Wir sind morgens natürlich so schlau und nehmen kein Taxi in die Innenstadt. Wir wollen den Bus nehmen. Als wir bei der Hauptstraße ankommen, sehen wir uns nach einer Bushaltestelle um. Entgegen der Fahrtrichtung wäre in einiger Entfernung eine, aber wir laufen trotzdem in die andere Richtung. Leider kommt dann keine Bushaltestelle mehr, jedenfalls für die nächsten ein bis zwei Kilometer. Der Morgen ist bereits ziemlich warm und wir verfluchen unseren Geiz, warum haben wir nur kein Taxi genommen? Dann entdecken wir endlich die nächste Bushaltestelle und in dem Moment kommt auch gerade ein Bus, unser Bus, wir springen schnell über die Rollerspur, an den Rand der großen Straße und halten den Bus an. Im Innern ist zwar die Klimaanlage eingeschaltet aber unseren Schweiß vermag die nicht zu stoppen und außerdem ist es viel zu voll, wir quetschen uns zwischen die neugierigen Mitfahrer und die Tür, wann sind wir endlich da? Von der Busstation bis zum Reisebüro, in dem wir unseren Bus gebucht haben, sind es noch ein paar hundert Meter. Mittlerweile sind wir etwas spät dran und wir hetzen weiter, ein entspannter Morgen sieht anders aus…

Kaum haben wir das Reisebüro erreicht, läuft Christian los, um uns beim Bäcker ein Frühstück zu kaufen, ich warte mit den Taschen, doch sogleich spricht mich einer der Typen von dem Busunternehmen an, ich solle mitkommen, der Bus stünde schon bereit. Ich sage ihm, dass ich in fünf Minuten komme, immerhin führe der Bus nicht vor acht Uhr und wir haben erst halb acht. Aber der Typ lässt nicht locker, alle würden bereits auf mich warten, wir müssten los, er scheint ein bisschen unter Zeitdruck zu stehen und eilt voraus. Widerwillig hieve ich meinen Rucksack auf meinen verschwitzten Rücken, packe mir Christians, jetzt noch meine Umhängetasche und Christians kleinen Rucksack. Was für ein Morgen! Demonstrativ schwankend komme ich aus dem Büro, der Typ greift zum Glück direkt ein und nimmt mir Christians großen Rucksack ab. Wir schreiten in Richtung Bushaltestelle und, zum Glück Bäckerei. Unterwegs sammeln wir noch andere Backpacker ein, die auch alle mitfahren. Als wir die Bäckerei erreichen, steht Christian gerade gelassen am Tresen und zahlt unsere Teilchen. Er hat von dem Stress nichts mitbekommen und unterhält sich noch mit der Kassiererin. Als er die gestresste Truppe vor der Tür stehen sieht, guckt er verdattert und nimmt dann schnell seinen Rucksack an sich. Ich drücke ihm seinen kleinen Rucksack in die Hand und hetze der bereits wieder weiterziehenden Truppe hinterher. Im klimatisierten Bus nehmen wir unsere Plätze ein und kurz darauf geht es auch schon los.

Bereits vor dem Mittag erreichen wir die Grenze. Alle müssen aussteigen und in den Abfertigungsraum. Wir sollen unsere Pässe gesammelt an unseren Bustypi abliefern, der sie dann am Schalter einreicht. Die Halle ist bereits gefüllt mit vielen anderen Wartenden, Vietnamesen, aber auch viele Touristen. Alle warten, dass ihre Namen ausgerufen werden und sie ihren Pass gestempelt wieder in Empfang nehmen dürfen. Das Prinzip leuchtet uns nicht als besonders vorteilhaft ein: Warum kann nicht jeder seinen Pass selbst abgeben, der wird dann direkt gestempelt und man kann gleich durch gehen. Wir warten bestimmt eine Stunde bis wir endlich als “Kristin” und “Anni” ausgerufen werden. Wir sind raus.

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Ein Blick zurück nach Vietnam.

Auf der anderen Seite geht es gleich wieder in den Bus und dann rüber zur kambodschanischen Grenze. Dort müssen wir unsere Einreise- und Visapapiere ausfüllen und 20 US$ pro Visum zahlen. Da wir noch so viele vietnamesische Dong haben, zahlen wir in Dong, stellen aber später fest, dass wir einen ziemlich miesen Deal gemacht haben, und jetzt jeder 25 US$ fürs Visum gezahlt haben. An der Grenze werden wir fotografiert und unsere Fingerabdrücke werden genommen. Zusätzlich gibt es dann noch eine mysteriöse Gesundheitskontrolle: Wie Fiebermessen aus 20 Zentimeter Entfernung.

