Wir sitzen in unserer Kapsel und lassen uns durch die unwirkliche Außenwelt fahren, die uns schon ganz fremd geworden ist. Zum Glück kennt sich unser Taxifahrer in dieser chaotischen, anstrengenden und offensichtlich lebensmüden Außenwelt aus, denn er fährt gelassen in rasantem Tempo über die schmalen indischen Straßen, zielgenau Richtung Norden. Bei uns, im sicheren Innern, ist es schön kühl, wir schauen aus den Fenster in die indische Wirklichkeit draußen. Bald werden wir diese Wirklichkeit hinter uns lassen, mit ihren am Straßenrand widerkäuenden Kühen, den waghalsigen Überholmanövern, den streunenden Hunden, den bunt bemalten Trucks, die uns mit flackerndem Fernlicht darauf aufmerksam machen, dass sie uns auf unserer Spur entgegen kommen und wir besser bremsen oder die Straße am besten gleich verlassen, um nicht frontal mit ihnen zusammen zu stoßen.

Auf unserem Weg nach Chennai wollen wir den Tempeln bei Mamallapuram (Mahabalipuram) einen Besuch abstatten. Unser Fahrer biegt in die kleine Stadt am Meer ein und fährt uns zum Küstentempel der direkt am Strand erbaut wurde. Wir müssen unverschämte 250 Rupien pro Person zahlen (Inder zahlen nur 10 Rupien!), um auf das Gelände zu gelangen. Dann betrachten wir die von Wind, Meer und Sonne rund geschliffenen Götterabbildungen, die seit über tausend Jahren den Felsentempel schmücken.

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Kühe scheinen in Indien also schon lange “in” zu sein.

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Der Tempel wurde Ende des 8. Jahrhunderts erbaut.

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Tanzender Gott.

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Der Strand von Mamallapuram.

Mit unserem Eintrittsticket kommen wir noch in andere Sehenswürdigkeiten des Ortes hinein, also lassen wir uns da auch gleich hin kutschieren – was für ein Luxus!

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Für eine Inderin ziemlich knapp bekleidet.

Wir schlendern um die Fünf Rathas herum und bestaunen die uralten Felsarbeiten.

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Die Rathas entstanden Mitte des 7. Jahrhunderts…

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…und wurden jeweils in einem Stück direkt in den Fels gehauen.

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Genutzt wurden sie jedoch nie…

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…sondern waren allein künstlerische Experimente mit verschiedenen Baustilen.

Wieder ein Stückchen weiter gibt es dann noch eine Felsenlandschaft, Höhlen mit Felsfiguren und einen Leuchtturm zu bewundern.

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Wir haben schon lang keine Affen mehr gesehen.

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Auch die Ziegen fühlen sich hier richtig heimisch.

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Der Leuchtturm von Mamallapuram.

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Kriegerische Auseinandersetzungen in Stein gehauen.

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Wenn ich jetzt wüsste was all das hier bedeutet…

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…könnte ich dir jetzt erklären warum die Inder, trotz ihr scheinbar zügellosen Geschichte, heute so prüde sind.

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Vielleicht sind Götter einfach die besseren Menschen.

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Die dürfen so was.

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Das würde jedenfalls einiges erklären.

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Eine Sache weiß ich dann doch noch: Dieser Stein ist angeblich ein Butterstück von Krishna.

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Dramatische Schlussszene: Die Niederkunft der Göttin Ganga (Fluss Ganges) aus dem 7. Jahrhundert.

Langsam wird es Abend und wir entscheiden noch ein letztes Mal südindisch Dosa essen zu gehen. In einem super leckeren indischen Restaurant werden wir fündig. Bevor wir uns vom Taxifahrer wieder einsammeln lassen, verspeisen wir dann noch einen Nachtisch in einem Hotel, der gleich mal doppelt so viel kostet wie das Abendessen beim Inder!

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Nächtliche Gassen von Mamallapuram.

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In der Touristenmeile ist aber immer noch ne Menge los.

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Wieder ein Beweis dafür, dass unter den Göttern eine gewisse Freizügigkeit geherrscht haben muss.

