Tag 1: Pokhara – Nadi (Ngadi) Bazar

Am Morgen stehen wir um zwanzig nach fünf auf und verlassen ohne Frühstück unser schönes Hostel. Auf der Straße lassen wir uns sowohl von der überzeugt penetranten Gebäckverkäuferin, die genau weiß warum sie das Tuch über ihren Hefecroissants, Schokobrötchen und Zimtschnecken hebend hinter mir her läuft und mir so den verführerischen Duft ihrer frischen Backwaren entgegen fächelt, als auch vom Taxifahrer anquatschen und kommen so schnell zu Frühstück und zur Tourist Bus Station. Um kurz nach sechs nehmen wir vor einem kleinen Imbiss Platz und rüsten noch Wasser und Minibananen nach. Dann dürfen wir in den knallgrünen Bus einsteigen, der von innen kitschig bunt verziert ist.

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Der rosa  Morgen gibt uns einen Vorgeschmack von dem was uns in den nächsten Tagen erwartet.

Obwohl wir diesmal nicht mit dem Tourist Bus unterwegs sind, füllt sich der Bus ausschließlich mit anderen Touristen, die wie wir zum Startpunkt der Annapurna Runde wollen. Die Fahrt wird rasant, dafür aber recht kurz: Der Busfahrer ist vielleicht 20 und fährt wie eine besengte Sau: Vollgas – Hupen – haarscharf Menschen, Tiere und andere Fahrzeuge überholen – Hupen – Hupen – Hupen – Vollbremsung. Alle wirft es auf den Sitzen hin und her und beim Bremsen gegen die Rückenlehne des Vordermanns. An unmöglichen Stellen will er dann auch noch überholen. Ich blicke den steilen Abgrund an meiner Seite des Busses hinunter und hoffe, dass wenigstens noch ein kleiner Funken Intelligenz in seinem scheinbar verwahrlosten Hirn vorhanden ist und er nicht genau dort überholt wo sogar ein Straßenschild – von denen es in Nepal wirklich wenige gibt und deren Seltenheit ihre Bedeutsamkeit nur noch deutlicher macht – vor der Gefahr des Absturzes warnt. Der Bus vor uns, beladen bis aufs Dach mit Nepalesen, lässt sich nicht beeindrucken, macht eine Vollbremsung und provoziert damit beinah einen Unfall. Beschwerden werden laut, vorne wird diskutiert. Der Fahrer des vorderen Buses – auch ein junger Kerl – kommt zu uns und wechselt ein paar Wort mit dem Fahrer. Dann geht es in alter Manier weiter: Gas – Bremse – Gas – Hupe…

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Wer kommt schon auf die Idee HIER zu überholen??

Unterwegs schaue ich wieder die ganze Zeit aus dem Fenster. Die Menschen in ihren knallbunten Häusern: türkis, pink, grün, orange… Ihnen bei ihren alltäglichen Arbeiten zuzusehen beruhigt mich irgendwie. Dann fallen mir wieder die Unterschiede zwischen Frau und Mann auf, die ich schon auf der Fahrt nach Pokhara bemerkt habe. Die nepalesischen Frauchen sind so gut wie alle fleißig. Zur Zeit vor allem auf den Feldern, wo sie das hohe, von der Sonne ausgeblichene Getreide mit einem sichelförmigen Messer oberhalb des schlammigen Bodens kappen, in den sie bis zu den Waden versinken. Jeder Strauß Getreide (es handelt sich dabei wahrscheinlich um Reis, was den terrassenförmigen Anbau erklären würde) wird sorgfältig in Reihe mit den bereits geernteten Büscheln auf dem Boden ausgerichtet. Nachdem sie dort trocknen konnten, werden die Büschel zusammengefasst und zum erneuten Trocknen zu Strohhaufen aneinander gelehnt. Dann geht die richtige Arbeit los: Wir beobachten Frauen, die in Dreier- oder Vierergruppen zusammen stehen, jede ein dickes Bündel getrocknetes Getreide in den Händen und die Körner in mühsamer Anstrengung auf eine in der Mitte ausgebreitete Plane aus ihren Hülsen dreschen. Dabei schlagen sie so fest wie möglich die oberen Ender der Getreidesträuße auf die Erde. Die Arbeit sieht anstrengend und schweißtreibend aus. Doch am Nachmittag türmt sich in der Mitte der Plane ein großer Haufen Getreidekörner (Reis). Die Frauen sind jedoch nicht nur auf den Feldern aktiv. Sie schrubben unentwegt Kleidung vor den Wasserstellen oder auf den Steinen am Flussufer, wringen, spülen und hängen sie zum Trocknen auf die Leine, legen sie auf die warmen Steine oder in die Büsche am Wegrand. Nebenbei versorgen sie die Kinder: Haare kämmen und frisieren, an der Hand führen, auf dem Arm tragen, stillen – und das machen sie ganz selbstverständlich am Straßenrand mit offener Brust und mit Blick auf die Straße – oder eben in ihre Arbeit einbinden (jedenfalls die Mädchen…). Natürlich sind sie auch fürs Zubereiten der Speisen, das Kochen, den Abwasch und den restlichen Haushalt zuständig. Die Männer hingegen erblicke ich häufig bei angenehmeren Tätigkeiten wie Zeitung lesen, Brettspiele spielen, miteinander quatschen oder einfach nur abhängen und zusehen was so passiert. Wenn die Männer jedoch aktiv werden, dann meist beim Reparieren von Dingen. Häufig erblicke ich eine ganze Traube von Männern, die über der geöffneten Motorhaube eines Autos zusammen stehen oder unterm Auto liegen und schrauben. Wenn sie nicht an Autos herumtüfteln, dann fahren sie eines (so wie unser höllischer Busfahrer) oder – besser noch! – ein Motorrad! Das Motorrad ist das moderne Pony. Wo sich nepalesische Männer wirklich nützlich machen ist beim Hausbau. Hausbau ist Männersache! Ob Balken sägen, Nägel einschlagen, Steine in Form meißeln (Steinhäuser werden häufig aus Naturfels gebaut, der vorher von vielen fleißigen Arbeitern in tausend mühsamen Schlägen in die richtige Form geschlagen wird, so dass Stein auf Stein manchmal gar keinen Mörtel mehr benötigt), streichen oder Wellblech aufs Dach legen, die Männer sind hier scheinbar in ihrem Element und machen eine gute Figur dabei.

