dem wir erst mal unsere Vorräte wieder aufstocken. Das ist sehr wichtig, denn wir haben nichts mehr zu Essen. Wir kaufen die gewohnten Nahrungsmittel sowie eine Flasche Wodka, Tuvshin füllt unseren Wasserkanister noch einmal auf, dann fahren wir weiter durch die Steppe. In der Ferne entdeckt Jenny eine Herde Gazellen, die sogleich davonspringt. Tuvshin packt der Ehrgeiz und er manövriert seinen Bulli von der Straße runter und durch die Steppe. Wir finden die scheuen Tiere wieder und beobachten sie durch Tuvshins Fernglas.

Nach dieser Entdeckung kehren wir zurück in die Schlucht, in der wir am ersten Tag spazieren waren, nur dass wir diesmal von der anderen Seite kommen.

IMG_2853 (Small)Gemeinsames Kochen.

Wir kochen am eisigen Bächlein und laufen dann weiter durch die Schlucht, Tuvshin kommt im Auto hinterher. Im Schatten der Schlucht sehen wir plötzlich einen anderen Geländebulli auf einer kleinen Anhöhe stehen. Vor dem Bulli sitzen ein paar Leute, die anscheinend Pause machen. Plötzlich springt einer von ihnen auf und kommt auf uns zugelaufen. Er hebt die Arme und deutet uns stehen zu bleiben. Tuvshin hält sein Auto an und spricht mit dem Mann. Wir schauen uns die Szene genauer an und erkennen, dass es sich vermutlich um eine Schamanensitzung handelt. Nachdem Tuvshin mit dem Mann gesprochen hat, dürfen wir näher herantreten.

Auf dicken Sitzkissen, etwa vier Meter von einander entfernt sitzen im Schneidersitz zwei Gestalten in weiten Mänteln, von deren Schultern und Armen aufgenähte Stoffschlagen hängen. Auf den Köpfen tragen sie mit Federn verzierte Hüte, zwei vorne aufgeklebte Adleraugen lassen sie gruselig aussehen. Ihre Gesichter werden von dichten schwarzen Fäden verdeckt. Die Männer tragen traditionelle vorne spitz zulaufende Lederstiefel und halten in der einen Hand einen mit Tierhaut bespannten Holzreifen und in der anderen den mit Metallschellen bestückten Holzknüppel zum Schlagen der Trommel. Ihr Oberkörper ist nach vorn gekrümmt und sie wiegen sich undeutlich murmelnd hin und her. Ebenfalls anwesend sind drei weitere Männer und drei Frauen. Jeweils eine der Frauen hockt neben ihrem Schamanen, übersetzt seine heiser geflüsterten Worte und versorgt ihn mit Wodka und Zigaretten.

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Über eine im Viereck um die Szene gespannte rote Kordel dürfen wir den Schamanenkreis betreten. Eine Frau gießt Wodka über die Steine, die die Kordel spannen. Wir werden aufgefordert uns hinzuhocken. Gespannt beobachten wir das Geschehen. Tuvshin wird vor den einen der beiden Schamanen gewunken. Er muss vor ihm knien, sich nieder beugen und bekommt die Worte des Schamanen von seiner Helferin übersetzt. Wir versuchen ernst zu schauen, obwohl es schon etwas Komisches hat, Tuvshin ist auch nur am grinsen. Auch Guillaume muss mal nach vorn sich vom Schamanen ins Ohr flüstern lassen. Dann wird die Trance aufgelöst: Der Schamane schlägt wie wild seine Trommel, schüttelt den Kopf und stößt dann einen Brüller aus, der ihn wohl wieder zurück holt in die Welt der Lebenden. Dann sackt er erschöpft in sich zusammen. Ihm wird der Hut abgenommen und die Augenbinde von den Augen entfernt. Neugierig schauen wir den erstaunlich jung aussehenden Mongolen an. Er blinzelt uns entgegen und lächelt uns zerknittert zu. Wir lachen alle. Er begrüßt uns und erhebt sich langsam. Auch der andere Schamane befreit sich trommelnd und brüllend wieder aus seiner Trance. Als beide jungen Männer wieder da sind lockert sich die Atmosphäre schnell auf. Wir sollen Fotos machen und folgen widerwillig den Aufforderungen. Wir erklären, dass wir aus Deutschland und Frankreich kommen. „Heil Hitler“, kennen sie natürlich auch.

