Moskau (russisch MOCKBA) erreichen wir nach neineinhalb-stündiger Zugfahrt kaputt und vor allem verschwitzt. Je weiter wir uns von Sankt Petersburg entfernen, desto wärmer wird das Wetter. Die Fenster im Zug lassen sich, bis auf eins am Ende und eins am Anfgang des Waggons, nicht öffnen und die Klimaanlage hat ihre Mühe Abkühlung zu verteilen. Außerdem halten wir alle drei Stunden für ca. eine Stunde an irgendeinem kleineren Bahnhof und lassen schnellere Züge vorbei oder machen einfach nur Pause. Während der Wartezeiten ist der Zug aus und damit auch die Klimaanlage. Je später es wird, desto gequälter schauen sich die Passagiere nach einem Lufthauch um, der natürlich nirgendwo erscheint. Ich hatte vorsorglich meine lange Wollhose angezogen, falls es kalt wird, jetzt hält sie mich noch ein bisschen wärmer.

In Moskau herrscht schweißtreibende Schwüle. Wir folgen den Massen aus dem Bahnhofsgebäude heraus und orientieren uns an unserer aus Sankt Petersburg mitgebrachten Tourikarte: Wir müssen zum, vom Bahnhof aus gesehen, zweiten Stalingebäude. Die in Stufen spitz zulaufenden Sowjetbauten, von denen wir das erste in Warschau bewundern durften, finden sich hier an jeder größeren Straßenkreuzung. Klar, wenn nicht hier, wo dann? Hier sind es nicht die Geschenke Stalins, sondern das Hilton Hotel, verschiedene Ministerien oder die Moskauer Eliteuni. Auf unserer Tourikarte zählen wir im Stadtzentrum allein sechs dieser im sozialistischen Realismus erbauten Stalin-Hütten.

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Drei auf einen Streich.

Wir marschieren los, wieder mit allem was wir haben bepackt. Schwitzend gelangen wir zum vereinbarten Treffpunkt. Oscar, unser nächster Couch Surfing Gastgeber schreibt uns eine SMS, wo wir denn seien, wir geben ihm den Namen der Metro Station durch, vor der wir stehen. Aber wir haben wohl falsch verstanden, er befindet sich angeblich an der Station gegenüber. Also überqueren wir unterirdisch die zwei 4-spurigen Straßen (für Moskauer Verhältnisse mittelgroße Straßen), die uns von der Haltestelle schräg gegenüber trennen, doch auch hier treffen wir ihn nicht an. Wieder fliegen teure SMS hin und her, wieder sind wir anscheinend falsch, irgendwann treffen wir uns in der Mitte.

Oscar führt uns in seine bescheidene Wohnung im sechsten Stock. Vor einigen Monaten hatte es hier einen Brand gegeben, deswegen riecht der Aufzug noch nach Feuer. Die Wohnung seines Nachbarn war komplett ausgebrannt, erzählt er uns, zum Glück konnte er ihn noch rechtzeitig wecken. Die Wohnungstür ist ebenfalls stark beschädigt, die Außenverkleidung hat sich wie eine Haut abgepellt und hängt mit schwarz verkohlten Rändern nach unten. Die Wohnung selbst hat keinen sichtlichen Schaden genommen. Oscar erzählt uns, dass sie Wohnzimmer und Schlafzimmer bereits renoviert haben. Badezimmer und Küche sind als nächstes dran. Beide Räume sind so klein wie sie kleiner nicht sein könnten: Im Badezimmer gibt es ein kleines Klo, eine Badewanne und davor einen halben Quadratmeter Platz zum Stehen. Die Wände sind mit einer Gummifolie provisorisch verklebt, dahinter befindet sich vermutlich roher Stein. Die Küche ist eher eine Kochniesche, die offen zum Flur ist. Der Kühlschrank steht neben der Eingangstür, in der Niesche gibt es eine Waschmaschine, eine Spülmaschine, einen Herd, eine Spüle und einen kleinen Stauschrank. Außerdem über allem Regale bis unter die Decke. Sowohl in der Küche als auch im Bad gibt es kein Fenster, dafür aber Wäscheleinen unter der Decke zum Wäschetrocknen. Alles in allem schätzen wir das Miniappartment für zwei auf ca. 30 Quadratmeter. Die nächsten Tage leben wir hier zu viert!