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All die Aktivitäten fliegen an meinem Busfenster vorbei und vermitteln eine romantisch friedliche Atmosphäre. Doch wir haben auch gelesen, dass die Situation nicht immer so friedlich war (oder ist?), denn die Rechte der Frauen in Nepal scheinen immer noch weit unter denen der Männer zu liegen und die Einstellung, Mädchen und Frauen seien weniger wert als ihre Brüder oder Männer, verschwindet leider nur langsam aus der Gesellschaft. Rituale wie die Frau während ihrer Periode zu den Tieren in den Stall zu verbannen oder sie nach dem Tod ihres Mannes mit seinen Brüdern zu verheiraten, sind angeblich mittlerweile veraltet, der Verkauf von Mädchen in die Kinderarbeit oder Prostitution statt ihnen eine kostspielige Schulbildung wie ihren Brüdern zu gönnen, sei aber immer noch die letzte verzweifelte Möglichkeit ihrer Eltern an Geld (2.500 US$) zu kommen. Jungen werden nicht verkauft. Auch sei die einzige Möglichkeit einer Frau an sozialem Ansehen zu gewinnen, ihrem Mann einen Sohn zu gebären. Tut sie es in zehn Jahren nicht, darf er sich eine neue nehmen. Auf unserer bisherigen Reise durch Nepal haben wir noch nichts von dieser Ungerechtigkeit erlebt (bis auf die Beobachtungen aus dreckigen Busfenstern). Unter den Sherpas – die dominierende Ethnie im Mt. Everest Trekkinggebiet – sei die Diskriminierung jedoch auch am geringsten ausgeprägt. Beim Blick aus dem Fenster bekomme ich ein Gefühl dafür wie ungleich die Geschlechter sein können.

Als wir Besi Sahar (760 m) endlich erreichen sind wir glücklich unfallfrei anzukommen. Zunächst essen wir eine Kleinigkeit, dann beschließen wir mit Ben und Sarah, zwei Briten, die mit uns im Bus saßen, einen Jeep zu mieten und bis nach Bhulebule (840 m) zu fahren – an der Straße zu wandern wurde uns abgeraten und die Fahrt kostet laut Meggy’s Info auch nur 150 Rs pro Person. Doch der Fahrer, den uns der Restaurantbesitzer organisiert, will 400 Rs pro Person haben – so viel haben wir für die 5 1/2  stündige Fahrt von Pokhara bis hier bezahlt. Also kein Jeep. Das Wetter ist herrlich, also ist laufen auch kein Problem. Auf dem Weg kommen wir am Bus- und Jeep Parkplatz vorbei und versuchen es noch ein mal mit dem Jeep, doch der hat nur noch Plätze auf dem Dach frei – für 200 Rs pro Person. Nee, da laufen wir lieber die drei Stunden nach Bhulebule, immerhin haben wir erst viertel nach 12. Die Jungs wagen einen letzten Versuch und erkundigen sich nach dem Bus, den es hier auch geben soll. Der Bus ist angeblich in zehn Minuten da, fährt fünf Minuten später ab und kostet 200 Rs pro Person. Ob wir die Tickets nicht jetzt schon kaufen wollen, empfiehlt uns der fürsorgliche Typ am Ticketstand. Nein Danke, wir warten lieber erst mal auf den Bus.

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Warten auf den Bus: Sarah, der Finne Eino und Ben.

Als der Bus etwa 20 Minuten später eintrifft, stapeln sich im Innern die Reissäcke und darüber die Menschen. Auf dem Dach wär noch Platz. Nein Danke, wir laufen. Auf dem Weg überholt uns der übervolle Bus, dessen Dach mittlerweile ebenfalls voll besetzt ist. Der Fahrer hält an und ein Typ des Besatzungsteams will uns noch überreden mit zu fahren, als wolle er uns die Wanderung nicht zumuten – wie rücksichtsvoll von ihm! Doch wir wissen, dass wir als Touristen, die locker das Zehnfache von dem zahlen, was die Fahrt für lokale Fahrgäste kostet, besonders willkommen sind – zehn Fliegen mit einer Klappe! Wir lehnen entschieden ab: Laufen ist doch so viel angenehmer als eine Stunde verkrampft zu versuchen nicht vom Busdach zu fallen.

Also beginnt unser Trek unerwartet bereits ab Besi Sahar. Wir haben erste Blicke auf die fernen Berge, denen wir in den nächsten Tagen näher kommen werden. Die Natur ist sehr schön, mit einem breiten reißenden Fluss – dem Marsyangdi Fluss – den wir hinauf laufen, vielen Schmetterlingen und üppiger Vegetation.

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Die Sonne brennt heiß und wir kommen schnell ins Schwitzen.

Nach gut zwei Stunden haben wir Bhulebule bereits erreicht und registrieren uns zum Eintritt in den Annapurna Nationalpark. Dann laufen wir noch die letzten 4 km weiter bis nach Nadi Bazar (930 m).

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Dort suchen wir uns die Blechhüttensiedlung mit dem schönsten Blumengarten und beziehen unsere Bude. Das Zimmer ist natürlich kostenlos (alle Werben um uns, da können wir das eben verlangen) und die heiße Dusche auch. Nach der Dusche sitzen wir an einem kleinen abgeschiedenen Tischchen unter einem Dach aus getrockneten Reispflanzen und genießen den sich langsam rosa senkenden Abend, der den unter uns beständig rauschenden Fluss kitschig einfärbt.

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Als es zu kalt wird, ziehen wir um ins Innere der Essenshütte und warten bei Kerzenschein (mal wieder Stromausfall) auf unser erstes Essen – mal wieder Trekking!

Tag 2: Nadi – Chyamche (Chamje)

Zu gewohnter Zeit, um halb sieben, stehen wir wieder auf – auf unserer Wanderung zum Everest Basecamp hatten wir unsere innere Uhr schon so gut an den Rhythmus aus gegen 21 Uhr schlafen und um 6:30 Uhr von allein ausgeschlafen aufwachen gewöhnt, dass wir hoffen ihn schnell wieder anzunehmen. Nach einem kleinen Frühstück laufen wir um acht Uhr los in einen sonnigen Morgen. Erst ist es noch recht frisch, da die Sonne das Tal, in dem wir wandern, noch nicht erreicht. Dann wird es aber schnell richtig heiß und wir machen eine kleine Pause in einer sehr gemütlichen und von vielen bunten Blumen umrankten Hütte. Christian nimmt sein zweites Frühstück (eine Portion Dal Bhat, die traditionelle Mahlzeit der Nepalesen: Reis mit Linsensoße, Currykartoffeln, Spinat und scharf eingelegten Gurken) ein, ich trinke einen Masala Tee (Schwarztee mit Milch und Gewürzen, wie Kardamom, Zimt und Nelken).