Wir tauschen unsere restlichen Dong gegen Dollar (in Kambodscha wird mit US Dollar bezahlt, alles was kleiner ist als ein Dollar, wird in Riel rausgegeben, wobei 4.000 Riel einem US Dollar entsprechen) und lassen uns wieder übers Ohr hauen. Das fängt ja schon gut an. Kurzer Stopp zum Mittagessen, dann geht’s endlich weiter.

Die Straßen sind deutlich schlechter und wir schaukeln hin und her. Draußen ist es staubig trocken (Kambodscha steht kurz vor der Regenzeit und ist an seinem Trockenpunkt angekommen) und sehr simpel. Die Häuser stehen auf hohen Pfählen in sumpfig dreckigem Wasser, in dem der Plastikmüll schwimmt. Gebaut wird aus Holz und sehr einfach. Wir sehen nackige kleine Kinder, dreckige Mädchen, Männer in Lendenschurz und nacktem Oberkörper. Frauen sind langärmlig und langbeinig gekleidet, tragen die typischen Chinesenhüte und verkaufen Getränke am Straßenrand. Die Leute sehen erschöpft aus, als würden sie viel arbeiten und als laste die Vergangenheit noch immer schwer auf ihnen. Eigentlich waren die Kambodschaner ein starkes Volk. Zur Blütezeit im 12. Jahrhundert war Kambodscha deutlich größer als heute und umfasste Laos und Teile von Vietnam. Später, Mitte des 19. Jahrhunderts, kamen dann die Franzosen zu Hilfe (ausnahmsweise haben sie wirklich geholfen) und verhinderten die Übernahme durch Thailand. Stattdessen wurde Kambodscha einige Jahre später Teil von Indochina. Nach dem Vietnamkrieg (in den Kambodscha durch seine Verbindung zur Vietminh hineingezogen wurde) kam es zur politischen Revolution, aus der Mitte der 70er Jahre die kommunistische Guerillapartei, die Roten Khmer, als Sieger hervor ging. In den darauffolgenden Jahren erlebte das kambodschanische Volk eine gnadenlose Regierung, die das Volk als Arbeitssklaven ausbeutete, sie in Konzentrationslagern folterte und tötete, sie auf den Feldern verhungern ließ und jede Opposition im Keim erstickte. Es reichte lesen zu können, eine Fremdsprache zu sprechen oder gar eine Brille zu tragen, um als “Intellektueller” umgebracht zu werden. Erst das Eingreifen Vietnams (natürlich erst nachdem auch Vietnamesen im Grenzgebiet ermordet worden waren) Ende der 70er Jahre konnte die Roten Khmer vertreiben. Wieder folgten unruhige Zeiten, zwischenzeitlich gab es sogar eine UN-Übergangsverwaltung, mittlerweile ist es anscheinend ein wenig ruhiger geworden (auch wenn es immer noch weit entfernt von “frei”, “demokratisch”, “friedlich” ist). Kambodscha ist eine Monarchie mit einem König und einer kommunistischen Regierung. Trotzdem müssen die grausamen Jahre unter den Roten Khmer dem Volk noch stark in den Gliedern sitzen. Immerhin sind damals um die 2 Millionen Menschen umgekommen. Opfer in jeder kambodschanischen Familie.

Das Wissen über die Geschichte lässt alles in einem fahlen Licht erscheinen. Die Trockenheit, die Knappheit an Essen, die angeblich immer noch immer wieder herrscht. Kambodscha ist eins der ärmsten Länder der Welt, in kaum einem Land herrscht mehr Korruption. Was haben die Menschen, die auf der anderen Seite unseres Busfensters an uns vorbeidriften, in ihrem Leben schon alles erlebt? Was für ein Leben führen sie?

