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Auf dem Weg nach Vietnam. Unter uns das Nebelmeer.

Erst geht es an die laotische Grenze. Wir bekommen unsere Pässe gestempelt, müssen 3.000 Kip pro Person “Bearbeitungsgebühr” zahlen, dann sind wir raus. Aber anstatt auf der anderen Seite des Gebäudes den vietnamesischen Behörden unsere Pässe in die Hände zu drücken, sollen wir wieder einsteigen. Der Grenzposten von Vietnam liegt anscheinend woanders. Also geht es wieder über serpentinenreiche Straßen, mal asphaltiert, mal nur Schotter. Zum Glück ist unser Fahrer gelassen und vorsichtig.

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Die Küche in einem unserer Zwischenstopps.

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Ein Stück von Deutschland am Straßenrand.

Die vietnamesische Grenzstation beeindruckt uns gleich mit großer leuchtend roter Flagge, in deren Mitte ein goldener Stern prangt. Das Gebäude sieht ganz neu und schick aus. Entweder das liegt daran, dass in Vietnam alles neuer und schicker aussieht als in Laos, oder daran, dass das Gebäude tatsächlich erst wenige Jahre alt ist. Die Grenzüberquerung an dieser Stelle ist nämlich erst seit wenigen Jahren für Touristen möglich. Kaum haben wir unsere Stempel in den Pässen, müssen wir schon wieder einsteigen. Noch schnell unsere letzten Kip gegen Dong getauscht, dann geht’s weiter. Wieder fahren wir nicht unter dem großen Grenztor durch, sondern kehren wieder um. Wann geht’s denn jetzt endlich nach Vietnam?? Doch dann nehmen wir eine Abbiegung und wenden uns nun endlich dem östlichsten Land des südostasiatischen Festlandes zu.

Die Natur kommt uns gleich viel wilder und verwucherter vor, alles ist so grün, Palmen, Büsche, doch dann sehen wir Qualm aus einer Fabrik unten im Tal aufsteigen. Wahrscheinlich ist Vietnam in vielem viel weiter als Laos, so eine Fabrik haben wir auf der anderen Seite der Grenze nie gesehen. Wie es um Vietnam steht, ist schwer zu beurteilen. Ist es jetzt kommunistisch oder nicht? Doch, ganz sicher ist die Sozialistische Republik Vietnam kommunistisch, das wird uns auch beim Anblick der vielen knallroten Fahnen überall klar. Ja, eindeutig kommunistisch. Doch wenn wir an Vietnam denken, fällt uns allen doch gleich der Vietnamkrieg ein, den die USA in den 60er Jahren gegen den Kommunismus geführt haben. Hat der etwa nichts gebracht? Wir schlagen in unserem schlauen Buch nach und finden heraus, dass der Krieg das Ziel hatte, den nicht-kommunistischen Süden des damals geteilten Landes vor der Übernahme durch den kommunistischen Norden zu schützen. Doch den vietnamesischen Guerilla Kämpfern des Vietcong gelang es trotz ihrer militärischen Unterlegenheit durch ihre gute Vernetzung und sicherlich auch durch die starke Unterstützung in der vietnamesischen Landbevölkerung die US Truppen zu schlagen und zum Rückzug zu zwingen. Die Vietnamesen haben also nicht nur die Franzosen (Vietnam war bis in die 50er Jahre Französisch Indochina) sondern auch die Amis aus ihrem Land vertrieben. Was müssen das für selbstbewusste, hartnäckige Menschen sein? Wir sind gespannt.

Mittlerweile sind wir aus den Bergen heruntergekurvt und befinden uns auf Höhe der Fabrik, an der wir direkt vorbei fahren. Sieht ziemlich modern aus. Das Wappen Vietnams, roter Hintergrund, goldener Stern umfasst von goldenen Ähren, prangert über dem Eingangstor. Dann wieder Reisfelder, leuchtend grün. Wir befinden uns auf dem Weg nach Dien Bien Phu, der ersten Stadt hinter der Grenze. Von hier fahren wir weiter nach Hanoi, oder in den Norden nach Sapa, wo es wunderschön sein soll: Reisterrassen, Nebelschwaden, Ruhe. Aber eigentlich haben wir keine Zeit für weitere Abstecher, Hanoi, die Hauptstadt liegt viel mehr auf unserem Weg. Wir wollen unsere Entscheidung abhängig machen von den Busverbindungen, die in Dien Bien Phu angeboten werden. In Dien Bien Phu wurden Mitte der 50er Jahre die Franzosen endgültig von der Viet Minh unter Ho Chi Minh geschlagen und mussten ihr Indochina nach 100-jähriger Kolonialherrschaft aufgeben. Die anschließende Teilung Vietnams in den kommunistischen Norden und den katholischen Süden führte dann später zu dem amerikanischen Vietnamkrieg… Ein geschichtsträchtiger Ort also, den wir als erstes auf unserer Reise durch Vietnam ansteuern.