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Als eine ganze Gruppe anderer Trekker sowie die beiden Briten eintreffen, schnallen wir unsere Rucksäcke wieder auf und laufen weiter. Es geht hinauf und hinunter aber immer moderat und selten anstrengend. Trotzdem schwitzen wir, denn die Sonne brennt erbarmungslos. In dieser tropischen Idylle wandern wir vorbei an Reisterrassen und beobachten aus nächster Nähe das Ernten, Trocknen, Aufstellen und Ausschlagen der Getreidebündel sowie das anschließende Wegfächeln der Reishülsen. Diesmal sind erstaunlich viele Männer involviert: Sie treiben die Ochsen an, die im Kreis über die flach auf dem Boden ausgebreiteten Ähren stampfen. Wie viel Arbeit hinter einer Schüssel Reis steckt…

Mittags kommen wir an ein kleines einsames Haus, in dem wir im kühlen Schatten zu Mittag essen wollen. Doch leider ist der Besitzer des Minirestaurants nur sehr spärlich ausgestattet und so gibt es Chapati (einfaches Fladenbrot bestehend aus Mehl und Wasser) mit aufgeschnittener Tomate.

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Wir laufen weiter und kommen noch an einer gemütlich aussehenden Unterkunft in Ghermu vorbei, die uns verlockt einfach da zu bleiben. Aber es ist erst halb zwei und wir wollen eigentlich bis Jagat (1.300 m) oder sogar Chyamche (1.430 m) laufen und so gehen wir weiter, steigen vom Hang ab, an dem wir bisher entlanggelaufen waren und überqueren die Hängebrücke nach Syange (1.100 m), ein hässlicher Ort an der Straße, der Endpunkt der Straße eher gesagt. Doch als wir den kleinen dreckigen Ort durchquert haben, befinden wir uns wieder auf einer holprigen Sand- und Steinstraße. Enttäuscht trotten wir weiter. Die Erinnerung an die schöne Lodge in Ghermu wird immer blumiger – wären wir doch da geblieben. Aber zurücklaufen wollen wir auch nicht. Also schleppen wir uns die Serpentinen und steilen Trampelpfade bergauf bis wir endlich Jagat erreichen und uns erneut ärgern: Jagat ist fast noch hässlicher als Syange, wer hat uns eigentlich erzählt Annapurna sei schöner als Everest? Die Lodges sehen alle gleich langweilig und unkomfortabel aus, die Leute rufen uns von allen Seiten zu, wir sollen ihre Zimmer besichtigen. Uns ist jedoch bei keiner der Unterkünfte wirklich wohl und wir beschließen unser Glück in Chyamche zu suchen. Ein Stück geht es weiter an der Straße, dann entdecken ich eine kleine, scheinbar neue Unterkunft aus Blech. Die Eigentümerin macht einen sehr freundlichen Eindruck, doch die Schlafkabinen im Innern der Hütte sind nach oben alle offen mit Blick auf das gemeinsame Wellblechdach. Obwohl die Betten weich und die Laken sauber sind verlassen wir die Hütte fluchtartig wieder.

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Zurück auf der Straße begegnen uns mal wieder alte Bekannte.

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Dann verlässt der Trail die Straße und steigt steil den grünen Hang hinauf. Wir laufen einen kleinen Bach hinauf von Stein zu Stein, unter Palmen und riesigen Spinnennetzen.

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Konfrontationstraining kostenlos.

Oben angekommen passieren wir die ein oder andere verwahrloste Holzhütte und hören langsam das Rauschen eines riesigen Wasserfalls. Gegenüber des Wasserfalls finden wir dann auch eine gemütlich und gepflegt aussehende Unterkunft, in der wir wieder umsonst (solange wir dort abendessen und frühstücken) übernachten und warm (leider nicht heiß) duschen können. Beim Abendessen will uns der fürsorgliche Lodgebesitzer erst seinen angeblich legendären Apfelkuchen (frittierte Apfeltasche) andrehen, dann schwenkt er gleich auf Marihuana um. Nein Danke, weder das eine noch das andere. Die Nacht wird umrauscht vom stürzenden Wasser wunderbar gemütlich und erholsam. Um viertel vor Sieben liegen wir immer noch im Bett.

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Ausblick beim Frühstück.

Tag 3: Chyamche – Bagarchhap

Um acht Uhr sind wir wieder unterwegs. Erst geht es durch Chyamche, dann über eine Hängebrücke und durch kühle Bambushänge.

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Morgendliche Friedlichkeit in den tropischen Bergen.

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Wir müssen einen steilen Steinhang hinauf klettern und schmelzen bereits in der Sonne. Dann erreichen wir zum verfrühten Mittag den kleinen Ort Tal und essen beide eine Kleinigkeit. Auf der anderen Seit des hellblau leuchtenden Flusses können wir den ganzen Tag die Bauarbeiten für die neue Straße beobachten. Männer werfen riesige Felsbrocken von der Klippe der rausgesprengten Schneise, die in riesigen Staubwolken polternd und krachend auf dem Weg Richtung Fluss an der Felswand zerspringen. Presslufthammer sind im Einsatz und übertönen das monotone Rauschen des Flusses. Wir sind ein wenig enttäuscht über den Anblick. Annapurna wurde uns immer als so schön beschrieben. Mit den lauten und staubenden Bauarbeiten und überall neuen Masten, die sich die Strecke entlang aufreihen, verliert der Trek für uns ein wenig an Charme.

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Links unberührte Natur, rechts zersprengter Fels nach Straßenbauarbeiten.

Wir überqueren eine Brücke und befinden uns wieder auf der Straße. Eigentlich wollten wir die doch schon gestern hinter uns lassen. Aber anscheinend sieht Annapurna (jetzt?) einfach so aus. Für uns jedenfalls bis jetzt noch nicht “der zweitschönste Trek der Welt”. Bis zu unserem Tagesziel Bagarchhap verlassen wir die felsige Sandstraße nur noch in Karte (Khoro, 1.850 m), von wo aus wir dann die Arbeiten auf der gegenüberliegenden Seite wieder mitverfolgen können, um dann erneut die Seiten zu wechseln und die letzten zwei Stunden auf der Sandstraße zu schlendern.