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Die zwei Schamanen zurück im Hier und Jetzt.

Nach einer kurzen Pause versetzt sich der junge hübsche Mongole mit dem großen Hakenkreuz auf dem Arm wieder in Trance. Wieder schlägt er die Trommel, schüttelt und wiegt sich und ist dann verschwunden. An seiner Statt wankt da ein mürrisch brummender und knurrender Geist eines längst verstorbenen Vorfahren. Diesmal soll Jenny vorgehen. Sie hockt vor ihm, wird von ihm an Kopf und Gesicht befühlt und bekommt von seiner Assistentin in Zeichensprache erklärt, dass sie eine gute Person mit guten Augen sein. Dann muss sie eine Schale Wodka trinken. Ob sie einen Freund habe, ja, die anderen schauen fragend zwischen Christian und Guillaume hin und her, bis sich der Richtige zu erkennen gibt. Ob sie schwanger sei. Nein! Dann darf sie wieder gehn.

Wir werden weggescheucht, sollen wieder verschwinden. Ok, dann gehen wir also. Als wir weiterlaufen sind wir uns nicht sicher, ob das gerade eine echte Schamanensitzung oder eine für Touristen war. Tuvshin kommt mit seinem Auto auch bald hinterher und lädt uns ein. Wir fahren durch die Schlucht, immer am Eisflüsschen entlang, müssen mehrmals durchfahren und bleiben dann irgendwann einfach stehen. Tuvshin klappt im Auto die breite gepolsterte Mittelkonsole auf und hat direkten Zugriff auf seinen Motor. Von seinem Sitz aus repariert er an seinem Motor herum, stöpselt Schläuche ein und aus, saugt das Benzin mit dem Mund an und bekommt dann schließlich das Auto wieder zum Laufen.

Wenig später erreichen wir unseren letzten Schlafplatz auf unserer Gobireise. Auf einer kleinen Wiesenfläche parkt Tuvshin das Auto und wir schlagen unsere Zelte auf.

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IMG_2866 (Small)Jenny und Tuvshin sammeln getrocknete Haufen.

Es ist jetzt schon kalt und wir befürchten, dass die Nacht die schlimmste wird. Leider gibt es in der Schlucht auch kein Holz, so dass uns nur der Dung bleibt, den Tuvshin in einem großen Sack für uns sammelt. Die Pferdeäpfel und Kuhfladen brennen lang, leider nicht so warm und nachher stinken wir alle nach verbranntem Kuhstall.

Unsere Befürchtungen für die Nacht bewahrheiten sich natürlich. Als es endlich wieder hell wird sind alle erleichtert, dass die Nacht überstanden ist, doch wirklich ausgeschlafen ist keiner. Nur Tuvshin schaut mal wieder mit nacktem Oberkörper aus seinem Bus und behauptet er habe gut geschlafen. Der Tümpel neben unserem Schlafplatz ist jedenfalls fast einen Zentimeter dick gefroren. Mit steifen Fingern kochen wir Tee und essen unser letztes Frühstück. Dann verlassen wir unseren Rastplatz und jagen wieder über die Hügel und Hubbel der Schlucht, die bald in die Steppe übergeht.

Auf einem Hügel hält Tuvshin an, kramt sein Telefon heraus und ruft seine Frau an. Dann geht es runter nach Dalanzadgad, zurück in die Zivilisation. Tuvshin bringt uns zielstrebig zurück zum Hotel, in dem wir unsere erste Nacht verbracht haben. Es dauert ein bisschen bis wir der Dame erklären können, dass wir ein Zimmer für vier Personen wünschen und eins für sechs Personen auch ok ist. Wir sind nicht überrascht, als wir in genau das gleiche Zimmer geführt werden, in dem wir das erste Mal geschlafen haben. Diesmal sieht das Zimmer auch ziemlich sauber aus und wir freuen uns über die gewohnte Umgebung.