Als wir die unauffällige Stadt erreichen fällt uns gleich auf, dass wir wieder Straßenschilder lesen können. Die Schriftzeichen haben zwar überall Haken und Punkte und komische Querstriche, aber die Buchstaben sind lateinisch. Keine Schlaufen und Schleifen mehr, wir können Straßennamen lesen, Geschäfte, Werbeplakate – auch wenn wir nix von dem verstehen, was wir da lesen.

Wir werden am kleinen Busbahnhof rausgeworfen und schauen uns gleich beim großen Angebot der Reisebusse um, die irgendwie alle zu unterschiedlichen Uhrzeiten nach Hanoi fahren. Sofort sind wir umringt von den Laufburschen verschiedenster Busunternehmen, alle wollen, dass wir mit ihnen fahren, wollen uns ihre Busse zeigen, drücken uns ihre Visitenkarten in die Hände, packen uns bei den Armen, ziehen uns zu ihrem Bus, wir fühlen uns an Indien erinnert, nur mit Anfassen! Ich schüttele die kleinen Männer ab und werfe ihnen böse Blicke zu, sie schauen sich verwundert an und lachen. Wir finden heraus, dass wir heute so ungefähr zu jeder Stunde fahren können. Nach Sapa ginge es erst morgen früh wieder. Damit ist unsere Weiterreise entschieden: Wir holen Geld – viel Geld: ein Euro entspricht etwa 28.000 Dong, und da wir wieder eine Gebühr zahlen müssen, heben wir gleich die Maximalsumme von 2.000.000 (ca. 71 Euro) ab – dann kaufen wir uns Bustickets im Schlafbus für heute Abend um viertel vor acht. Eigentlich wollte wir ja nach der schlaflosen Nacht von Augustow nach Vilnius (die jetzt schon fast acht Monate zurück liegt!!) keine Nachfahrten mehr im Bus unternehmen. Aber in diesem Schlafbus hat jeder einen Sitz der sich fast in Liegeposition zurücklehnen lässt und so sparen wir uns eine Übernachtung in Dien Bien Puh und – das ist momentan wohl unser kostbarstes Gut – Zeit.

Joan hat uns gesagt, dass sie auf dem schnellsten Weg nach Hanoi will und kaum sind wir ausgestiegen, ist sie bereits verschwunden. Die zwei Holländerinnen wollen nach Sapa und quartieren sich daher erst mal in ein Hotel ein. Wir begleiten sie, in der Hoffnung unsere Taschen in ihrem Hotel für den Tag deponieren zu können. Doch erst mal spricht keiner Englisch und dann, als klar wird was wir wollen, wollen sie natürlich Geld für die Aufbewahrung haben. Wir haben schon von vielen, die uns unterwegs entgegen gekommen sind, gehört, dass Vietnam anstrengender sei als Thailand oder Laos und hier haben wir gleich die Beweise: Nervige Busfahrer, geldgierige Hotelbesitzer. Oh weh…

Wir folgen einem Schild, dass auf ein Café mit WiFi hinweist und finden tatsächlich ein kleines vietnamesisches Café, die Holländerinnen folgen uns. Wir müssen erst bis in die Küche vordringen bis wir jemanden finden, der uns mit einer Speisekarte versorgt, die aber glücklicher Weise auch auf Englisch ist. Dem netten alten Mann müssen wir die Bestellung dann auf Vietnamesisch durchgeben – zum Glück steht die Übersetzung immer gleich daneben. Englisch ist hier wohl Mangelware. Es gibt eine super leckere Reisnudel Suppe mit Grünzeug. Gut für meinen Bauch. Die Holländerinnen verschwinden am Nachmittag wieder in ihr Hotel, wo sie sich hinlegen wollen, wir halten durch, schreiben Blog, organisieren Couchsurfer und was sonst noch so getan werden muss. Zum Abendessen sind die Mädels wieder da, wir sind immer noch da. Wir essen zusammen, dann müssen wir zu unserem Bus.