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Fortschritt hat auch  sein Gutes: Ich freue mich, dass ich zwischen alter und neuer Brücke wählen kann.

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Und wieder ein Wasserfall.

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Und eine Bachüberquerung.

Wir checken in das Hostel ein, das uns in Chyamche vom Lodgebesitzer empfohlen wurde. Der Name Eco Holiday Hotel lässt unsere Erwartungen steigen. Doch obwohl unser Zimmer sauber und recht geräumig ist, finden wir den Rest der Unterkunft in einem etwas schmuddeligen und vernachlässigten Zustand. Auf unser Popcorn warten wir eine halbe Stunde (wie kann Popcorn so lange dauern??), das französische Pärchen wartet auf ihren Dal Bhat, der normaler Weise immer schon fertig ist und damit am schnellsten geht, über eine Stunde! Die Armen, haben mit den Worten bestellt: “We are so hungry. Had no lunch today!”, das war um halb fünf, um kurz nach sechs kommt das Essen. Wir haben zum Glück zu 18 Uhr  bestellt und bekommen tatsächlich pünktlich unser Essen. Nach dem Essen ziehen wir uns ins warme Bett zurück. Als ich auf Toilette gehen will erwartet mich hinter der Tür eine riesige Spinne (so groß wie meine Handinnenfläche ohne Finger, mit kräftigen schwarzen Beinen) und ich verlasse unter Flüchen und um Fassung ringend sofort den kleinen Raum. Ich fasele vor mich hin, denn die war wirklich groß und oh Gott! Wie soll ich jetzt auf Toilette gehen? Dabei muss ich doch wirklich… Aber die Spinne! Naja, vielleicht muss ich mich auch langsam dran gewöhnen, denn in Indien gibt’s bestimmt Spinnen, die noch größer sind. Und in Südostasien erst… Ohje… Christian ist ganz verwirrt, fragt ob er sie wegnehmen soll. “WegNEHMEN?! Die NIMMST Du nicht weg! Die ist riesig!” – “Was?!” Er will sich erst selbst von dem Riesenvieh überzeugen und kommt mit seinem Laufstock ausgerüstet hinter mir her zum betroffenen Badezimmer, ich bleibe in sicherem Abstand zurück. “Wo soll die sein?” – “Hinter der Tür! Links! Oben!” – “Wow!”, Christian weicht erschrocken zurück, “Die ist wirklich groß!” Mit ausgestrecktem Arm schlägt er nach dem Tier hinter der Tür, ich beschwöre ihn, dass sie auf keinen Fall in meine Richtung gelangen darf, tot oder – was viel viel schlimmer und ein Grund zur Trennung wäre – LEBENDIG!! Dann krabbelt sie krakenartig mit ihren vielen schwarzen Beinen über den Boden, Christian weicht zurück, schlägt weiter auf sie ein, bis er sie endlich erwischt, sein Schlag klingt stumpf, nicht so scheppernd wie auf dem Steinboden. Ich kann nicht hinsehen, er soll sie da hin katapultieren, wo ich sie nicht mehr sehe. Er schießt den leblosen zusammengekrümpelten Körper über die Türschwelle. “Nicht zu mir!!”, wiederhole ich panisch. Als sie über die Metalltreppe in der schwarzen Nacht verschwindet, kann ich endlich auf Toilette gehen. Auf dem Boden liegt noch eins ihrer acht Beine, es ist so lang wie mein kleiner Finger.

Tag 4: Bargachhap – Chame

In der Nacht wache ich immer wieder auf und schaue mich ängstlich nach der Mutter- oder Schwesterspinne um, die das Todesopfer des vergangenen Abends rächen kommt. Doch zum Glück tauchen keine weiteren Monsterachtbeinerinnen auf und wir brechen kurz vor acht Uhr bereits auf.

Der Weg ist zunächst wieder breit wie eine Straße, dann steigen wir steil auf bis wir Timang (2.270 m) erreichen und Christian einen neuen Energieschub in Form eines Snickers braucht. Es geht weiter, mit einem tollen Ausblick auf ein Bergmassiv, dessen Namen wir nicht nachschauen können, da es sich außerhalb unserer Karte befindet.

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Berge, deren Namen wir nicht kennen.

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Der Weg ist hauptsächlich breit, obwohl offensichtlich keine Autos hier fahren, trotzdem wäre uns ein schmaler Trampelpfad, wie wir ihn vom Weg nach Jiri kennen, viel lieber. Nach einer Hängebrücke geht es in der unbarmherzig knallenden Sonne wieder steil bergauf bis wir Thanchok erreichen, wo wir auf einer dreckigen Sonnenterrasse mit schmuddeligen Tischdecken und vergorenem Ketchup zu Mittag essen. Mein Swiss Rosti ist jedoch köstlich!

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Erste Blicke auf Lamjung Himal (6.983 m) und Annapurna II (7.937).

Von hier aus sind es nur noch knapp zwei Stunden bis wir unser Ziel Chame (2.670) erreichen. Unterwegs fühlen wir uns auf dem straßenbreiten Waldweg zwischen Tannen und Bergbächen wie im Schwarzwald. Nur die Aussicht auf Annapurna II und Lamjung Himal passt nicht so recht ins Bild. Gegen 14 Uhr erreichen wir den touristischen Ort mit gefühlt mehr Lodges, Hostels und Guesthouses als Einwohnern. Wir steigen an einem Ort ab, in dem wir unseren eigenen kleinen Holzbungalow haben. Ich wasche ein bisschen Wäsche, die in der intensiven Nachmittagssonne schnell trocknet.

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Dann versorgen wir unsere Schuhe, die auf dem staubigen Untergrund leiden.

Mit Büchern und Popcorn sitzen wir auf unserer Veranda vor unserem Bungalow und genießen die letzten wärmenden Sonnenstrahlen.

Tag 5: Chame – Upper Pisang

Um kurz vor acht verlassen wir unseren Bungalow in einen erneut wolkenfreien Morgen. Die Sonne lässt bereits die obersten Spitzen der Berge golden leuchten. Diese Nacht war die bislang kälteste, mein Gesicht friert mir nachts immer wieder ein und am Morgen kondensiert unser Atem in weißen Wölkchen durch den Holzraum. In Handschuhe, Mütze und mehrere Jacken eingemummt laufen wir los, in zügigem Tempo, damit Zehen und Finger auftauen.