Olya, seine Freundin, empfäng uns freundlich lächelnd über ihren Kochtopf gebeugt. Mehr als „Hello“ kann sie leider nicht sagen. In ihrem Topf schwimmt eine Menge Fleisch, Oskar erklärt, das Fleisch müsse noch mindestens zwei Stunden kochen. Es ist mittlerweile 22.30 Uhr und wir hoffen, dass das Essen nicht für diesen Abend geplant ist. Wir bekommen ein wenig Salat, Brot, Käse, Humus und erfrischende Wassermelone, trinken ein Bier und sind ziemlich satt. Anscheinend gibt es das gekochte Fleisch doch nicht heute und so gehen wir erleichtert in der Badewanne duschen und fallen um 1 Uhr endlich k.o. ins Bett, bzw. auf die bequeme IKEA-Schlafcouch im Wohnzimmer.

Am nächsten Morgen müssen wir früh raus. Oscar verlässt mit Olya zusammen das Haus um zehn nach 8. Wir müssen mit. Müde schleppen wir uns durch die Straßen, unserem Plan folgend Richtung Innenstadt. Bei McDonald’s gibt es den gewohnt günstigen aber sehr leckeren Cappuchino, dazu Rührei und Toast. Vor dem Bolshoy Theater machen wir die erste Pause und genießen das sommerliche Wetter.

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Posing am Bolshoy.

Endlich ist es wieder warm! Und wie warm es ist! Bereits um 10 Uhr fangen wir an zu schwitzen. Mittags ist es unerträglich, wir laufen von Schatten zu Schatten.
Zu Fuß erkunden wir die Moskauer Innenstadt.

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Eingang zum Roten Platz.

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Roter Platz: Lenin Mausoleum vor dem Kremel.

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Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz.

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Großer Mann auf großem Sockel.

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Beeindruckende Christ-Erlöser Kirche.

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Moskau ist wie Russland reich, vor allem an Kontrasten!

Die Stadt gefällt uns – ehrlich gesagt – besser als Sankt Petersburg. Natürlich ist Sankt Petersburg objektiv gesehen „schöner“, die Fassaden sind einheitlich, renoviert und beeindruckend. Doch Moskau scheint auf den ersten Blick doch authentischer zu sein. Eine ganz normale Großstadt – und groß ist sie wirklich: Oscar sagt, es leben hier 15 Millionen Menschen, laut Wikipedia sind es aber nur 11,5 Millonen – die über die Jahrhunderte gewachsen ist, sich verändert hat und daher mal altertümlich, mal neumodisch, mal total verbaut daherkommt. Ein bisschen wie Berlin, erinnern wir uns, nur mit goldenen Zwiebeltürmen und Stalinbauten…

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Auf den Spuren der Scorpions: Blick vom Gorky Park auf’s andere Ufer der Moskwa.

Nachmittags will sich Oscar mit uns treffen. Wir vereinbaren – nicht ohne die gewohnten Kommunikationsschwierigkeiten – einen Treffpunkt und unternehmen dann eine kleine Rundfahrt durch die Stadt in seinem Auto. Mit weit heruntergekurbelten Fenstern düsen wir über die vielspurigen Straßen, schlängeln uns durch den chaotischen Verkehr und werden fast von einer Polizei-Eskorte über den Haufen gefahren!

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Die Uni!!!

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Mahnmal zum 2. Weltkrieg.

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Endlich Abkühlung!

Auf dem Rückweg vom Mahnmal kommen uns plötzlich dunkle Autos mit Blaulicht auf dem Dacht entgegen. Sie fahren auf unserer Seite der Straße! Und sie haben ein Hammer Tempo drauf! Mit Hupen und Lautsprechern scheuchen sie uns an den rechten Fahrbahnrand, ein Geländewagen fährt bis auf unsere Spur drauf, wir quetschen uns zwischen ihn und den Bordstein. Das war knapp! Für den privilegierten Transport ihrer „wichtigen“ Persönlichkeiten tut die russische Sicherheit anscheinend alles…

Am nächsten Morgen stehen wir wieder diszipliniert auf. Wir machen uns fertig für zehn nach acht, doch Oscar kommt erst um zwanzig nach im Bademantel aus seinem Schlafzimmer. Er müsse heute später Arbeiten. Wir hätten eine Stunde länger schlafen können! Toll, dass wir das jetzt erst erfahren, denke ich genervt und wir verlassen die Wohnung. Wieder einen Kaffee und Rührei, dann wollen wir eigentlich ins Lenin Mausoleum, doch die Schlange ist bereits um 10 Uhr geschätzte zwei Kilometer lang. Wir verzichten, vielleicht sind wir morgen ja früher dran.