Wir bekommen zwei Plätze in der hintersten Reihe zugewiesen. Die Sitze sind zweistöckig angehordnet und wir sollen oben Platz nehmen. Problem ist nur, dass sich die Sitze ganz hinten gar nicht so weit runter klappen lassen wie die Sitze im restlichen Teil des Busses, außerdem sind hinten Klimaanlage und Lautsprecher lokalisiert. Ich verlange neue Sitze und wir dürfen eine Reihe weiter nach vorne rücken. So können wir zwar nicht mehr direkt nebeneinander liegen, aber immerhin bläst uns nicht die eiskalte Luft direkt aufs Gesicht, die Musik nich in die Ohren und die Sitze lassen sich, so weit es eben geht, runterklappen.

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Doppeldecker Schlafbus.

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Wir machen das beste draus.

Die Sitze wurden natürlich der asiatischen Anatomie gerecht zugeschnitten, nicht der europäischen. Beine ausstrecken wird daher schwierig. Wir liegen etwa wie auf einer zu kurzen Gartenliege. Immer noch besser als sitzen!, denken wir. Es gibt Wolldecken für alle, die sind auch nötig, bei der eisigen Klimaanlage. Langsam füllt sich der Bus, auf die hinterste Reihe direkt hinter unseren Sitzen, schwingt sich eine kleine Vietnamesin und krabbelt dabei halb über uns drüber, Körperkontakt ist hier anscheinend nichts Ungewöhnliches. Dazu gesellt sich ihr Freund, der sie gleich liebevoll in seine Arme nimmt. Noch haben die beiden gute Laune und kichern vergnügt. Doch sobald sich unser Bus in Bewegung setzt, muss sich das zarte Mädel übergeben. Sie beugt sich nach vorne – klar, sie will sich ja nicht selbst aufs Bett kotzen – und würgt mir in den Nacken, zum Glück hat sie eine Plastiktüte dabei, in die sie ihren geringen Mageninhalt entleeren kann. An den Geräuschablauf raschelnde Plastiktüte, Würgen, Spucken, Husten, Wimmern, Hinlegen muss ich mich gewöhnen, die arme kann die ganze Nacht nicht an sich halten, ihr Freund klettert immer wieder vom Bett (dabei stützt er sich regelmäßig auf meinem Oberkörper ab) um neue Kotztüten zu holen. Die gefüllten Säckchen verstaut sie hinter meiner Kopflehne und der süßliche Geruch verteilt sich mit der kalten Klimaanlage. An Schlaf ist nicht zu denken. Allen wird schlecht. Wenn nicht von den Würg- und Spuckgeräuschen, dann vom rasanten Fahrstil auf der kurvenreichen Straße. Der Fahrer weiß wie er seine Fahrgäste am Schlafen hindert. Er fährt die Kurven schnittig und wir fliegen fast aus unseren Sitzen. Die zwei US Amerikaner, die ebenfalls nach Hanoi wollen, verkriechen sich bald auf die unteren Plätze in der Hoffnung, dass der Seegang dort weniger zu spüren ist. Dann sind keine Plätze mehr unten frei. Ein paar Sitze weiter vorne hustet ein Mann, fast schon hysterisch, der Fahrer steckt sich zwischendurch ne Kippe an, der kalte Qualm von vorne mischt sich mit dem süßen Duft von hinten. Draußen beginnt es zu regnen und wieder raschelt hinter mir die Plastiktüte…

Endlich wird es hell, bald müssen wir da sein – immerhin hieß es Ankunftszeit sei 6.00 Uhr. Aber will ich wirklich da raus? Es gießt in Strömen, die Straße löst sich in einen braunen Bach auf, Leute stapfen durch den Matsch. Nein, da will ich nicht raus! Dann lieber Würgegeräusche und Kotzgeruch von hinten. Doch irgendwann lässt sich die Ankunft nicht mehr aufschieben, wir sind in Hanoi, draußen grauer Morgen. Wir verlassen den Bus, treten in braune Pfützen, werden an den Ärmeln gezogen, alle wollen was von uns, reden auf uns ein, wir verstehen keinen Ton, wollen nur weg von hier und schnell unser Gepäck abladen bevor es im Matsch landet. Doch so ganz können wir die Taschen nicht vor dem allgegenwärtigen Schlamm schützen, scheinbar hat es in die Gepäckluke reingeregnet. Wir fliehen vor den aufdringlichen Männern, die uns ohne Hemmungen aufhalten wollen. Wir müssen hier irgendwie weg kommen. Vielleicht wäre das Taxi am einfachsten… Aber auch am teuersten und wir suchen nach dem öffentlichen Bus. Dazu müssen wir erst die ein oder andere Modderpfütze durchqueren. Zum Glück haben wir die Adresse unseres Couchsurfers im iPod gespeichert und halten sie nun verschiedenen Leuten unter die Nase. Wir werden von hier nach da und wieder zurück geschickt, alles im Regen und durch immer tiefer werdende Pfützen. Dann sitzen wir endlich im Bus, alle gucken neugierig und irritiert. Wir zahlen 3.000 Dong pro Person und der Bus fährt uns durch die Stadt. Auf den Bürgersteigen spielen Leute Badminton (im Regen!), Jogger laufen unbeirrt unter Regencapes, alle sind bereits unterwegs, im Regen, im grauen Morgen.