Dann lassen wir den touristischen Ort wieder hinter uns und lassen uns die restliche Strecke nach Chennai fahren. Auf den Straßen ist es jetzt – in vollkommener Dunkelheit – noch gefährlicher als tagsüber. Das Prinzip lautet gesehen und gehört werden! Selber sehen und hören ist dabei wohl von geringerer Priorität. Alle haben ihr Fernlicht an, was dazu führt, dass keiner mehr was sieht. Das Hupen wird zum konstanten Begleitton. Unser Fahrer kneift die Augen zusammen und schlängelt sich blinzelnd durch den mörderischen Verkehr. In letzter Sekunde weichen wir einem LKW (oder war das ein Bus?) aus, der uns mal wieder frontal entgegen kommt. Sein Fernlicht blendet, so dass unser Fahrer blind auf den Seitenstreifen ausschwenkt. Hoffentlich kommen wir lebend am Bahnhof an…

Dann sind wir endlich da. Glücklich steigen wir aus und verabschieden uns vom kompetenten und vor allem mutigen Fahrer. Am Bahnhof steht unser Zug bereits am Gleis und so müssen wir nicht mit den vielen Mücken kämpfen, die das Bahnhofsgebäude zu einem Festessen heimgesucht haben, und können in unseren klimatisierten Wagon steigen. Wieder sitzen uns neugierige Mitreisende gegenüber, denen wir via eines englischsprachigen Übersetzers die wichtigsten Fragen beantworten: Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Wie lange sind wir in Indien? Sind wir verheiratet? Als alles geklärt ist, geht die Fahrt endlich los, der Übersetzer muss den Zug verlassen und von da an heißt es Schweigen und Lächeln. Wir werfen uns auf unsere Pritschen, schnippen die neugierigen Kakerlaken weg (die unglücklicher Weise diesmal auch aus unserem Essensvorrat gekrabbelt kommen) und rollen uns wenig später in unsere Wolldecken.

Am nächsten Morgen gibt es dann Auroville Teilchen, die (trotz des Kakerlaken Besuchs) immer noch ganz lecker sind, zwischendurch Chai und unsere Bücher. Ich stelle mich an die stets offene Waggontür und lasse mir den heißen Fahrtwind ins Gesicht blasen. Indien macht mich nachdenklich. Diese Welt, durch die wir auf Schienen gleiten ist so anders als alles was wir vorher erlebt haben. Ich sehe die Reisfelder, das aufgehäufte Stroh, die einfachen Hütten, ich rieche die Müllberge und brennendes Plastik, ich höre das dumpfe Signal der Lok, das Menschen, Hunde und Kühe vor uns warnt. Alles rattert und klappert. Die Züge in Indien stehen vor Dreck. So wie alles hier. Und doch haben wir uns mittlerweile dran gewöhnt. Wir haben es sogar etwas lieb gewonnen, oder?

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Draußen fliegt Indien an uns vorbei.

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Reisfelder und Kricket Spiel.

Ein Zugbegleiter kommt vorbei, sieht, dass ich Fotos mache und fragt wo ich her komme. Ob es dort wo ich her komme denn anders aussehe als hier, will er ungläubig wissen. Ich nicke heftig und fasse zusammen: “No palmtrees”. An seinem Blick kann ich erkennen, dass er sich nicht vorstellen kann, wie es irgendwo auf der Welt anders sein könnte als in seinem Land. Ich knipse weiter. An der Tür zur anderen Seite steht schon die ganze Zeit ein Typ und beobachtet mich heimlich. Er widert mich an und ich gehe zurück ins Abteil.

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Indische Züge.