Wir steigen in die Metro, um zu einem See zu fahren, den Oscar gestern Nachmittag erwähnt hatte. Die Beschreibung hat er uns in lateinischen Buchstaben aufgeschrieben, jetzt sind meine Übersetzungskünste gefragt. Ein bisschen anders als beschrieben aber dennoch erfolgreich finden wir den „See“, der sich als Flussarm der Moscva entpuppt. Zwischen dicken russischen Muttis und planschenden Kindern liegen wir im Schatten und verbringen einen sehr entspannten Sommertag.

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Omis und Enten bleiben im Schatten…

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Schwimmen vor spektakulärer Kulisse.

Am nächsten Morgen hechten wir zum Roten Platz. Heute stellen wir uns an in die lange Schlange vor dem Lenin Mausoleum. Aus schwarz-rotem Marmor gebaut steht diese Andachtstelle vor dem Kremel mitten auf dem Roten Platz und ist für jedermann umsonst zu besuchen. Nach einer halben Stunde sind wir an der Sicherheitsschleuse angekommen. Wir müssen unsere Taschen einschließen, da kein Fotoapparat in das Leningrab hinein darf. Wir laufen an der roten Mauer des Kremel entlang, schenken den Gräbern bedeutender Russen nur ein paar flüchtige Blicke. Nur Stalins Grab, auf dem sein in Stein gehauener Oberkörper thront, versehen wir mit etwas mehr Aufmerksamkeit. Seine massive Grabplatte schmücken ein paar Plastik-Blumen, die vielleicht  andere Touristen dort abgelegt haben. Wir nähern uns dem steinernen Eingang in die Gruft über dem mit roten Lettern Lenins russischer Name steht. Ein Wachmann empfängt uns vor, einer nach dem Eingang. Sie machen andere Touristen darauf aufmerksam, ihre Hüte und Kappen abzunehmen. Wir befinden uns an einem Ort der Andacht. Es geht eine schwarze Marmortreppe herunter, auf der uns wiederum eine Wache im Auge behält. Kalte Luft schwappt uns entgegen, sie duftet nach frischen Blumen. Wir drehen uns am Ende der Stufen nach rechts und betreten die etwa 20 Quadratmeter große Gruft, in deren Mitte Lenins einbalsamierter Körper seit 1924 aufgebart liegt. Ein Stufenweg führt um sein Grab, sodass wir einmal um ihn herumgeführt werden. In jeder Ecke des Raumes steht wieder ein Wachmann. Lenin sieht jung aus und bleich. Er trägt einen dünnen Schnurrbart, Anzug und Krawatte. Seine Augen wirken ein wenig als würden sie blinzeln, mir scheint, er zwinkere mir zu. Die Wachen beobachten uns aufmerksam. Christian wird mit einem Pfiff und Fingerschnipsen darauf hingewiesen, dass er seine Hände aus den Taschen nehmen soll. Wir schleichen ohne Stehenzubleiben in Stille um den Toten herum und sind eine Minute später auch schon wieder draußen. Auf den Treppen nach draußen empfangen uns wieder zwei Wachen. Ich muss ein bisschen Kichern und ernte dafür strenge Blicke. Draußen fühlen wir uns wie nach einem feierlichen Ritual, als hätten wir einen Heiligen gesehen. Doch obwohl Lenin fast wie einer verehrt wird, war er zu Lebzeiten sicherlich kein Heiliger…

Wieder wandern wir durch die Innenstadt und schlängeln uns durch einen anderen Stadtteil. Nachmittags wird es wieder unerträglich heiß und wir beschließen erneut an „unseren See“ zu fahren. Fast schon wie Einheimische springen wir in die Metro, dann in den Bus, der uns in den Park bringen soll. Doch kurz bevor wir unser Ziel erreicht habe, macht der Minibus plötzlich eine scharfe Linkskurve und fährt zu einem ganz anderen Strand. Wir sind ein bisschen enttäuscht. Dieser Strand ist eher eine knallharte vertrocknete Wiese, mehr harter Sand als Wiese und es ist lange nicht so friedlich wie an dem ersten Strand: Hier zeigen junge Russinnen was sie haben und die Jungs lassen ihr Muskeln spielen. Wie schauen ihnen beim Volleyballspielen, Frisbee und sehen-und-gesehen-werden zu und versuchen uns trotzdem zu entspannen.