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Was für ein ungemütlicher Empfang!

Der Busfahrer schmeißt uns an einer großen Kreuzung raus. Wir haben keine Ahnung wo wir sind, aber wir haben ja eine Karte. Wir laufen in die vermutlich richtige Richtung, finden ein schön aussehendes Restaurant und beschließen erst mal zu essen. Doch nach einem Blick in die Speisekarte verwerfen wir den Gedanken wieder, viel zu teuer. Aber die Toilette können wir benutzen. Zum Glück habe ich die Nacht überstanden und musste den Bus nicht zum Anhalten zwingen!

Als wir wieder in den regnerischen Morgen treten, haben wir bereits entschlossen, dass wir einfach in ein Taxi steigen, das nächste ist unseres. Zuerst besteht noch Unklarheit darüber, ob wir mit oder ohne Taxometer fahren, der Fahrer will uns die Fahrt für 100.000 Dong verkaufen, doch wir setzen die Uhr durch, so weit kann es nicht mehr sein. Wir kurven durch die Gegend, das Taxometer rast (ist damit alles in Ordnung?) und wir verlieren die Orientierung. Immer wieder versucht der Fahrer die Verhandlungen wieder auf zu nehmen. Energisch winken wir ab – wir fahren per Meter! Plötzlich befinden wir uns bereits in der Straße, müssen nur noch die richtige Hausnummer finden. Die Straße ist lang und eng und belebt. Am Straßenrand wird Gemüse und Fleisch verkauft. Überall spritzt das Wasser aus den Pfützen. Wir haben unsere Hausnummer erreicht, bzw. die Hausnummern um die von uns gesuchte herum. Das Taxometer zeigt mittlerweile 75.000 Dong an, nach 10 Minuten Fahrt. Wir drücken dem Fahrer einen 100.000 Dong-Schein in die Hand und er will uns das Wechselgeld verweigern, doch wir haben ihn schnell vom Gegenteil überzeugt und er rückt das Geld raus und fährt davon. Laut der Wegbeschreibung unseres Couchsurfers müssen wir in eine kleine Gasse zwischen 181 und 185, um Hausnummer 183 zu finden. Wir folgen der Anweisung, können aber keine 183 finden. Stattdessen werden wir gleich von einem Typen auf einem Moppet angesprochen, der uns weiterhelfen will. Wir wiederholen immer wieder den Namen unseres Couchsurfers, denn mit Englisch können wir es hier vergeblich versuchen. Wir sollen ihn anrufen, deutet er uns. Gerne, wenn er ein Telefon für uns hätte, er entreißt uns den iPod und tippt darauf rum – dabei löscht er die eingespeicherte Adresse, na super! Telefonieren kann man damit aber immer noch nicht. Wir holen uns schnell den iPod wieder. Der Typ fummelt an meiner Tasche rum, ich blicke ihn fragend an, er dreht sich sofort weg. Da taucht eine alte Dame auf, die offensichtlich in der Gasse lebt. Sie kennt unseren Couchsurfer Bao und lädt uns in ihre Wohnung ein. Der Typ auf dem Moppet kommt mir. Die Frau hat ein Telefon an der Wand hängen und tippt die Nummer ein, die ich mir zum Glück noch auf einen Zettel aufgeschrieben habe. Doch keiner geht ran. Wir sollen uns hinsetzen. Der Typ will irgendwas von uns wissen, wiederholt den gleichen Satz immer und immer wieder, wir zucken nur mit den Schultern und lächeln, er wird lauter. Wir zücken unser Point It Büchlein, das wir von Gesa und Kerstin in Auroville geschenkt bekommen haben, und zeigen ihm die Karte von Europa, zeigen auf Deutschland. Er reißt uns das Büchlein aus der Hand, blättert drin rum, hat er uns verstanden? Er reicht das Büchlein weiter, ein junges Mädel ist dazu gekommen und soll es sich nun ansehen. Wir sitzen ein bisschen blöd rum, dann sollen wir uns rüber setzen auf die riesigen Holzstühle, typische Wohnzimmer Möbel, dunkles glänzend lackiertes Holz, geschnitzte Verzierungen, spiegelglatte Oberflächen, ziemlich hässlich. Kaum sitzen wir, taucht plötzlich unser Couchsurfer auf, ein schmächtiger kleiner Kerl, der aussieht als käme er gerade aus dem Bett. Plötzlich merke ich, wie der Typ mit dem Moppet schon wieder an meiner Tasche rumfummelt, an dem kleinen Täschchen, in dem ich die Geldscheine aufbewahre. Ich kann es nicht fassen und frage ihn verdattert, was er da vor habe! Ob er mir Geld klauen wolle. Beschämt dreht es sich weg, besinnt sich jedoch und verlangt tatsächlich Geld. Für die Frau, die Telefonanrufe. Oh nein, wir schütteln die Köpfe, ganz bestimmt nicht, und gehen. Bao nimmt uns mit in seine bescheidene Wohnung direkt gegenüber. Wir stehen mit unseren dreckigen Schuhen in einem kleinen Raum. Wir sollen die Taschen ablegen, ziehen unsere Schuhe aus. Auf einem dünnen Teppich steht ein niedriger Tisch, in einem Regal an der Wand stapeln sich Lehrbücher. Eine steile Holztreppe führt nach oben. Dort werden unsere Taschen jetzt hoch gehievt. Wir klettern hinterher. Oben angekommen finden wir uns in einem genauso kleinen aber etwas chaotischeren Zimmer wieder. Ein Fenster führt in einen nassen Schacht, es müffelt ein wenig nach ungewaschenen Klamotten, auf dem Boden liegen zwei dünne Matten, darauf fleckige Decken und Kissen. Wir betrachten unser neues Zuhause, unser Nachtlager, und schlucken. Nein, irgendwie wollen wir hier nicht wohnen, können das nicht. Nach so viel Reisen, so wenig Schlafen, nach all den Strapazen wollen wir hier einfach nicht bleiben.