Mit Tuvshin gehen wir noch ein letztes Mal essen. Wir laden ihn zu Bier, Süütai-Tsai und Beef Steak ein.

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So richtig zufrieden sieht er aber nicht aus…

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Wir sind jedenfalls ein bisschen traurig, als die Zeit mit unserem Tuvshin dann tatsächlich vorbei ist…

Wir beziehen unser Zimmer und finden schnell heraus, dass die Klospülung diesmal gar nicht funktioniert. Eine genervte Putzfrau löst das Problem mit einem Gummipömpel. Dann wollen wir ENDLICH duschen, doch das warme Wasser funktioniert natürlich auch nicht. Doch zum Glück haben wir Strom und zwei Wasserkocher, mit denen wir Wasser erhitzen, das wir uns dann tassenweise über den Kopf gießen. Nach der Dusche fühlen wir uns wie neugeboren. Wir gehen einkaufen für unser letztes Abendessen und das Frühstück am nächsten Tag. Es gibt Instantnudelsuppe und dazu einen frischen Salat aus Tomaten, Gurke und Möhren.

Als wir wieder zurück im Hotel sind kommt wieder spontan der hutzelige Typi rein gehumpelt, dreht hier mal wieder was auf und zu und wieder fließt Wasser aus dem Schlauch ins Badezimmer. Wir deuten ihm, dass es kalt ist im Zimmer und er versichert uns, dass die Heizung gleich anspringen sollte. Schließlich nehmen wir die Sache selbst in die Hand. Ich drehe den kleinen Hahn auf, durch den anscheinend das Wasser aus dem Schlauch im Bad reguliert wird. Erst fließt es moderat auf den Badezimmerboden und verschwindet durch das Loch. Doch plötzlich wird der Wasserstrahl dicker, das Wasser schießt in einem Schwall ins Badezimmer, es breitet sich immer weiter aus und fließt dann unaufhaltsam in unser Zimmer! Panisch drehe ich den Hahn wieder zu, doch der Wasserstrom will nicht abbrechen, wir packen alle Rucksäcke vom Boden auf unsere Betten, werfen die dreckigen Hotelhandtücher verzweifelt in die Fluten, ich laufe zur Rezeption und deute der Dame hektisch, dass wir VIEL WASSER in unserem Zimmer haben. Als ich zurück komme hat die Flut endlich aufgehört und das Wasser im Bad fließt wieder ab. Nur das Wasser im Zimmer breitet sich weiter aus und verschwindet unter unseren Betten. Wir stehen in Flip Flops in einer riesigen Pfütze. Endlich kommt der kleine Typ mit der offenen Hose und bringt seinen Eimer halbvoll dreckigem Wassers sowie einen ollen Putzlappen mit. Verdattert schaut er sich um, wo denn das ganze Wasser hergekommen sei? Naja, da waren wir wohl nicht ganz unschuldig. Wir begeben uns mit ihm auf die Knie und wischen mit den dreckigen Handtüchern das noch dreckigere Wasser auf. Als wir die sandig-haarige Brühe komplett in den Eimer gewrungen haben, sind wir ziemlich entnervt. Dafür zahlen wir 5,50€ pro Person?? Aber was sollen wir machen? Uns beschweren? Welcome to Mongolia!

Also nehmen wir unser Schicksal hin und freuen uns über den frisch geputzten Boden. Kurz darauf wird es warm im Zimmer, die Heizungsrohre glühen, doch der Strom verschwindet. Also kochen wir Tee und Wasser für unsere Instantnudeln mit unserem letzten Gas auf unserem staubigen Wüstenkocher.

In unserer letzten Nacht werden alle immer wieder wach, aus Angst eine weitere Flutwelle könne sich über unseren Zimmerboden ergießen, da es unaufhörlich in den Rohren plätschert. Außerdem kommt aus dem Loch unterm Waschbecken ein ständiger Fettgeruch, wahrscheinlich direkt vom Küchenabzug ein Stockwerk tiefer.

Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Nach Frühstück und Morgentoilette laufen wir müde zu unserem Bus. Wir wissen ja bereits was uns erwartet: 14 Stunden staubige Buckelpiste. Doch diesmal hoffen wir auf bessere Plätze, wir haben extra weiter vorne reserviert…

Zuerst sieht es so aus als würde auf dem Rückweg nicht so viel mitgenommen wie auf dem Hinweg. Immerhin geht es jetzt nach Ulaanbaatar, wo man doch alles kaufen kann! Doch schnell füllt sich der Mittelgang mit Kartons und Paketen. Nach und nach nehmen alle ihre Plätze ein. Leider befinden sich zwei unserer reservierten Sitze direkt über einem der Räder, sodass man die Beine nicht ausstrecken kann. Während der Fahrt stellen wir außerdem fest, dass wir direkt auf dem Motor sitzen, dessen heiße Abluft uns die ganze Fahr über von unten entgegenbläst.

Erst ist es gar nicht so schlimm. Der Bus spielt diesmal Musik, die mich an unsere Fahrt nach Tsetserleg erinnert.

Als die mongolischen Lieder alle drei Mal durchgelaufen sind, werden tatsächlich wieder internationale Hits angespielt. So singen wir bei “All that she wants” von Ace of Base mit, freuen uns über “Sometimes” von der Kelley Family und  “Winds of Change” von den Scorpions und “I am sailing” von Rod Steward. So vergeht die Zeit wie im Flug und schnell sind drei Stunden Fahrt überstanden. Wir rasten in dem kleinen Ort an dem wir auch bei der Hinfahrt unsere letzte Rast eingelegt haben und essen Chuschuur (panierte und gebratene Fleischfladen) und Buus (mit Fleisch gefüllte Teigschleifen) und trinken dazu einen Süütai-Tsai.

Die Weiterfahrt wird jedoch immer anstrengender. Die mongolische Musik fängt an uns zu nerven: Immer die gleichen Lieder. Die Luft von unter unserem Sitz wird immer heißer und staubiger. Als wir Mandalgov erreichen, sind wir bereits ziemlich k.o. Wir essen Goulasch, Kottelet und ich gönne mir eine Suppe, die diesmal besonders fetthaltig ausfällt.

Aber wir sind auch erleichtert: In Mandalgov haben wir schon über die Hälfte der 550 km geschafft. Doch wir haben auch fast acht Stunden bis hier her gebraucht. Dann geht es weiter, wir quälen uns auf unseren Heizungsplätzen, müssen das geöffnete Fenster verteidigen und lenken uns mit eigener Musik ab. Als es dunkel wird können wir es kaum erwarten endlich Ulaanbaatar am Horizont zu entdecken, doch wir müssen uns noch länger gedulden. Plötzlich wird mir übel und ich habe das Gefühl, die Suppe in Mandalgov war vielleicht doch eine Spur zu fettig. Ich versuche die Sterne zu fixieren um nicht noch flauer zu werden, doch anstatt besser zu werden, wird es immer schlimmer. Als wir für einen schnellen Fahrerwechseln an einer Tankstelle anhalten und der Benzingeruch durch das Fenster schwappt, dreht es mir den Magen um, der neue Fahrer zündet sich sogleich eine Zigarette an, die mir den Rest gibt. Hektisch leert Christian unsere Bonbontüte in den Essensbeutel und ich befördere sofort die Suppe hinein. Als wir den Busfahrer endlich dazu bewegt haben den Bus anzuhalten, ist die Suppe schon komplett wieder draußen und ich wanke zitternd zum Ausgang. Draußen haben ich kurz Zeit ein paar Atemzüge an der frischen Nachtluft zu tun, bevor der Busfahrer mich hupend auffordert schnell schnell wieder in ein zu steigen. Ich klettere noch über die Kartons als es schon weiter geht. Doch zum Glück ist es jetzt besser. Etwa eine Stunde später erreichen wir um 23 Uhr nach 16 Stunden Fahrt endlich die Hauptstadt. Nie war ich so erleichtert wieder in UB zu sein!