Wir erreichen eine Stadt und müssen, um einen breiten Fluss zu überqueren, auf eine Fähre fahren. Eine Brücke gibt es offensichtlich nicht. Dann erreichen wir endlich am Nachmittag Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas. Wir werden gleich im Zentrum am Ufer des Mekong rausgeschmissen. Anscheinend müssen wir den Bus wechseln. Unsere neue Abfahrtzeit ist halb fünf, das ist in einer halben Stunde. Wir müssen schnell etwas zu essen suchen. Das nächste Restaurant ist viel zu teuer – Essen ab 6 US$! Hoffentlich ist das nicht überall so… Wir schultern unsere Taschen und begeben uns auf die Suche. Doch leider ist alles in der nächsten Umgebung ähnlich teuer und wir verlieren Zeit, nur noch 20 Minuten… Wir hetzen wieder zurück zu der Stelle, an der der Bus uns rausgeschmissen hat und wo auch das teure Restaurant ist, und lassen uns nieder. Egal, denken wir, und bestellen.

Um fünf fragen wir das erste Mal nach unserem Bus. In den folgenden drei Stunden laufen wir im 30-Minuten-Takt immer wieder zwischen unserem Restauranttisch und dem Busbüro hin und her und erkundigen uns nach der neuesten Abfahrtzeit. Zuerst ist es halb sechs, dann halb sieben, dann in 20 Minuten, dann in 20 Minuten, dann in 20 Minuten… Schließlich werden wir aus dem Restaurant rausgeschmissen, weil wir seit drei Stunden nichts mehr konsumiert haben und nun immer mehr schick gekleidete Menschen zum Essen kommen. Wir nehmen vor dem Busbüro Platz, Mücken schwirren um unsere Köpfe. Dann kommt endlich ein Bus, unser Bus! Wir sind nicht die einzigen Wartenden. Mit uns steigen zwei Ami-Mädels und ein Kanadier erleichtert in unser neues Transportmittel: Ein riesiger Reisebus, für fünf Passagiere!!

Die Klimaanlage ist natürlich mal wieder auf höchste Stufe gestellt, uns bläst ein arktischer Wind entgegen, dem auch noch ein seltsamer Geruch anhaftet. Wie viele Stunden bis Sihanoukville? Vielleicht drei, vielleicht vier, wir wissen es nicht. Die Amis haben sich in die letzte Reihe verzogen und singen lauthals (jedenfalls die zwei Mädels, der Typ gibt keinen Ton von sich) mit Katie Perry, die aus ihrem Handy schallt. Sie haben sich während der Happy Hour des Restaurants ganz gut bedient, wie es scheint, sie sind alle total stramm!

Irgendwann beginnen die Scheiben von außen zu beschlagen, wir sind in alles eingewickelt was wir haben, Fließjacken und Halstuch, mehr haben wir nicht und wieder wird es kälter… Christian geht zum Fahrer, bittet die Klimaanlage auszustellen. Tatsächlich wird es wenig später wärmer, mittlerweile haben wir 23 Uhr und wir werden langsam müde. Die Scheiben tauen auf, wir dösen dahin. Auch die Mädels in der letzten Reihe geben Ruhe (jetzt singt dafür ihre männliche Begleitung – und wie!). Fröstelnd kommen wir wieder zu uns, kommt uns das nur so vor oder wird es tatsächlich wieder kälter? Die Scheiben beschlagen wieder, ich gehe zum Fahrer, bitte die Klimaanlage auszustellen. Wieder wird es wärmer. Wir halten, der Fahrer oder einer seiner Begleiter-Jungs, muss pinkeln, es wird wieder kälter, ich gehe zum Fahrer, bitte ihn die Klimaanlage auszustellen, es wird wärmer, wir schlummern, es ist nach Mitternacht, wir halten, um irgendwen rauszuschmeißen, irgendwen einzusammeln, es wird wieder kälter, ich gehe zum Fahrer…