Wieder eine Nacht im Zug und diesmal wieder eine kurze. Um 4 Uhr sind wir tatsächlich laut Plan in Kolkata (Kalkutta). Wie ist das möglich nach gut ein einhalb Tausend Kilometern Fahrt? Aber gut. Wir steigen aus und es stinkt. Es stinkt mal wieder so richtig. Nach Fisch und allem anderen was unangenehm ist. Auf dem Boden ist eine schmierige Lache. Aber was soll’s, ich ziehe meine Turnschuhe an und wir latschen wie alle mitten hindurch. Draußen stehen wir in der Schlange für die pre-paid Taxen und sind verwirrt. Wir stehen tatsächlich in einer Schlange, keiner der sich vordrängelt. Sind wir immer noch in Indien? Doch dann sehe ich wieder die Beweise: Neben uns auf dem Boden ein altes Hutzelweiblein mit ganz verfilzten und in alle Himmelsrichtungen abstehenden grauen Haaren. Sie hockt zusammengesunken auf einem speckigen Stückchen Karton und fummelt sich mit ihren schwarzen vertrockneten Fingern, die aussehen wie verkokelte Peperoni Schoten, im Haaransatz herum und scheint dort nach etwas zu suchen. Dann versucht sie sich lethargisch einen Rock, der nicht dreckiger und oller sein könnte, über die dürren Beinchen zu ziehen, gibt aber auf halber Strecke auf und widmet sich wieder ihren Haaren. Die Leute nehmen sie zwar wahr, aber was ist schon so besonders an einer alten Frau, die auf der Straße lebt? Dann kommen Männer mit Karren voll beladen mit weiß verpackten Kisten. Sie schieben und ziehen von allen Seiten, feuern sich gegenseitig an. In der Schlange sind wir den Rikschafahrern ausgeliefert. Wie können nicht weg, müssen unser hartes Gesicht aufsetzen, damit sie uns in Ruhe lassen. Die Menschen telefonieren, schauen sich um, stellen sich hinten an. Die Taxen fahren vor, werden vermittelt, fahren ab. Es ist etwa fünf Uhr als wir unser Taxi zugewiesen bekommen. In dem Moment, als wir uns gerade zwischen den gelb lackierten Ambassador Fahrzeugen, die in Kalkutta als Taxen dienen, hindurch schlängeln und dabei aufpassen müssen, dass uns keiner die Füße platt fährt, klingelt das Handy, unser Couchsurfer ruft an! Er will wissen wo wir sind, ob wir Hilfe bräuchten. Das Taxi setzt sich in Bewegung und wir kurven wie immer (Hupe, Slalom, Hupe, Vollbremsung, Hupe, Gas, Überholmanöver, Huuuuupe!) durch die Gegend. Von Kalkutta sehen wir nicht all zu viel, nur dass es sich vermutlich um eine ganz normale indische Großstadt handelt. Müllberge am Straßenrand, Menschen eingerollt in Wolldecken auf dem Bürgersteig oder in ihren Fahrzeugen, viel Verkehr, auch um diese Uhrzeit.

Das Büro unseres Couchsurfers, an dem uns der Taxifahrer absetzen soll, ist nicht leicht zu finden. Erst fängt unser Fahrer an, Personen auf der Straße zu fragen, dann ruft unser Couchsurfer erneut an und lotst ihn durch die engen labyrinthischen Gässchen, in denen nach unendlich vielen Kurven endlich der Eingang zum Büro auftaucht. Wir drücken dem Fahrer ein Trinkgeld in die Hand, das er sich wirklich verdient hat und werden vom Nachtwächter in Empfang genommen. Dieser kleine knochige Mann mit kaum mehr als vier Zähnen im Mund führt uns freundlich ein paar Stufen hinauf, schließt uns sämtliche Türen auf und bittet uns dann im Büro des Chefs (unser Couchsufer!) Platz zu nehmen. Wir bekommen noch das Licht im Bad angestellt und eine Wasserflasche und werden wieder allein gelassen. Wieder ruft unser Couchsurfer an und erkundigt sich nach unserem Befinden. Alles bestens!, bestätigen wir und strecken uns auf der Ledercouch aus.

Um 10 Uhr kommt Some vorbei, um uns freundlich zu begrüßen und sich für die Umstände zu entschuldigen. Was für Umstände?! Er ist ein bisschen nervös und total aufgeregt uns in den nächsten zwei Tagen als seine Gäste zu beherbergen und packt uns gleich in sein schickes Auto ein.

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Innenhof des Büros.

Wir fahren wieder durch die Stadt und diesmal können wir sie auch erkennen, diese belebte Stadt, die Hühner und Gänse in ihren Käfigen am Straßenrand, die Straßenverkäufer, die auf ihren Grills Essen zubereiten, die Motorräder, Busse, Passanten, aber auch die vielen Bäume! Wir sind überrascht wie “grün” die Stadt ist. Some bringt uns zu einem kleinen Frühstückscafé, in dem wir eine Deutsche kennenlernen, die gerade ein medizinisches Praktikum im Krankenhaus in Kalkutta macht. Wir bekommen Obstsalat und Joghurt, dann geht es weiter. Some will uns die Stadt zeigen. Alles in seinem Auto, natürlich, wir fühlen uns wieder verwöhnt. Zuerst fahren wir zum Victoria Memorial, dem imposanten Palast, der Königin Victoria von England Anfang des 20. Jahrhunderts zu Ehren erbaut wurde. Da Kalkutta lange Zeit die Hauptstadt Britisch Indiens war, ist, ähnlich wie in Mumbai, das Stadtbild der Innenstadt sehr britisch geprägt durch imposante barocke Gebäude, riesige Parks (die jedoch eher als vertrocknete Weidestätte für Ziegen und Pferde dienen) und unzählige Kricket Spielfelder. Aber es gibt auch ein Fußballstadion, das laut Some’s Angaben 80.000 Menschen fassen soll.