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Unzufrieden und mit schlechtem Gewissen.

Bao bleibt unten und stöbert in seinen Büchern, anscheinend muss er für eine Prüfung lernen. Wir beraten uns oben und entschließen, Bao eine Geschichte aufzutischen, damit er kein Gesicht verliert, und dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Wir erzählen ihm, dass wir wegen des schlechten Wetters heute schon nach Halong Bay fahren wollen und dann direkt weiter in den Süden. Ob er uns unsere Geschichte abnimmt wissen wir nicht, aber wir wissen, dass es die richtige Entscheidung war, auf dem Weg ins Zentrum fühlen wir uns deutlich erleichtert. Nach wenigen hundert Metern befinden wir uns an exakt der gleichen Kreuzung an der wir vor etwa einer Stunde aus dem Bus gestiegen sind. Der Taxifahrer hat uns wirklich gehörig übers Ohr gehauen! Jetzt wissen wir wo wir lang müssen und finden schnell unseren Weg ins Stadtzentrum. Wir haben uns bei Bao im W-Lan bereits ein paar Hostels rausgesucht, die wir jetzt ansteuern. Aber erst durchqueren wir den historischen Teil der 3,7 Millionen Hauptstadt, das französische Viertel, aus einer Zeit als Vietnam noch französisch regiert wurde.

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Hoan Kiem See im Stadtzentrum.

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Wir umrunden den zentralen See, der sich in einen Nebelmantel hüllt, es hat zwar aufgehört zu regnen, aber es ist noch immer feucht und diesig.

Wir erreichen die Altstadt und tauchen ein in den wilden Rollerverkehr. Es scheint als seien alle Fahrzeuge Roller und alle fahren kreuz und quer. Ampeln gibt es nicht, oder sie werden nicht beachtet. Es knattert und brummt um uns herum, wir weichen den Pfützen aus, atmen den Smog ein. Alles erinnert an Indien, nur die Kühe fehlen. Wir laufen von einem zum nächsten Hostel, entscheiden uns schließlich für das beste Angebot und checken ein. Unsere nächste Mission lautet Frühstücken, bzw. Mittagessen. Auf der Suche nach einem Tipp aus dem Reiseführer entdecken wir ein anderes Restaurant, das uns gut gefällt, also bleiben wir einfach.