So geht es immer weiter, bis wir um zehn nach eins endlich auf einen Busparkplatz rollen und der Busfahrer den Motor abstellt. Aber wo sind wir hier überhaupt? Zaghaft steigen die ersten aus, doch ohne zu wissen, wie wir zu unseren Unterkünften kommen, wollen wir den Bus nicht komplett verlassen. Wir wollen den Busfahrer überreden, uns in Zentrum zu fahren. Immerhin ist kein Tuktuk weit und breit zu sehen. Was denkt sich der Busfahrer eigentlich? Dass er uns hier mitten in der Nacht einfach irgendwo im Nirgendwo rausschmeißen kann? Ja, wir wollen es zwar nicht glauben, aber so ist es. Wir sollen doch im Bus schlafen, sagt er lachend in gebrochenem Englisch. Wir versuchen es mit verschiedenen Strategien. Der Kanadier fleht (“Please, we need your help! Please help us!”), die besoffenen Mädels wenden Beschimpfungen und Drohungen an (die eine flucht, die andere fuchtelt mit ihrem Feuerzeug am Armaturenbrett herum und droht den Bus in Brand zu stecken oder einfach selber zu fahren – sie klaut sogar die Schlüssel!), ich versuche es mit Entschlossenheit („You will drive us to the city. Now!”) und dann mit Drohung (ich leihe mir sein Handy und versuche damit erst unser Hostel und dann das Busunternehmen an zu rufen, erreichen jedoch niemanden, nirgendwo), Christian begnügt sich damit, dem Typen deutlich zu sagen, dass die Situation ganz und gar nicht komisch ist, der Typ hört sofort auf zu kichern. Wir sind verzweifelt, alle. Seit acht Uhr heute Morgen sitzen wir im Bus, haben Stunden auf unseren Anschluss gewartet, mittlerweile haben wir zwei Uhr nachts, wir haben keine Ahnung wo in Sihanoukville wir uns befinden und wissen nicht wie weit es bis ins Zentrum ist, geschweige denn in welche Richtung wir überhaupt gehen müssen. Außerdem wissen wir auch nicht, wie sicher die nächtlichen Straßen Kambodschas sind. Immerhin sind wir gerade erst angekommen – Welcome to Cambodia!

Plötzlich taucht ein Tuktuk Fahrer auf. Er will sieben Dollar für die komplette Fahrt haben. Wir haben keine Ahnung wie weit es ist. Der Typ ist eindeutig in der besseren Position. Wir haben keine Lust uns übers Ohr hauen zu lassen, aber der Typ geht keinen Dollar runter. Wir könnten doch im Bus schlafen, schlägt der Busfahrer wieder vor. Nein Danke!!

Während sich der Busfahrer auf eine Sitzbank zurückzieht und sie dort Fotos auf seinem Handy mit verdächtig viel nackter Haut ansieht, gehen die Jungs (Christian und der Kanadier) zur Straße vor und wollen irgendwelche Informationen über unsere genauere Position erfahren. Sie kommen zurück mit dem Angebot eines Autofahrers (woher der um diese Uhrzeit plötzlich auftaucht bleibt unklar), der uns ebenfalls für 7 Dollar fahren will. Vergeblich versuchen wir erneut die Verhandlung aufzunehmen, doch da ist nix zu machen. Wir geben auf, total erledigt holen wir unser Gepäck aus dem Bus und quetschen es samt uns in das kleine Gefährt.

Bis ins Zentrum ist es tatsächlich ein ganz schönes Stück. Die sieben Dollar sind vielleicht nicht unbedingt angebracht, aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wir zahlen drei, die anderen drei zahlen vier, wir sind da, bei Mick & Craik’s Guesthouse, das wir zum Glück reserviert hatten. Und glücklicherweise ist noch jemand da, der uns empfängt und uns zu unserem bescheidenen aber halbwegs sauberen und günstigen Zimmer begleitet. Wir duschen, fallen ins Bett, schlafen.

Am nächsten Morgen ist es bereits glühend heiß als wir zum Frühstück gehen. Stromausfall, keine Ventilatoren und damit kein einziger Windhauch. Schweiß läuft in trägen Tropfen. Der komplette Körper schwitzt: Schweiß auf der Oberlippe, Schweiß auf den Augenlidern, Schweiß auf den Oberschenkeln, Schweiß auf der Kopfhaut. Gibt es eine Stelle am Körper, an der keine Schweißdrüsen sitzen? Ja, die Lippen!