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Victoria Memorial und Weide.

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Eine Ziegenherde muss die Straße überqueren.

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Garten des Victoria Memorials.

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Wir schlendern durch den Garten des Victoria Memorials, dann müssen wir zurück zum Auto – Some hat Angst, dass es geklaut oder abgeschleppt wird. Wir fahren zur St. Paul’s Kirch, die leider gerade Mittagsruhe hat. Also fahren wir zum Mittagessen in ein Shoppingcenter und essen Subsandwiches.

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Zunächst dürfen wir St. Paul’s nur von weitem betrachten.

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Indira Gandhi.

Zurück an der Kirche dürfen wir dieses Mal hinein und sind mal wieder in einer anglikanischen Kirche. An diesen Anblick haben wir uns bereits gewöhnt.

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St. Paul’s Kirche wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut.

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Dann wollen wir fürs Abendessen einkaufen. Some hat uns versprochen für uns bengalisch zu kochen, immerhin ist Kalkutta die Hauptstadt Westbengalens und Some vollblütiger und durchaus patriotischer Bengale. Wir haben uns für den zweiten Abend überlegt Nudeln mit Soße zu machen.

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Auf dem Weg zum Supermarkt über eine riesige moderne Hängebrücke.

Im Supermarkt finden wir alles (leider gibt’s Sahne nur in der ziemlich teuren 1 L Packung und Nudeln sind hier ebenfalls eine Delikatesse) und fahren weiter, zum lokalen Markt. Ich bleibe diesmal im Auto sitzen, denn draußen herrscht ein indisches Massentreiben und wenn ich mich schon mal verstecken kann und die Arbeit den Männern überlassen kann, dann mache ich das auch. Als die beiden mit Fisch für das bengalische Mahl und Hühnchen für unser Essen zurück kommen, erklärt mir Christian, das Huhn sei wirklich frisch, frischer könnte es nicht sein…

Langsam wird es dunkel und Some kämpft wie vor ein paar Tagen unser südindischer Taxifahrer mit dem mörderischen Gegenverkehr. Er beschwert sich über seine Landsleute, alles Chaos, nichts funktioniert. Und wie die fahren! Wir halten nochmal im Örtchen vor seiner Wohnsiedlung, um den Stoff für meine Saribluse beim Schneider abzugeben (natürlich hat das Schneidern in Auroville nicht mehr geklappt, der Schneider hatte noch nicht mal angefangen als ich sie zum verabredeten Zeitpunkt abholen wollte). Wir bahnen uns unseren Weg durch die verstopften dreckigen Bürgersteige und über die staubigen Straßen, es herrscht Feierabendverkehr, das absolute ohrenbetäubend laute, stinkende Chaos. Dann sind wir endlich beim “Ladies Tailor”, Some trägt mein Anliegen vor, ich präsentiere den Stoff, werde von allen neugierig in Augenschein genommen, dann von einer klitzekleinen Inderin vermessen. Die muss sich ganz schön strecken, um an meinen Schultern Maß zu nehmen, macht aber einen sehr kompetenten Eindruck. Als alles vermessen und notiert ist, bekomme ich den Abholschein in die Hand gedrückt. Morgen um 18 Uhr soll die Bluse fertig sein. Da bin ich ja mal gespannt…