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Leckeres Mittagsbuffet.

Während wir essen recherchieren wir unser weiteres Vorgehen, ein Zugticket in den Süden müssen wir besorgen und dazu müssen wir zum Bahnhof. Also schlängeln wir uns nach dem Essen wieder durch den undurchdringlichen Verkehr. Irgendwie läuft es anders als in Indien, die Roller sind schneller unterwegs und fließen nicht um uns herum, sondern versuchen uns von der Straße zu hupen, in Indien floss das irgendwie harmonischer. Aber wir sind furchtlos und wissen wie man so eine Straße überquert: Selbstbewusst auftreten, den Fahrern in die Augen schauen, gehen.

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Altstadt Hanoi.

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Vogelkäfige mit kleinen bunten Insassen sind allgegenwärtig.

Bald lassen wir die Gassen und Souvenirgeschäfte der Altstadt hinter uns und erreichen größere Straßen, an denen es auch Ampeln gibt. Aber wen interessieren schon Ampeln? Wir verlaufen uns, fragen uns weiter durch und erreichen schließlich das Bahnhofsgebäude. Im Vietnamkrieg von den amerikanischen Bombern beschädigt, ist der Mittelteil des Gebäudes im hässlichen 70er Jahre- Stil neu gebaut. Die Seitenflügel sind noch kolonialistisch französisch, original.

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Stilmischung am Bahnhof.

Im Gebäude finden wir eine Reihe von Schaltern, hinter deren Glas teilweise Personen sitzen. Vor einem Fenster drängeln sich besonders viele Menschen. Während Christian sich anstellt, will ich die Toilette benutzen. Mittlerweile hat sich mein Magen-Darm-Trakt wieder normalisiert, alles wie immer. Seltsam. Am Eingang soll ich 2.000 Dong für die Toilette zahlen. Ich rücke ein paar zerknüllte Scheine heraus und darf den Nassbereich betreten. Und ein Nassbereich erwartet mich tatsächlich: Der Boden ist eine riesige Pfütze, durch die ich auf Zehenspitzen tippele. Auf der einen Seite sehe ich durch eine halbhohe gekachelte Wand getrennte Nischen, in die man sich hocken kann, keine Tür nur eine Rinne an der Wand, in der das erledigte Geschäft dann abfließen soll.

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Toilette des Grauens.

Nein, ich präferiere eine Kabine mit Tür. Doch die drei zur Verfügung stehenden Stehklos sind genauso ekelhaft, feucht warm schwül wie alles andere hier. Die Mücken surren träge durch die Luft, warten nur darauf, dass sich das nächste Opfer, ich, wieder niederlässt. Ich betrete mit spitzen Fingern und Füßen eine Zelle, die Tür lässt sich nicht mal schließen, sie schwingt immer wieder auf. Oh je, und hierfür habe ich bezahlt? Unglaublich!

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Zum Glück ist mit mir wieder alles in Ordnung.

Wieder draußen ist Christian noch keinen Schritt weiter voran gekommen in der diffusen Schlange. Ein Fenster ist vollkommen frei, keiner der sich dort anstellt. Also trete ich einfach mal vor den Schalter und frage die Dame dahinter ob wir bei ihr Tickets kaufen könnten. Sie nickt, antwortet auf astreinem Englisch, na also! Wir buchen einen Zug am nächsten Abend nach Hoi An, einer historischen Empfehlung aus unserem Reiseführer, und einen Tag später von Hoi An nach Nah Trang, der Party Beach Metropole Vietnams. Von dort aus wollen wir dann mit dem Bus weiter reisen. Alles kein Problem. Wir kaufen die billigsten Tickets. Im Sechserabteil, die zwei obersten Betten, mal sehen wie das wird. Jedenfalls haben wir auch diese Mission erfüllt. Auf dem Weg zurück in die Altstadt wollen wir ein Café aufsuchen, in dem die Schauspielerin Catherine Deneuve während der Dreharbeiten zu ihrem Film “Indochine” ihren Kaffee zu sich nahm. Eigentlich wollen wir nur Kaffee trinken (ich) und Kuchen essen (Christian), aber das Café liegt nun mal auf dem Weg. Außerdem auf dem Weg liegt ein Mercure Hotel, in dem wir nach dem Weg fragen und die sauberen, Musik bespielten, mit Klopapier, Seife und zur Einmalbenutzung ausgelegten Stoffhandtüchern ausgestatteten und vor allem kostenlosen Toiletten benutzen dürfen…

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Nach unserem Kaffee und Kuchen Ereignis geht es zurück ins Hostel, wir müssen mal ein bisschen die Beine hochlegen.