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Kalt aber sonnig.

Dann treten wir endlich in die Morgensonne und es sind gleich zehn Grad wärmer – Ausziehpause. Wir steigen nach Thaleku (2.720 m) auf und dann weiter nach Bharatang (2.850 m) entlang einer steilen Kante, unten rauscht beständig der Marsyangdi Fluss in eisigem Blau.

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Wir müssen den Fluss mehrmals überqueren um die Seiten zu wechseln, da der ursprüngliche Trekkingweg derzeit zu einer Straße ausgebaut wird. Schon wieder also eine Straße und laute Bauarbeiten. Wo soll das hinführen? Dass man in fünf Jahren mit dem Bus oder Jeep um die Annapurna Berge fahren kann? “Um Annapurna in zwei Tagen”, na super! Aber die nepalesische Regierung schneidet sich damit ins eigene Fleisch. Schon jetzt finden wir den Trek zwar schön, aber keinesfalls so überwältigend – und auch nicht im Geringsten schöner als die Strecke von Lukla nach Jiri! – wie er uns bisher beschrieben wurde. Das liegt zum größten Teil an den Straßen(-bauarbeiten), die uns bisher auf allen Teilabschnitten verfolgt haben, aber auch an den (für unseren Geschmack) viel zu breiten Trekkingwegen. Wir kommen uns häufig vor wie auf einer Trekkingautobahn, den großen Wanderwegen in den Alpen oder im Harz ähnlich, wo locker auch ein geländegängiges Auto fahren könnte. Nur selten führt uns der Weg über schmale Pfade, die wir auf dem Weg nach Jiri so geliebt haben. Doch wenn es mal dazu kommt, dass wir zwischen Tannen und von Stein zu Stein, direkt Mitten in der Natur laufen, fällt uns jedes Mal auf wie viel angenehmer es ist und wie viel näher wir uns der Natur fühlen.

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Blick beim Aufstieg auf Lamjung Himal.

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Trekkinghighway.

Wir sind schon ziemlich erschöpft als wir Dhikur Pokhari (3.060 m) endlich erreichen. Hier wollen wir unsere Mittagspause einlegen. Am frühen Nachmittag beginnen wir dann unsere letzte Etappe des Tages, rauf nach Upper Pisang (3.300 m) und ich habe beim Aufstieg das Gefühl, ein bisschen was von der Höhe zu spüren, in der wir uns bereits befinden.

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Am Anfang ähnelt der Weg eher einem Spaziergang.

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Diesmal das ältere Modell wählend wird es dann immer steiler.

Es geht erst gemächlich, dann jedoch ziemlich steil hinauf. Der Wind hat zugenommen und bläst nun Staub und Stroh vor uns her den steilen Sandhang hinauf. Am oberen Ende des Dorfes erreichen wir schließlich das Kloster, vor dem wir von drei Zähne putzenden Mönchen freundlich begrüßt werden. Sie bauen gerade ein schönes neues Wohnhaus für die wenigen Mönche des kleinen Klosters. Der graue Stein ist frisch geschlagen, das helle Tannenholz der Balken duftet. Leider können sie uns keine der wenigen Unterkünfte empfehlen und so sprechen wir beim Heruntergehen den Besitzer einer recht ok aussehenden Lodge, dem Annapurna Hotel, an. Wir bekommen ein spartanisches Doppelzimmer im Holzverschlag, das uns heute sogar was kosten soll: 100 Rs, es gibt Schlimmeres. Die “Hot Shower” ist ein Eimer voll heißem Wasser, endlich Haare waschen!

Auf der kleinen Sonnenterasse stürmt es regelrecht und so sind meine Haare schnell trocken – und total zerzaust! Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die uns bereits um viertel vor vier erreichen und den wunderbaren Ausblick auf Annapruna II sowie einen der Chulu Gipvel (alle um die 6.400 m).

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Sonnenuntergang hinter Annapurna II (7.937 m).

Am Abend sitzen wir mit drei US Amerikanern, von denen der eine gebürtig aus Olpe kommt, jedoch seit über 40 Jahren in New York lebt, am warmen Ofen und reden übers Reisen, Arbeiten und Familie gründen. Wir erklären, dass uns das Reisen zwar sehr viel Spaß macht und uns auch eindeutig bereichert, doch haben wir auch festgestellt, dass es für uns keine dauerhafte Art zu leben darstellt und wir unser Zuhause doch zu häufig vermissen als das wir uns vorstellen könnten wirklich längerfristig zu Reisen. Und bei der Entscheidung zwischen unabhängigem Reisen oder Familie gründen, wollen wir zwei doch lieber Kinder als keine… Nach so einem gemütlichen Abend schlafen wir schon um halb neun in unserem halbwegs warmen Zimmerchen.

Tag 6: Upper Pisang – Manang

Wieder ein wunderschöner Tag und die Spitze der Annapurna II leuchtet in der Morgensonne zur Begrüßung. Natürlich warten wir auf unser einfaches Frühstück (Oat Porridge, Vegetable Omelett und eine Tasse Ingwer Tea), denn mit einem Guide an ihrer Seite werden die Amis zuerst bedient. Trotzdem sind wir um kurz vor acht unterwegs und entscheiden uns gleich für die “upper route”, den Weg mit der größeren Steigung aber auch der besseren Aussicht. Und dann geht es auch gleich bergauf. Etwa 370 Höhenmeter steil nach oben.

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Annapurna II.

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Die Sonne lugt langsam hinterm Hügel hervor und bringt meine Wangen zum Glühen.

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Gebetsmühlen zum ankurbeln.

Obern in Ghyaru (3.670 m) angekommen finden wir uns in einem altertümlichen Steindorf wieder, das uns an eine Festung aus dem Mittelalter erinnert. In den schattig engen Gässchen finden wir ein wenig Abkühlung und grüßen uns mit den hutzeligen alten Frauen, die uns mit faltentiefen dunkelgesonnten Gesichtern, trüben Augen, stumpf verfilztem Haar und rußigen Fingerchen hinterher schauen.

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Von dem steilen Aufstieg ganz erschöpft machen wir ein Päuschen am Wegesrand.

Dann geht es weiter am steilen Abhang entlang mit tollen Aussichten auf Annapruna II und den Pisang Peak (6.091 m), den wir heute zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, und beim Weitergehen auch Annapruna III (7.555 m).