Wir sehen uns nach Fahrrädern um. Wir wollen Fahrräder leihen und uns den Otres Beach mal ansehen, der liegt ein wenig außerhalb, soll aber total schön sein. Wir finden Räder, zwei Dollar pro Rad für zwei Tage. Doch wir sollen 35 US$ als Pfand hinterlegen. Pro Fahrrad. Pro Fahrrad?? Wir müssen also erst mal Geld abheben. Ein ATM ist schnell gefunden, aber was ist das? Ich soll 5 US$ Gebühr zahlen! Fünf Dollar auf 100 Dollar, das sind ja 5 %! So ein Mist! Wir suchen einen anderen ATM (der Schweißprozess setzt sich natürlich weiter fort und wird durch die Bewegung noch verstärkt), der sich auch bald findet, doch die Gebühren sind die gleichen. Wir fragen Shop Besitzer, Leute in Cafés, Touristen. Spricht denn hier keiner Englisch und versteht unser Anliegen?! Am Ende beißen wir in den sauren Apfel und heben das Maximum von 500 US$ ab, dann sind es immerhin nur noch 1 %. Endlich können wir unsere Räder in Empfang nehmen. Jetzt kann es los gehen. Wir radeln an der Küste entlang und der leichte Fahrtwind kühlt Körper und Nerven. Die Landschaft ist nicht besonders ansprechend. Überall stehen halbfertige Bauten herum, Müll liegt im Gebüsch, ein grüner Tümpel stinkt vor sich hin. Wir erreichen einen Strand, dessen Weiterentwicklung anscheinend aufgegeben wurde. Zwar führt eine Teerstraße direkt am Meer entlang und auf der anderen Straßenseite steht auch ein imposantes Gebäude, dessen Weiterbau wurde anscheinend jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Wir müssen einen steilen Hügel überqueren und schieben unsere Räder den roten Sandweg hinauf, dahinter befindet sich Otres Beach. Rechts und links der Sandstraße gibt es einige kleinere Steinhäuser und Hütten. Anscheinend alles zu touristischen Zwecken. Auch hier wird noch gebaut, aber nicht in so großem Maßstab und anscheinend auch mit mehr Absicht die Bauten auch zu vollenden. Wir stellen die Räder an einem Volleyballfeld im Sand ab und laufen zum Wasser. Ich brauche eine Erfrischung, sofort! Zum Glück haben wir vom Hostel Handtücher bekommen. Ich stürze mich ins Wasser, doch das Wasser ist fast noch wärmer als die Luft! Und es ist so flach. Ich kann meterweit hineinlaufen. Krebse fliehen vor meinen Schritten, graben sich blitzschnell ein, ich habe noch nie so klares Wasser gesehen. Als ich mich in die riesige mit warmen Salzwasser gefüllt Badewanne fallen lasse, überkommt mich das Gefühl, dass ich hier bleiben will. Ich will nicht zurück in die Stadt, denke ich, und tauche ein paar Züge durch den blauen Ozean, der mich umschließt, ich will hier am Strand wohnen! Ich schwimme zu einer Holzplattform, die auf den kleinen Wellen schaukelt und ziehe mich hinauf. An ihren Seiten tummeln sich kleine Fischchen, ein kleiner dunkler Junge gesellt sich zu mir und verschwindet sogleich wieder in den Fluten. Ich folge ihm kurze Zeit später mit einem Köpper. Zurück auf meinem Handtuch kann ich es kaum aushalten, nicht sofort auf neue Wohnungssuche zu gehen.

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Unser Zufluchtsort in glühender Mittagshitze.

Ich lese ein paar Seiten, dann ziehe ich los, laufe am Wasser entlang und schaue mir die verschiedenen Unterkünfte an. Alles ist ziemlich rudimentär: Einfache Strandhütten aus Palmenblättern, geflochten mit Strohdach. Manche neuer, manche schon ein wenig mitgenommen. Es ist wenig los. Hier und da sitzen ein paar Leute herum, sonnen sich oder essen gerade zu Mittag. Nach vielleicht 200 Metern habe ich bereits das Ende der “Strandpromenade” erreicht. Der Strand erstreckt sich noch Kilometer weiter, doch die Strandhütten sind nur bis hier her vorgedrungen. Ich beschließe einfach mal bei der letzten Unterkunft, die ziemlich neu aussieht, nach einer Hütte zu fragen. Das Mädel hinterm Tresen ist sofort total nett und zeigt mir eine kleine Hütte mit Doppelbett, einem Regal, einem Tisch, einem Waschbecken und einer kleinen Terrasse mit zwei Stühlen und einem Tisch (alle Möbel sind aus Rattan), die vielleicht fünf Meter vom Wasser entfernt direkt aufs Meer blickt. Die Hütte soll 15 US$ die Nacht kosten. Sie habe auch eine weiter hinten, ohne Meerblick, dafür aber mit eigenem Badezimmer, für 16 US$. Doch die will ich gar nicht sehen. Wenn, dann will ich so nah wie möglich am Meer wohnen.