Some besorgt noch schnell ein paar Süßigkeiten, dann sind wir endlich fertig mit der langen Liste an Besorgungen und fahren nach Hause. Obwohl Some eigentlich mit seiner Frau und zwei Kindern im Nordwesten (Saltlake) der Stadt wohnt, fährt er jetzt mit uns in sein Wochenendhaus südlich der Stadt. Das Haus liegt in einer Clubanlage, die sich einfallsreich Ibiza nennt. Wir fahren durch die ruhige Feriensiedlung, in der sich ein Grundstück an das nächste reiht und kommen vor einem großzügigen weißen Haus mit großer vergitterter Fensterfront zum Stehen. Der Angestellte des Hauses (passender Weise Diner genannt) eilt gleich zu Hilfe, um die Einkäufe ins Haus zu schleppen. Wir betreten den etwas kargen Eingangsbereich. Marmorböden, Marmorsäule, weiße Wände, am hinteren Ende ein Tisch mit Glasplatten. Alles wirkt ein wenig leer oder provisorisch. Wir werden nach oben verfrachtet ins Kinderzimmer mit eigenem Badezimmer. Das Bett ist wunderbar groß und bequem, im Bad gibt es eine Dusche und Toilette zum sitzen. An der Wand sitzt eine Spinne, aber die wird toleriert.

Von unserem Zimmerfenster aus können wir in den Garten auf den Pool schauen. Wahnsinn! Wir sind so durchgeschwitzt von dem langen Tag und den zwei vergangenen Nächten im Zug, dass wir uns sofort in unsere Badeklamotten schmeißen und ab in den kühlen Pool springen. Die Mücken tanzen um uns herum, Diner bringt auf Anweisung von Some ein Tablett mit Wassergläsern, Chips und gefüllten Rasgullas. Wir sind beglückt – das ist Couchsurfing!

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Hier kann man’s echt aushalten! – Find ich auch!

Nach der Dusche sind wir hungrig und gespannt auf das bengalische Essen, das uns versprochen wurde. Doch das Essen ist bereits fertig. Während wir im Pool herum geplanscht sind und unter der Dusche waren, war Diner die ganze Zeit fleißig in der Küche mit unserem Mahl beschäftigt. Wir sind ein wenig überrascht, Some scheint jedoch damit gerechnet zu haben und tut fast als habe er eigenhändig an der Pfanne gestanden. Es gibt Reis mit Weizenbällchen (die sich mit einer komischen Soße vollgesogen haben und daher wie Fleisch oder Tofu schmecken), einem milden Dahl (Linsensoße) und in viel Fett gebratene Aubergine. Natürlich wird mit den Händen gegessen, Besteck steht gar nicht zur Debatte und wir haben ja auch kein Problem zuzugreifen. Anhand Some’s Essverhalten schließen wir, dass wir uns der chinesischen Kultur wieder näher befinden – in Bengalen wird wohl auch “laut” gegessen.

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Der Wohnbereich.

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Some zeigt was er drauf hat.

Nach dem Essen reden wir noch über deutschen Fußball und wir müssen beide unsere fußballerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Da ich eine Frau bin, werde ich trotz einer miserablen Performance hoch gelobt. Bald sind alle so müde, dass wir uns in die Betten fallen lassen.

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Das Haus bei Tageslicht.

Am nächsten Morgen schlafen wir unglaublich lang. Anscheinend haben wir von den zerstückelten Auroville-Nächten noch an Schlaf nach zu holen. Wir bereiten uns ein Früchtefrühstück, für das wir am Vortag eingekauft haben, Some präferiert Reis mir Resten von gestern.

Über Mittag sind alle ziemlich faul. Some muss immer wieder telefonieren. Er hat uns am Vortag schon viel über seine Fima erzählt, die vorwiegend Werbung für Mobilfunkunternehmen auf Werbetafeln bringt und diese dann in der Stadt verteilt. Da er normalerweise, wie er sagt, jeden Tag in der Woche im Büro sitzt, fehlt er seit gestern natürlich erheblich und muss alles per Telefon dirigieren. Ach, er stöhnt, in Indien herrsche so ein furchtbarer Konkurrenzkampf. Wenn man nicht immer und überall erreichbar sei, suchten sich die Auftraggeber andere Anbieter für das gleiche Geld. Er müsse einfach immer präsent sein. Mehr als eine Woche Urlaub sei nicht drin. Bei dem Gedanken, wie wir, seinen Job einfach sausen zu lassen und ein Jahr auf Reisen zu gehen, muss er nur lachen. Nein, nein, die indische Wirtschaft kenne kein Pardon – da ist man ruck zuck wieder raus.