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Pisang Peak (Jong Ri, 6.091 m).

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In den Aufwinden gleiten riesige Raubvögel über uns hinweg.

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Blick zurück ins Tal auf die namelosen Berge in der Ferne, den Marsyangdi Fluss und Annapurna II rechts.

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Vor uns Annapurna III (7.555 m).

Die Aussicht ist schon toll, wenn auch ganz anders als beim Everest Trek. Und heute sind wir auch glücklich mit dem Wanderweg: Ein recht schmaler Sandweg, auf dem wir immer noch zu zweit laufen können. Es geht wieder ein wenig bergab und wir erreichen Nawal (3.657 m) gegen viertel nach elf, pünktlich zum Mittagessen. In dem kleinen Restaurant treffen wir alte und neue Gesichter und sind überrascht mit wie vielen wir plötzlich zusammen essen. Wir warten fast eine Stunde auf unser bescheidenes Mittagessen (Apfelpfannkuchen und gebratene Kartoffeln und wieder einen Ingwertee) und brechen um viertel vor eins auf zur zweiten Tagesetappe.

Erst geht es steil bergab, der feine Sandstaub des Weges stäubt unter unseren Schritten auf und lässt unsere Nasen laufen. Wir nähern uns dem Fluss und durchqueren eine Fläche locker stehender Nadelbäume. Die Nachmittagssonne hat immer noch Kraft doch ein leichter Wind macht sie erträglich. Der Untergrund ist so staubig, wir kommen uns vor wie auf der aschgrauen Oberfläche des Mondes. Doch ein Blick in die Umgebung lässt uns die Vorstellung gleich vergessen: Grüne Tannenwälder auf den Hügeln hinterm Fluss. Dahinter die gigantischen schneebedeckten Gipfel der Berge, auf unserer Seite orange-golden leuchtende Felsen.

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Wieder unten am Fluss.

Nach zwei Stunden erreichen wir Braga (3.360 m) und sind damit 45 Minuten schneller als der Plan uns vorausgesagt hat. Jetzt also nur noch die halbe Stunde bis Manang (3.540 m). Die größte Stadt der Umgebung sehen wir schon von Braga aus, doch sind die paar Häuser tatsächlich schon alles? Wir hatten uns etwas ähnlich “großes” wie Namche vorgestellt, aber auch als wir näher kommen, wird die Ansammlung von Steinhäusern nicht größer. Mit den zwei Empfehlungen vom Guide der amerikanischen Rentnergruppe (Tilicho Hotel und Yak Hotel) laufen wir in den Ort hinein, in dem wir mindestens zwei Nächte zur Akklimatisierung und zum Ausruhen verbringen wollen. Tilicho sieht gut aus, Yak auch, doch ersteres hat eine eigene Bäckerei, die Wahl fällt also leicht und so bekommen wir ein gemütliches aber doch recht spartanisches Zimmer, immerhin mit eigener Toilette, für 200 Rs zugewiesen. Nach einer kalten Dusche, die als “Hot Shower” angepriesen wurde, verkrümeln wir uns über Popcorn und unseren Büchern in den gemütlichen Gemeinschaftsraum, in dem bald ein wärmendes Feuer entzündet wird.

Tag 7: Manang

Endlich mal wieder ein fauler Tag. Leider kann ich nicht besonders gut schlafen, obwohl es kaum kalt ist, und bin schon um 5:30 Uhr wach und liege lesend im Bett. Christian kann sich zum Glück ausschlafen und so gehen wir erst um neun Uhr zum Frühstück. Toast mit Erdnussbutter, Apfelpfannkuchen… Mmmh. Dann Spazieren wir im strahlenden Sonnenschein durch das verschlafene Nest Manang und stocken mal wieder unsere Schoko- und Müsliriegelvorräte auf. Wir entschließen uns auf den Aussichtspunkt auf der anderen Seite des Flusses zu steigen und genießen oben angekommen Sonne und Aussicht.

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Gletscherschneise des Ganggapurna (7.454 m).

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Pisang Peak in der Ferne.

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Gletschersee des Ganggapurna und Ausblick auf die nächsten Tagesetappen.

Pünktlich zum Mittagessen sind wir wieder zurück und lassen es uns weiter gut gehen. Die Tilicho Lodge ist wirklich um einiges besser als wir es bisher auf dem Trek erlebt haben. Sie kann durchaus mit den schönsten Hotels auf dem Everest Trek mithalten. Vor allem das Essen…

Ich lasse meine frisch gewaschenen Haare hinter einer Glasscheibe von der glühenden Sonne trocknen, die mir fast den Rücken verbrennt, esse dabei leckeren Kartoffelsalat, trinke Pfefferminztee mit viel Zucker und schmökere in meinem Buch. Zum Nachtisch noch ein Stück leckeren warmen Apfelkuchen? Klaro!

Um 17 Uhr gehen wir ins Kino. Im Ort werden von zwei gegenüberliegenden Häusern mehrere Filme angeboten. Die Titel sind die gleichen: “Sieben Jahre in Tibet”, “Into thin Air”, “Into the Wild”, “Slumdog Millionaire”, “The Hangover”, eben die typischen Backpacker Filme, die zur Region passen. Unterschiedlich sind nur die Zeiten zu denen die Filme laufen. Während wir darauf warten, das “Kino” endlich betreten zu dürfen, beobachten wir die vielen Kinder des Ortes, die in der Abenddämmerung ausgelassen miteinander spielen. Allen Kindern gemein sind ihre schwarzen Haare, ihre dunklen Augen und dunkle Haut und der Dreck, der sie von Kopf bis Fuß bedeckt. Ein kleines Mädchen mit verfilzt abstehenden Haaren trägt eine schmuddelige Daunenjacke, die ursprünglich mal Neon-Pink gewesen sein muss, durch Dreck und Sonne aber in ein blasses Rosa-Grau verwandelt wurde. Ein anderes Mädchen streckt mir sein dreckig schwarzes Händchen entgegen und offenbart mir ein kaputtes und ebenso dreckiges Plastikperlenkettchen, deren einzelne Stücke sie sich mit strahlenden Augen an ihre Ohrläppchen hält, worauf ich ihre improvisierten Ohrringe bewundere. Sie dreht sich um und beginnt kleine Gegenstände vom sandigen Boden aufzuheben: Den Deckel einer Blechdose, den dazugehörigen Öffnungsring, eine Plastikkugel. Den Öffnungsring steckt sie sich wie einen Ring an ihren schmutzigen kleinen Finger, steckt den Finger in den Mund und zieht den Ring mit ihren Zähnen wieder ab. Die dazugehörige Blechdose wird auch bald als Spielzeug entdeckt und von den Kindern als Fußball eingesetzt. Die Kinder quietschen und schreien. Dass ihnen nicht kalt ist in ihren fadenscheinigen drecksteifen Pullovern und Kleidchen.