Ich laufe wieder zu Christian zurück und erzähle ihm von meinen Nachforschungen. Wir wollen etwas essen gehen und gleichzeitig uns nach den Preisen anderer Hütten erkundigen. Wir ziehen von Hütte zu Hütte, die Preise variieren stark. Mal kostet die Hütte nur 8 US$ mit eigenem Bad, mal 12 ohne.

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“Innenhof” einer Hüttensiedlung.

Doch am Ende stehen wir wieder vor der einen kleinen süßen Hütte mit Blick aufs Meer und lassen uns von Micki, dem zweiten Besitzer der erst im Dezember entstandenen Hüttensiedlung “Papa Pippo”, die Hütte erneut vorführen. Er empfiehlt uns ein Restaurant und noch bevor wir bestellt haben, laufe ich rüber zu ihm und sage für den nächsten Tag zu. Wir haben unsere Hütte gefunden! Eine Hütte direkt am Meer!

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Mittagessen bei Richi’s.

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Wir ziehen ans Meer!

Wir sind ganz beglückt. Mit so einem Glück haben wir nach dem stressigen Morgen gar nicht gerechnet. Otres Beach scheint tatsächlich ein kleiner Geheimtipp zu sein. Es ist total ruhig und entspannt. Nur die Preise sind ein wenig exklusiver, alles ist ein bis zwei Dollar teurer als in der Stadt.

Bevor die Sonne untergeht müssen wir wieder in die Stadt fahren. Immerhin müssen wir die nächste Nacht noch in unserem Hostel schlafen. Nach dem Abendessen kaufen wir noch ein wenig Proviant für den Strand ein. Kekse (genauer: Oreos; seit Thailand ist kein Tag ohne Oreos vergangen) und Wasser. Außerdem entdecke ich einen Bikini, der mein Mädchenmodell aus Indien ablösen soll. Endlich ein schöner Bikini!

Am nächsten Morgen gibt es zum Glück Strom und wir müssen beim Frühstück nicht ganz so sehr schwitzen. Während Christian die Räder abgibt, kaufe ich mir endlich ein Strandtuch, das hatte ich schon seit Indien vor! Dann bekommen wir tatsächlich ein Tuktuk für 3 US$ zum Strand und endlich verlassen wir das viel zu heiße Touristenviertel. Wir fahren auf unseren Strand zu!

Zuerst erkennt uns Miki nicht und meint, sie seien ausgebucht. Doch dann helfen wir ihm auf die Sprünge und ja (Gott sei Dank!), unser Bungalow wird gerade für uns gereinigt. Wir machen es uns auf den gemütlichen Rattan Möbeln im Restaurant von Papa Pippo bequem und holen unsere Bücher raus. Um uns verdunkelt sich der Himmel und ein kräftiges Gewitter beginnt langsam herauf zu ziehen.

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Tintenfischverkäuferin vor Gewitterfront.

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Vielleicht sollten wir langsam mal rein gehen?