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Wer sucht noch ein Hochzeitskleid?!

Zum Abend haben wir uns ein Restaurant rausgesucht, das in unserem Viertel liegt. Der Weg durch die beleuchteten und belebten Straßen ist sehr schön und wir genießen die Abendatmosphäre.

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Hanoi am Abend.

Auf dem Rückweg schlendern wir noch über einen Nachtmarkt. Ständig werden wir von Vietnamesen angerempelt oder eng gestreift, ich halte meine Tasche fest. Aber die Leute wollen uns nicht beklauen oder auf die Pelle rücken, stellen wir fest, die sind einfach so. Körperkontakt scheint hier nichts fremdes zu sein. Daran müssen wir uns jetzt wohl gewöhnen.

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Auch kleine Mädchen wollen Prizenssinenkleider.

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Am Wühltisch nebenan gibt es BHs und schicke Hemdchen.

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Am nächsten Morgen wachen wir früh auf. Unsere Schuhe sind immer noch nass, unser Zimmer hat kein Fenster und ein tropisches Raumklima, da trocknet nichts, niemals. Wir packen zusammen und bekommen einen Weckanruf, den wir nicht verlangt haben. “What is your problem?”, ist Christians freundliche Begrüßung. Dann hören wir es schon im nächsten Zimmer läuten. Wir laufen zum Frühstücksbuffet, das inklusive ist und daher nicht verpasst werden sollte. Mager aber ok. Dickflüssiger Kaffee ohne Milch oder Zucker, frittierte Törtchen, Weißbrot und Marmelade. Wir unterhalten uns mit zwei Dänen, die gerade aus Sapa zurück gekehrt sind. Kalt war’s, berichten sie. Jetzt geht’s schon wieder weiter nach Halong Bay. Wir haben uns aufgrund der Wettervorhersage gegen die neblige Bucht entschieden. Für die nächsten Tage ist nichts als Nebel und Regen angesagt. Doch bevor wir heute Abend in den Zug steigen, wollen wir Ho Chi Minh, dem kommunistischen Rebellenführer gegen die Franzosen, in seinem Mausoleum einen Besuch abstatten. Das geht nur vormittags, also müssen wir uns sputen.

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Wieder gehen wir zu Fuß. Wir müssen ein militärisches Sperrgebiet umrunden, Soldaten stehen an den Eingängen und passen auf, dass keiner unbefugt eintritt. Als wir an einem jungen Soldaten vorbei kommen, spitzt dieser die Lippen und wirft mir einen zärtlichen Kuss zu. Verdattert bleibe ich stehen. Wie bitte?? Ich weiß gar nicht wie ich reagieren soll, aber einfach weiter gehen will ich nicht. Ich schaue ihn böse an und sage ihm, dass er das bloß bleiben lassen solle. Ich halte Christian an, der dem Typen einen Vogel zeigt und den Kopf schüttelt, der Soldat fühlt sich ertappt, lacht verlegen, blickt sich hilfesuchend nach seinen Kollegen um, wir gehen. Dieser Penner! Ich bin vollkommen von der Rolle. Die Erlebnisse in Indien haben mich anscheinend doch mehr beeinflusst als ich bisher gedacht habe. Ich bin völlig verwirrt und furchtbar sauer auf den Typen, dabei hat er ja eigentlich nichts gemacht. Nur etwas sehr ungewöhnliches für einen vietnamesischen Soldaten, wie ich finde. Ob er das auch zu einer vietnamesischen Frau gemacht hätte?

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Kurz darauf erreichen wir schon das Mausoleum. Nach Lenin in Moskau wollen wir nun den zweiten kommunistischen Führer in seinem Grab besuchen (dabei hat Ho Chi Minh angeblich den Wunsch geäußert eingeäschert zu werden. Der Arme!). Zuerst finden wir den Eingang nicht. Dann erzählt uns ein schlitzohriger Touristenführer das Mausoleum sei heute geschlossen. Wir wollen das nicht glauben und fragen weiter. Doch wie sich herausstellt hat der Mann Recht. Heute also keine Leichenschau. Was für eine Enttäuschung! Das einzig Interessante in Hanoi ist heute geschlossen. Wir sind ziemlich niedergeschlagen, den ganzen Weg umsonst gelaufen und der blöde Soldat, alles umsonst…

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Der Eingang ins Allerheiligste bleibt heute verschlossen.