Wir steigen in das Auto des ersten Taxifahrers, der uns seinen Dienst anbietet. Er fährt uns für 5.000 T direkt vor die Haustür. Um halb 2 liegen wir endlich erschöpft im Bett, mir ist immer noch flau doch ich bin glücklich in einem warmen und bequemen Hostelbett zu liegen. Den ganzen nächsten Tag über kann ich nicht wirklich essen. Ich trinke viel Tee und beginne meinen Reisebericht. Mittags bringen wir unsere Wüstenklamotten zur Reinigung: „Verry dirty“, erkläre ich der Dame und bitte um die lang-und-heiß-Wäsche. Die große Maschine kostet uns fast 6.000 T. Aber ich bin auch froh, als ich abends unsere Sachen sauber und duftend wieder abholen kann.

Nachmittags geht es dann bei Christian los. Ihm wird übel und er muss sich übergeben. Bleich und schwach liegt er den ganzen Abend im Bett und leidet unter der Übelkeit. Zum Glück kennt Buggy, die Tochter der Hostelbesitzerin, sich mit Übelkeit aus. Als Tourleiterin, sagt sie, müsse sie auch ein bisschen Ärztin sein. Mit einer Kordel misst sie Christians Kopf aus, kontrolliert seine Finger und fühlt seine Schläfen. Sie diagnostiziert eine Gehirnerschütterung, die er sich auf der Busfahrt zugezogen habe. Sie meint, das passiere häufig auf den schlechten Straßen und vor allem bei so einer langen Fahrt! Christian erklärt sich bereit, sich von ihr massieren zu lassen. Buggy beginnt kräftig an seinem Kopf zu rubbeln. Sie massiert seinen Nacken und seine Schultern. Zieht an seinen Haaren und seinen Händen. Christian lässt alles über sich ergehen und fühlt sich anschließend tatsächlich besser. In der Nacht und am nächsten Tag kommt er langsam wieder zu Kräften. Ich hingegen verzweifle am nächsten Tag an meinem Reisebericht. Das Internet bricht ständig ab und obwohl alles fertig geschrieben ist kann ich nichts hochladen. Ich muss wohl bis Peking warten… Abends kochen wir zusammen mit Jenny und Guillaume und Jorinde, einer Freundin von Jenny, die zu Besuch gekommen ist. Es gibt Kartoffelsalate. Süddeutscher Art mit Salatgurke und Gemüsebrühe und Norddeutscher Art mit Mayonnaise, Essiggurken und Paprika. Dazu Brühwürstchen und Ketchup. Mmmhh! Zum Glück kann ich wieder richtig essen!

Wir sitzen noch länger mit den anderen zusammen und lauschen den Erfahrungen eines älteren US-Amerikaners, der uns viel über Zentralasien, die Mongolei und China erzählen kann. Er prognostiziert, dass sich die Mongolei in den kommenden fünf bis zehn Jahren in ein extrem reiches Land, ähnlich Kuwait, entwickeln wird. Da es hier so unglaublich viel Bodenschätze gibt (vor allem Kupfer und Gold) und das Land auch sonst reich an Rohmaterialien ist (z.B. Cashmere), ist ein Boom sehr wahrscheinlich. Da er selbst in mehrere Projekte in der Mongolei, in China und in Kasachstan involviert ist, scheint er sich sehr gut auszukennen. Wir staunen und fragen uns, ob die Mongolei bei unserem nächsten Besuch wohl ein anderes Land sein wird.

Unsere letzte Nacht in der Mongolei. Sie wird sehr kurz, da wir um 5.30 Uhr aufstehen müssen. Wir lassen das schöne Edelweiss Hostel, unsere Reisefreunde, das turbulente Ulaanbaatar, das wir doch ein bisschen lieb gewonnen haben und vor allem diese unvergesslichen Abendteuer, die wir hier erlebt haben, ein bisschen wehleidig hinter uns.

Vor uns liegt China, eine ganz neue Herausforderung! Wir haben uns schon eine Couchsurferin organisiert, die uns in Peking aufnehmen wird. Alles weitere werden wir vor Ort organisieren. Wir haben uns gut geschlagen, finden wir, und sind gespannt was uns in China erwartet!

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