Aber er hat es anscheinend geschafft. Wie er sagt ist er bereits seit er 16 Jahr alt ist selbstständig und sehr geschäftstüchtig. Aus einer einfachen Familie stammend, hat er sich früh gesagt, dass er einmal mehr Geld haben will als sein Vater damals zur Verfügung hatte. Jetzt hat er eine Frau, die sein Geld für Schmuck verprasst (wie er uns immer wieder vorjammert), eine süße kleine Tochter und einen elfjährigen Sohn, der mit seinen Forderungen nach einem BMW seinem Vater den Schweiß auf die Stirn treibt, fünf Autos (aber keins davon ein BMW), Rundreise-Kurzurlaube mit der ganzen Familie durch Europa für 10.000 Euro, mehreren Büros in der Stadt, mindestens ein Stadthaus und mindestens ein Wochenendhaus “im Grünen”.  Er wird nachdenklich, zuckt mit den Schultern, da klingelt sein Handy erneut und er geht gleich wieder ran, um Befehle zu erteilen.

Am Nachmittag raffen wir uns auf und steigen wieder in sein Auto ein. Anstatt den Bus zu nehmen – wie ursprünglich von ihm vorgeschlagen, weil man da ja viel mehr von Indien und den Menschen sieht – sitzen wir wieder faul und wie selbstverständlich im Auto, vom Bus ist nicht mehr die Rede. Aber uns soll’s Recht sein. Wir fahren aus der Feriensiedlung heraus und auf die Hauptstraße, und entfernen uns weiter von Kalkutta. Wieder schimpft Some auf den Verkehr und die mangelhafte Infrastruktur. Er will mit uns zum Ganges Delta, aber wie wir da hin kommen ist auch ihm unklar. Zum Glück sind überall Leute am Straßenrand, sitzen zusammen, arbeiten, verkaufen Essen. Some lässt das elektrische Fenster herunter, er stellt seine Fragen.

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Zwischendurch machen wir Halt an einem Reisfeld.

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Die Straße.

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Zum Glück nicht unser Verkehrsmittel.

Nach einer knappen Stunde Fahrt erreichen wir eine luxuriöse Hotelanlage, in der er, wie er sagt, vor einigen Jahren eine Million Dollar investiert habe. Das Hotel steht auf den alten Mauern einer Festung, die wohl von den Portugiesen stammt. Alles ist recht gepflegt und sieht teuer aus, aber an den Standard eines 5-Sterne Hotels kommt das alles doch nicht ran. Wir wandern ein wenig durch den kleinen Garten, müssen morschen Brücken ausweichen und können andere überqueren. Dann steigen wir auf eine Aussichtsplattform und können endlich den Fluss sehen. Obwohl es schon später Nachmittag ist, läuft uns der Schweiß in der feuchten Luft.

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Blick auf den Ganges.

Nachdem wir einige Zeit auf die Bedienung des Café gewartet haben, beschließen wir wieder zu gehen. Und obwohl Some auf dem Hinweg noch irgendwas von einem anderen Ort erzählt hatte, den er uns unbedingt zeigen wolle, kehren wir um und fahren wieder zurück Richtung Ibiza-Anlage. Dieses Mal ist Some nicht so zurückhaltend im Straßenverkehr. Er drückt das Gaspedal durch und erklärt uns, er liebe dieses Gefühl, wenn er durch die Beschleunigung so in den Sitz gedrückt würde. Ich frage mich, ob er mit seiner Tochter im Auto auch so fährt. Er muss sich zügeln: “No, it’s enough.”, als ginge gerade sein Rennfahrertemperament mit ihm durch und ich bin froh, als er das Tempo scharf drosselt. Immerhin sind wir nicht die einzigen auf der schmalen Straße. Überall Fahrradfahrer, Fußgänger, Roller, Motorräder und nicht zu vergessen die massiven Busse und Lastwagen! Some scheint seine Beschwerden vom Hinweg vergessen zu haben und fährt jetzt “indische Art”, wie es im Buche steht. Die anderen, schwächeren, Verkehrsteilnehmer werden gnadenlos aus dem Weg gehupt und nur um Haaresbreite überholt. Stärkeren Verkehrsteilnehmern wird hingegen gehorsam ausgewichen. “Incredible India”, muss er selbst zugeben.

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Impressionen vom Rücksitz.

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Draußen: Indische Wirklichkeit.