Um kurz vor fünf, es wird bereits dunkel, dürfen wir endlich eintreten in den kleinen Raum mit den fünf oder sechs Reihen Holzbänke, einem Projektor in der Mitte des Raumes, der auf die Leinwand vor Kopf ausgerichtet ist, und einem Ofen, hinter den wir uns gleich setzen. An den Wänden hängen Flaggen von FC Barcelona, Chelsea, Arsenal, Real Madrid, auf den Bänken liegen Yak Felle und Kissen. Wir sind ganz überrascht: Ein richtiges Kino! Der Eintritt kostet 200 Rs pro Person, Popcorn und Tee inklusive.

Zu uns gesellt sich noch das Pärchen aus Hawaii, das wir unterwegs schon mehrmals getroffen haben, und der Indonesier aus Norwegen, dann geht es auch schon los. Licht aus, Beamer an, Ton aufgedreht. Wir haben uns für “Into thin Air” entschieden. Christian hat das Buch bereits auf unserem Everest Trek gelesen und mir viel von den vielen kleinen Missgeschicken und unglücklichen Zufällen berichtet, die die Mt. Everest Expedition 1996, von der der Film handelt, zu der Katastrophe machten, die sie war. Nach dem Film sind alle erschüttert von der Dramatik und froh, dass wir keine großen Gipfelbesteigungen vor uns haben.

Das Abendessen im lecker warmen Gemeinschaftsraum wird wieder köstlich und zum Nachtisch gibt’s wieder ein Stück warmen Apfelkuchen…

Tag 8: Manang – Tilicho  Basecamp

Wieder eine warme Nacht, endlich kann auch ich mich ausschlafen. Am Frühstückstisch beschließen wir heute zum Tilicho Basecamp zu laufen, um dann am nächsten Tag den Tilicho See auf knapp 5.000 Metern zu besichtigen. Der Ausflug ist ein dreitägiger Sidetrek von und wieder zurück nach Manang. Das Frühstück mit Porridge, Toast & Honey, Buckwheat (=Vollkorn) Pancake und Omelett wird üppig, aber wir wollen ja auch wandern und wer weiß wann wir wieder so gut Essen?! Um neun Uhr brechen wir auf, am Himmel zeigen sich erste Schleierwolken, dabei hatte ich gestern das Wetter noch so gelobt…

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Hinten können wir bereits das schneebedeckte Tilicho-Massiv sehen.

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Wir haben die Annapurna Runde für den Sidetrek verlassen.

Erst verlaufen wir uns und verlieren dadurch kostbare Zeit: Unsere Karte zeigt einen anderen Weg als die Beschilderung und die aufgemalten Pfeile auf dem Weg. Am Ende stellen wir fest, dass unsere Karte veraltet ist und folgen den Pfeilen.

Um kurz vor elf erreichen wir Khangsar (3.734 m) und lassen uns bei einer fürsorglichen Frau auf der Sonnenterasse nieder. Auf unser Essen müssen wir mal wieder warten. Um viertel nach zwölf geht es dann weiter. Plötzlich steigt der Weg steil an. Andere, kleinere Trampelpfade bleiben weiter unten – auf unserer Karte sieht es auch ganz so aus als müssten wir uns unten halten. Der Weg obenherum führt laut Karte bis auf einen 4.920 Meter hohen Pass und so weit wollen wir eigentlich nicht hinauf. Doch wir haben gelernt die Einzeichnungen auf unserer Karte nicht zu ernst zu nehmen und besser den bereitesten Trampelpfaden mit den meisten Fußspuren zu folgen. Also schleppen wir uns den staubigen Sandpfad hinauf, die Luft ist merklich dünner als noch in den letzten Tagen und unsere Rucksäcke ziehen uns schwer nach unten. Ich schaue mir die Fußabdrücke der Trekker an, die sich teilweise gestochen scharf im feinen Staub-Sand abzeichnen. Sie sehen sehr frisch aus, denke ich, wir sind also auf dem richtigen Weg. Aber was ist, wenn sie schon Tage, Wochen, Monate alt sind und kein Lüftchen sie bisher zerstört hat? Wieder hab ich das Gefühl mich auf dem Mond zu bewegen, auf dessen Oberfläche Lance Armstrong’s Fußabdruck noch unverändert jede Rille seines Astronautenstiefels widergibt. Doch im Gegensatz zum Mondklima ist es hier schön warm und es weht ein angenehmes Lüftchen.

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Christian übt sich als professioneller Yaktreiber: Chuo-Chuo!

Wir befinden uns bereits auf 4.100 Metern als wir eine kleine Hotelsiedlung passieren. Wenn uns unser Weg tatsächlich noch mal 800 Meter hinauf führen sollte – wonach es auf unserer Karte aussieht – müssen wir wohl in Erwägung ziehen hier zu übernachten.

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Herrlicher Blick zurück auf Pisang Peak und Annapurna III.

An einer Hängebrücke kommt uns endlich jemand entgegen – der erste Mensch, dem wir heute begegnen! – und er kann uns beruhigen: Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Bis zum Basecamp sind es noch 1-2 Stunden, sagt er. Mittlerweile ist es 14 Uhr, das wäre doch super. Mit schweren Beinen und kurzem Atem geht es weiter. Wir passieren ein Erdrutschgebiet, an dem sich tausende kleine, feine und größere Steine den Hang hinab bewegen. Als wir dort mitten durch laufen löst jeder Schritt eine kleine Steinlawine aus, die in Form kleiner Steinchen in Richtung des weit unter uns rauschendem Flusses kullert. Einige rundgeschliffene Felsen stehen aus dem steilen beweglichen Hang hervor. Sie wurden über die Jahre von den sich langsam vorarbeitenden Steinrutschen in ihre Form gebracht. Wir sind froh, als wir ein langes Erdrutschgebiet hinter uns lassen.

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Auf dem beweglichen Untergrund zu laufen ist weder angenehm noch vollkommen ungefährlich.

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Die herabrutschenden Steine offenbaren Felsen wie das Skelett des Berges.