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Doch als das Grummeln sich wieder entfernt und wir in unsere kleine nach Heu duftende Hütte eingezogen sind, machen wir einen Spaziergang den einsamen Strand entlang. Wir entfernen uns immer weiter von den Hüttensiedlungen, mittlerweile ist die Sonne wieder rausgekommen und lässt das Meer leuchten wie flüssiges Glas. Nach ein bis zwei Kilometern erreichen wir einen weiteren Abschnitt Strandhütten. Die Hütten sind noch einfacher, die Lage ist noch einsamer, doch wir sind froh mit unserer Unterkunft und lassen diese Hütten links liegen. Dann erreichen wir ein ziemlich neues und schick aussehendes Strandcafé. Wir beschließen etwas zu trinken und werden gleich freundlich von einer der Besitzerin in Empfang genommen. Wie sich herausstellt, ist sie Australierin und ihr “Secret Garden” öffnet in ein paar Tagen. Die Bungalows mit Klimaanlage und allem drum und dran kosten 50 US$ die Nacht. Wenn man an Mui Ne denkt, kein schlechter Preis! Und die Lag könnte ruhiger nicht sein! Aber wer weiß wie lange das noch so sein wird? Wir hoffen, dass es noch Jahre, am liebsten Jahrzehnte, dauert, bis die Sandstraße asphaltiert wird und die großen Hotels nachziehen. Bis dahin genießen wir einen köstlichen Presskaffee und einen kühlschrankkalten Mangosaft. Und entdecken die Tischtennisplatte! Wie lange habe ich kein Tischtennis mehr gespielt? Seit ich zwölf, dreizehn war? Ja, es gab einen Sommer oder zwei, da habe ich den ganzen Tag nichts anderes gemacht als Tischtennis zu spielen. Technisch wurde ich von meinem Vater ausgebildet, die Tischtennisplatte war an den Seiten nach unten gewölbt und der Lack hatte überall Bläschen. Seitdem habe ich keinen Tischtennisschläger mehr in der Hand gehabt und jetzt ist der Anfang auch eher zaghaft. Auch Christian hat seit Jahren nicht mehr gespielt, auch ihm kommen plötzlich Erinnerungen aus längst vergessenen Tagen ins Gedächtnis, aber fünfzehn Jahre (wie bei mir) ist es nicht her! Wir spielen den Ball hin und her, ping-pong, ping-pong, langsam werden wir schneller und schaffen mehr Ballwechsel. Das Spiel bringt uns ins Schwitzen und erst als es langsam dunkel wird, legen wir Schläger und Ball beiseite und beschließen ein andermal wieder zu kommen.

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Unser neues Heim.

In der Nacht gibt es ein gewaltiges Gewitter. Unsere Hütte vibriert unter den Donnerschlägen, die gezackten Blitzen folgen. Wir strecken die Köpfe aus unserer Hütte und können im Schein der dicht aufeinander folgenden Blitze, das Meer, die nah gelegenen Inseln und die Boote wie bei Tageslicht sehen. Wir zählen die Sekunden zwischen Blitz und Donner, Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig… Aber wie muss man dann weiter rechnen um die Entfernung des Gewitters abzuschätzen? Es regnet. In unsere Hütte. Es regnet in unsere Hütte! Zum Glück nicht aufs Bett, sondern nur davor, aber wie legen vorsichtshalber unsere Taschen mal ins Regal und spannen die Regenhüllen drüber. Das Regal decken wir mit Handtüchern ab, Laptop, Kamera und iPod verstauen wir in meiner Ledertasche und deponieren diese unterm Glastisch. Was für eine Nacht! Unsere erste Nach in einer Strandhütte und es gewittert als wolle uns der Blitz treffen. Sekundenlang bohrt sich der dicke Blitz ins Meer am Horizont – Mann war der lang! Verängstigt verkrieche ich mich ins Bett, Christian hat angeblich keine Angst. Wer’s glaubt…

Am nächsten Morgen werden wir wach weil nebenan gehämmert wird. Immerhin haben wir schon 10 Uhr und hier wird – wie gesagt – eben auch überall noch gebaut. Ein Glück, dass es nur Hütten sind und keine Betonklötze, für die man schwerere Geschütze auffahren müsste als einen Hammer und einen Nagel!

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Blick aus unserer Hütte.

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Flaute.

Als erstes gehen wir schwimmen! Wie herrlich! Die Luft ist rein gewaschen und wir tauchen ins warme Bad, das Wasser ist glatt wie ein See und dadurch nach klarer, wir können auch im tieferen Wasser noch unsere Füße sehen. Wir machen toter Mann, auf der spiegelglatten Oberfläche treiben wir auf der Stelle und könnten glatt wieder einschlafen. Nach dem Baden gehen wir frühstücken und entscheiden uns fürs Sunshine Café, da hier die Preise etwas günstiger sind. Wir bekommen einen riesigen Obstsalat, Baguette mit richtiger Butter und leckerer Erdbeermarmelade und eine ordentliche Portion Rührei. Ja und danach? Danach löst sich endlich wieder alles auf, die Zeit wird zäh, fließt dahin, aus einem Tag werden zwei, werden drei. Jeder Tag ist gleich, morgens geht die Sonne auf, wir schwimmen vor dem Frühstück, essen bei Jana im Sunshine Café, immer das gleiche, lesen, sonnen uns, machen Spaziergänge zum Secret Garden, Kaffee, Mangosaft und Tischtennisplatte, essen mal hier mal da zu Abend und verkriechen uns unter unserem Mosquitonetz, schlafen zum Rauschen des Meers, hören den Donner in der Ferne grollen, sehen Blitze, die uns nie erreichen werden, beobachten das Kommen und Gehen der Gewitterfronten.