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Heute Abend soll es deutsche Nudeln mit Soße geben, doch zuerst sitzen wir ohne Schlüssel vor der Haustür und flüchten uns in nervöse Spaziergänge im Garten oder auf die Schaukel vor den gierigen Mücken, bis Diner endlich auftaucht. Er hat meine Bluse abgeholt, die mir triumphierend von Some überreicht wird. Als ich das Ding sehe, weiß ich sofort, dass das absolut nicht das ist was ich wollte. Im Gegenteil: Ich habe noch nie eine einzige Inderin mit so einer hässlichen Bluse gesehen! Überall sind Rüschen angenäht, die Ärmel sind aufgebauscht zu Pusch Ärmeln, die Naht an der Brust lässt die Brüste spitz nach vorne stechen. Was soll das bitte sein?? “Ethnic Style”, antwortet Some erklärend. Wer hat was von Ethnic Style gesagt? Some stutzt, anscheinend habe er da vielleicht so etwas gesagt, ich wollte aber doch einfach eine ganz normale Saribluse. Plötzlich ist Some ganz außer sich. Er schimpft auf den Schneider und ist wild entschlossen, da nochmal hin zu fahren und denen die Meinung zu sagen. Die haben ja meine Bluse völlig ruiniert. Er stürmt aus dem Haus. Ich greife mir schnell den entstellten Fetzen Stoff und stürze hinter ihm her. Wir sitzen im Auto und er hält mir Vorträge darüber, dass man nicht locker lassen solle, man müsse die Menschen erziehen, man müsse kämpfen! Dann stecken wir 20 Minuten im Stau. Ein Lastwagen versucht mitten auf der Fahrbahn zu wenden, es geht auf beiden Spuren weder vor noch zurück und dann steckt auch der Lastwagen fest. Wir parken das Auto am Straßenrand (Einparken hat Some wohl nie gelernt und ich bin kurz davor zu fragen, ob ich das nicht machen soll) und laufen die letzten Meter durch das hupende und stinkende Feierabendchaos. Beim Schneider angekommen ist heute der Sohn im Laden, der auch gleich auf die Arbeit seines Vaters schimpft und kopfschüttelnd meine rüschenbestückte Bluse mustert. In zwei Stunden könnten wir sie wieder abholen, das verspricht er uns, er versuche zu retten was zu retten sei.

Wieder zurück im Haus ist Christian bereits über den Töpfen aktiv, Diner schleicht skeptisch um ihn herum und weiß nicht so ganz was er von dem Fremden halten soll, der in seiner Küche herum hantiert. Some zeigt wenig Interesse für die Zubereitung des Essens, dabei wollte er doch unbedingt lernen, wie man deutsch kocht…

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Ich verkneife mir den Kurzvortrag über deutsche Essmanieren, als Some wieder schmatzend reinhaut, immerhin benutzt er das Besteck, das wir ihm hingelegt haben. Dann ist es bald auch schon Zeit fürs Bett. Der arme Diner muss noch mal los meine Bluse zum zweiten Mal an diesem Tag abholen. Diesmal ist sie wunderbar umgeändert, passt wie angegossen und über die spitzen Brüste sehe ich hinweg. Endlich ein Happy End!

An unserem letzten Tag in Indien stehen wir relativ früh auf. Wir frühstücken, dann brechen wir auf. Some will uns bis in die Nähe des Flughafens bringen, von wo aus wir dann ein Taxi nehmen sollen. Leider ist der Stadtverkehr so dicht, dass wir minutenlang auf der Stelle stehen oder uns im Schritttempo durch die verstopften Straßen quälen.

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Rush Hour.

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Unten steht: “Obey the traffic rules!”. Ob das wirklich ernst gemeint ist??

Endlich, eine halbe Stunde später als geplant, erreichen wir unser Ziel. Some verabschiedet uns, wir danken ihm für seine Hilfe und schwingen uns ins Taxi. Zum Glück verlassen wir die überfüllten Straßen und kommen schneller voran, auch ein kleiner Auffahrunfall, verursacht durch unseren Fahrer, kann uns nicht aufhalten und wir erreichen kurze Zeit später den Flughafen.

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Wollen wir Indien wirklich schon verlassen?

Nun ist es also so weit. Wir verlassen Indien. Und den Landweg. Nach acht Monaten auf den Straßen und Schienen dieses riesigen Kontinents, Europa-Asien-Indien, heben wir nun das erste Mal ab, um ein neues Land zu erreichen: Thailand. Die verbleibenden drei Monate unserer Reise wollen wir auf den südostasiatischen Teil Asiens verbringen. Los geht’s in Thailand, genauer gesagt in der partyverwöhnten, touristenreichen, funkelnden, glühend heißen Hauptstadt: Bangkok!

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