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Das Gras davor wird natürlich von Hand gepflegt.

Wir suchen uns eine Route zurück in die Innenstadt.

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In der umliegenden Nachbarschaft wohnen sicherlich nur Parteifreunde.

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Turm im militärischen Sperrgebiet.

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Immerhin Lenin bekommen wir heute noch zu Gesicht.

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Französische Architektur.

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St. Joseph Cathedral.

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Im Fanny Eiscafé gönnen wir uns einen Eisbecher!

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Wer kann da schon widerstehen?

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Auf der Brücke zum Tempel im See wird fürs Foto geposed.

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Im Nudelrestaurant.

In einem Nudelrestaurant essen wir leckere Pho (Nudelsuppe) zu Mittag. Wir schlendern noch mal ein wenig durchs französische Viertel, lassen uns Zeit beim nach Hause gehen.

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Typische Szene: Vietnamesen beim gemütlichen Zusammensitzen, Essen und Quatschen.

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Ein lustiger Anblick! Die Fahrradrikschas ähneln hier irgendwie Kinderwagen.

Im Hotel nutzen wir die Zeit, um noch ein paar Dinge im Internet zu erledigen, z.B. eine Unterkunft in Hoi An buchen. Wir wundern uns warum wir uns auf Facebook nicht anmelden können, bis uns dämmert, dass es hier, ähnlich wie in China, gesperrt sein könnte. Wir googlen das Problem und finden tatsächlich eine Umleitung, die uns dann doch auf die Seite lässt. Jetzt kann ich wieder veröffentlichen (wenn auch mit ein paar Einschränkungen).

Zum späten Nachmittag machen wir uns mit unserem Gepäck wieder auf den Weg zum Bahnhof. Das Abendessen finden wir gut und günstig direkt gegenüber vom zerstückelten Bahnhofsgebäude, in einer kleinen Suppenküche, in der wir neugierig von allen anderen Gästen beobachtet werden.

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Die Nudelsuppe ist günstiger und sogar noch leckerer als heute Mittag.

Dann laufen wir rüber zum Bahnhof. Unser Zug steht bereits am Gleis. Wir finden unser Abteil. Vier Leute, drei Frauen, ein Mann, sitzen bereits auf der untersten Pritsche und schauen ein wenig überrascht als sie die zwei Riesen mit ihren Rucksäcken in der Tür stehen sehen. Doch sie erholen sich schnell vom ersten Schock, klopfen neben sich auf die Pritschen, dass wir uns zu ihnen setzen und füttern uns sogleich mit frisch aufgeschnittener grüner Mango – super Nachtisch! Dann sitzen wir ein wenig zusammen, der vietnamesische Mann in der Runde kann offensichtlich als einziger Englisch, er wird von den drei Frauen die ganze Zeit getriezt und angestupst, aber er versteckt sich lieber hinter der Zeitung und guckt sich halbnackte Frauen an. Armer Kerl. Die älteste der Damen holt ihr Blutdruckmessgerät raus und führt ordnungsgemäß eine Blutdruckmessung durch. Wir gucken interessiert und tauschen unser Wissen darüber aus was die einzelnen Werte bedeuten. Kaum ist die Dame fertig, schnappt sie sich Christians Arm, da muss er jetzt durch. Sie gibt exakte zeichensprachliche Erklärungen: Aufrechter Sitz, Handgelenk auf Höhe des Herzen. Das Gerät pumpt sich auf und beginnt zu zählen: 118 zu 74, Puls 79. Alle begutachten seine Werte und nicken anerkennend, Daumen hoch. Auch ich bekomme für meinen Blutdruck von 130 zu 80 und Puls von 78 ein Daumen hoch. Jetzt müssen alle ran. Das Messgerät wird von einer zur nächsten und zum Schluss zum mürrischen Zeitungsleser gereicht. Das Eis schmilzt ein wenig und am Ende ringt er sich durch die eine Frage zu übersetzen: “Where are you from?”. Danach scheint die Mannschaft befriedigt zu sein für den heutigen Abend und verzieht sich in ihre Kojen. Auch wir quetschen uns in die oberste Reihe, direkt unter der Decke, mehr als liegen und schlafen ist hier nicht möglich. Wieder eine Nacht im wackelnden Zug, unsere erste in Vietnam. Das monotone Wackeln macht müde.

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Gute Nacht Vietnam.

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