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Wir wohnen von nun an ganz links im Bild.

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Abendessen bei Papa Pippo. Heute gibt es Pizza mit ECHTEM Mozzarella und Insalala de la Casa mit ECHTEM Olivenöl.

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Auf dem Weg zum Secret Garden.

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Im Secret Garden.

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So genießen wir den Sonnenuntergang.

Und doch ist jeder Tag anders. Das Wetter ist alles andere als stabil. Jeden Tag haben wir ein anderes Wetter. Mal ist es wolkig, mal brennt die Sonne aus strahlend blauem Himmel, mal windet uns der Sand ins Gesicht. Doch immer ist es warm genug, um den ganzen Tag in Bikini und Badehose zu verbringen. Abends ist der Himmel nie der gleiche. Wolken malen bunte Bilder an den Abendhimmel. In dunklen Türmen zucken Blitze, denen kein Donner folgt, manchmal lässt die goldene Sonne das träge Meer aussehen wie flüssiges Blei.

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So kann ein Morgen aussehen.

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Oder so.

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Und so kann ein Abend aussehen.

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Oder so.

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Und so wandelt sich ein einziger Abend…

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…wenn wieder ein Gewitter…

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…aufzieht.

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Wir schauen dem andächtig zu.

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Sobald die Sonne sich dem Horizont nähert, kommen die Mücken raus. Und sie stechen. Zur Abwehr gehen wir kurz vor der Dusche noch mal schnell schwimmen. Nach den Stichen helfen nur Tigerbalm und starke Nerven. Ich habe noch nie in meinem Leben so einen Juckreiz erlebt. Vielleicht sind es auch Sandfliegen, nur von denen habe ich nie eine einzige gesehen, Mücken sehe ich jedoch überall, in unserer Hütte, vor unserer Hütte, in der Toilette, beim Essen. Autan bringt auch nichts, jeden Morgen erwache ich mit neuen Stichen und ihr Juckreiz wird dem bereits bestehenden Juckreiz hinzu addiert. Nachts erwache ich, weil ich mich im Schlaf kratze, keine schönen Nächte.

Und trotzdem bleiben wir. Ganze sechs Nächte bleiben wir am wunderschönen Otres Beach und wissen nicht ob wir nun weiter wollen oder einfach für den Rest unserer Reise hier bleiben sollen. Wir können endlich wieder durchatmen, spüren die Sonne auf unserer Haut und spielen Tischtennis, jeden Tag ein bisschen besser, im neu eröffneten Luxuscafé werden wir freundlich zum allnachmittäglichen Spiel begrüßt und bekommen auch die ersten Gäste (eine deutsche Familie natürlich!) zu Gesicht.

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Eine wiederentdeckte Leidenschaft: Endlich wieder Tischtennis!

Durchgeschwitzt vom Spiel springen wir in warme Wasser, das jeden Abend einen runderen Mond reflektiert. Nun sind die Rückwege zurück zu unserer Hütte auch nicht mehr dunkel. Tagsüber gibt uns die Sonne einen Schatten, nachts ist es der Mond. Auch ohne Blitze können wir jetzt das Meer und die Boote in jeder Nacht ein bisschen besser sehen.

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Mondhelle Nacht.

Doch irgendwann müssen auch wir das Paradies wieder verlassen, das wissen wir ja und wir ringen uns dann doch durch uns Bustickets nach Siem Reap zu kaufen (Phnom Penh überspringen wir, damit können wir noch mal zwei Tage länger am Strand bleiben). Unser Bus geht morgens um acht. Wir müssen um halb sieben aufstehen, alles schläft noch, nur wir nicht. Wir sitzen im Tuktuk und sehen dem Strand, den friedlichen Hütten, dem glitzernden Meer hinterher. Wir wollen nur kurz nach Siem Reap, dann nach Bangkok und dann auf dem schnellsten Weg wieder ans Meer – hier lebt es sich doch viel leichter!

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Letzter Sonnenuntergang auf unserer Terrasse.

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Tschüss Otres Beach!

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