Der nächste Tag ist unser letzter in Moskau. Wir wollen ganz entspannt wieder ein bisschen durch die Stadt laufen, um dann nachmittags für unsere Reise in der Transsibirischen Eisenbahn einzukaufen. Um 21.35 Uhr geht unser Zug. Also laufen wir wieder los, erkunden den Stadteil südlich der Moskwa, der früher vor allem von Kaufleuten bewohnt war, die ihren Geschäften mit dem Bau von Kirchen auf die Sprünge helfen wollten. Dementsprechend viele, meist ziemlich herunter gekommene, Kirchen sehen wir. Am frühen Nachmittag kehren wir durch das Botschafterviertel zurück.

Heute erinnert mich Moskau ein bisschen an Kapstadt: Überall sind die Bürgersteige aufgebrochen, alles scheint provisorisch, die Straßen sind vollgeparkt mit Klapperkisten, die direkt neben riesigen Geländewagen und Luxuskarossen stehen, Fahrer warten dösend bei laufender Klimaanlage in schwarzen Firmenwagen, deren Fenster dunkel getönt sind. Stromleitungen laufen überirdisch, d.h. von Haus zu Haus, wodurch sich manchmal große Kabelknäule über den Straßen bilden. Polizisten stehen mehr demonstrativ als effektiv in der Gegend herum und das alles auf einer riesigen Fläche!

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Moskau ist ein bunter Mix.

Es wird wieder unerträglich heiß und meine Sandalen haben in den letzten Tagen ziemlich an Polsterung verloren. Mir scheint, ich laufe barfuß auf Asphalt, meine Füße schwellen und meine Knie schmerzen bei jedem Schritt. Doch anstatt die Metro zu nehmen halten wir durch und schaffen es bis zum Supermarkt.
Ausgerüstet mit Fertigsuppen, 5-Minuten-Terinen, Eiern, Obst, Müsli, H-Milch, Käse und Brot schleppen wir uns zurück ins Appartment. Wir packen unsere Taschen, kochen alle zehn Eier und verabschieden uns von Oscar und Olya.

Auf dem Weg zum Bahnhof fängt es tatsächlich an zu regnen! Kurz bevor es richtig losgeht erreichen wir glücklicherweise das Bahnhofsgebäude. Metalldetektoren, die von markanten russischen Sicherheitsbeamten bewacht werden, piepen bei jedem, der durch sie hindurch läuft, niemand wird kontrolliert. Im Wartesaal herrscht drückende Hitze. So viele Menschen, alle warten auf ihre Züge, wir müssen lange suchen bis wir zwei Plätze für uns finden. Neben uns liegt ein Mann unter der Sitzbank, der wohl zu viel Wässerchen genossen hat. Besorgte Anfragen einiger Passanten winkt er lässig ab. Auf der Suche nach einem Bankautomat entdecke ich dann einen zweiten Wartesaal, in dem die Passagiere von schweren Vorhängen umgeben auf schwarzen Ledersofas warten. Ein Schild am Eingang verrät mir, dass man hier dafür zahlt in angenehmer Atmosphäre zu warten…

Leider können wir keinen funktionierenden Bankautomaten finden und steigen um kurz nach neun mit 200 Rubel (ca. 5€) in unseren Zug. Zur Not haben wir immer noch ein paar Euros dabei. Beim Einsteigen werden wir wie immer von unseren Waggonbegleitern auf unsere Tickets und Pässe kontrolliert. Wir finden unser Viererabteil, noch keiner da! Wir beziehen unsere Pritschen, eine oben, eine unten. Die zwei gegenüber bleiben vorerst leer. Das lässt uns hoffen, doch so ganz wollen wir nicht glauben, dass wir hier zu zweit bleiben sollen.

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Tschüss Moskau! Hier wolln wir uns von Dir erholen!

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