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Wo ist jetzt genau der Weg??

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Der Blick nach unten macht ein bisschen schwindelig.

Als die zwei Hostels, die das Tilicho Basecamp ausmachen, in Sicht kommen, ist es kurz nach 15 Uhr, die Sonne versinkt gerade hinter der massiven Felswand es Tilicho Gebirgszugs.

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Sonnenuntergang hinterm Roc Noir (Khangsar Kang, 7.485 m) und Tilicho Massiv.

Leider ist die die Auswahl des Schlafplatzes bei nur zwei Hostels begrenzt und ein Steinhaus ist üseliger und staubiger als das andere. Zum Glück sind wir nicht die einzigen Trekker und so leiden wir gemeinsam um einen wenigstens warmen Ofen.

Ein Guide, der mit einem Japaner unterwegs ist, wird auf uns aufmerksam als er mitbekommt, dass wir auf dem Everest Trek waren. Er kommt aus dem kleinen Ort Remo, in dem wir auf unserem Weg nach Jiri einmal zu Mittag gegessen haben. Und so schwelgen wir am Abend in Erinnerungen an die Schönheit des Treks und er über seine Kindheit und Jugend.

Die Nacht im staubig sandigen Zimmer wird Dank schmuddelig müffelnder Wolldecke wenigstens warm. Und obwohl ich mehrmals mit Kopfschmerzen erwache, fall ich doch immer wieder in einen geruhsamen Schlaf.

Tag 9: Tilicho Basecamp – Sher Kharka

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Heute heißt es früh aufstehen! Morgenhimmel am Roc Noir.

Eigentlich wollten wir schon um 6 Uhr frühstücken, aber mit dem fadenscheinigen Argument, um diese Uhrzeit sei es ja noch dunkel, wurde unser Frühstückstermin schon am vorherigen Abend um 30 Minuten nach hintern verschoben. Also stehen wir erst um sechs auf und sitzen um halb sieben abmarschbereit am Frühstückstisch. Der Grund weswegen wir heute so früh dran sind, ist unser Plan zum etwa drei Stunden entfernten und etwa 800 Meter höher gelegenen Tilicho See (dem angeblich höchsten See der Welt, aber wir begegnen solchen Superlativen mittlerweile skeptisch) zu wandern und wieder zurück, vorbei am Basecamp und dem Erdrutschgebiet bis in das Zwei-Lodge-Dorf Sher Kharka, das wir gestern schon passiert haben. Dort wollen wir dann die Nacht bleiben und am nächsten Tag einen Abzweig direkt nach Yak Kharka, statt wieder über Manang zu laufen, nehmen, zurück auf die Annapurna Runde. Ein langer und sicherlich anstrengender Tag, jedenfalls der erste Teil. Doch als wir den schmuddelig rauchigen Essensraum betreten, hat der “Koch” – ein junger Nepalese mit verfilzt staubigem Schopf, dreckigen Klamotten, schwarzen Fingern und rudimentären bis nicht vorhandenen Englischkenntnissen – sich unseren gestern Abend bereits eingereichten Bestellschein noch nicht einmal angeschaut. Der nette Guide mit dem hübschen Gesicht und den schiefen Zähnen muss erst auf Nepalesisch  nachhelfen, bevor klar wird was wir wollen. Sein Kunde, der pensionierte Japaner schlürft natürlich bereits genüsslich sein Frühstück. Statt blöd rumzusitzen packen wir schon mal unsere Sachen und beschließen, um 7 Uhr, falls das Essen dann noch nicht da ist, einfach aufzubrechen. Um zehn vor Sieben heißt es dann “Breakfast ready!”, doch alles was fertig ist, ist das Porridge von Christian. Also isst er erst mal. Dann ist auch mein Vollkornpfannkuchen scheinbar fertig, doch leider ist der noch gar nicht ganz durch und ich kaue angewidert auf dem matschigen Teig herum. So geht das nicht und ich reiche den angetesteten Fladen mit den Worten, er solle ihn noch mal in die Pfanne geben, da er noch zu flüssig sei von innen, in die Küche zurück. Wieder hilft der Guide mit seiner Übersetzung. Dann kommt mein Omelette. Auch das ist noch glibberig von unten, aber jetzt habe ich die Warterei satt und wabbeliges Ei ist immer noch besser als roher Vollkornteig. Ich kriege einen neuen Vollkornfladen, der diesmal dünner ist, jedoch immer noch nicht die notwendige Garheit erreicht hat. Egal – es ist schon zehn nach sieben – mit viel Zucker geht’s schon.

Um viertel nach Sieben sind wir endlich unterwegs. Die Spitze des Roc Noir färbt sich gerade orange in der aufgehenden Morgensonne. Dann geht es bergauf. Die Luft ist wieder dünner geworden und wir haben anscheinend die Höhe erreicht ab der mein Kopf sich meldet. Nicht schlimm, keinesfalls vergleichbar  mit meinen Kala Patthar Erfahrungen. Ich muss einfach wieder gaaaanz langsam laufen und dabei darauf achten, dass ich meine Lungen beim Einatmen mit so viel Sauerstoff wie möglich befülle. Ich fühle mich sehr schwach. Der kletschige Pfannkuchen und das wabbelige Ei formen in meinem Bauch einen schwammigen Klumpen, der mich schwer nach unten zieht. Ich denke an den Anstieg auf Kala Patthar, mir hatte es vor den Augen geflimmert und ich hatte kaum noch was gesehen, jetzt erinnere ich mich wieder. Nein, so schlimm ist es heute nicht und ich setze mein innerliches “Om Ma Ni Padme Hum” zur meditativen Stärkung meines Gangs fort. Christian hat mal wieder keinerlei Beschwerden. Er sei ein wenig schwach auf der Brust aber das sei alles. Toll! Ich hingegen sähe richtig blass aus, bemerkt er bei einer Trinkpause besorgt. Aber ich will weiter gehen. Kein Interesse aufzugeben.

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Ein Sonnenaufgang, der entschädigt. Links tauchen die Chulu-Gipfel auf.

Der Pfad zieht sich dahin, wir haben bald Japaner und Guide, sowie zwei Jungs aus dem Hostel, die nachgekommen waren, eingeholt und erreichen endlich den höchsten Punkt, von dem aus wir den See jedoch immer noch nicht sehen können.

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Fast ganz oben: Roc Noir und das Tilicho Massiv.

Noch ein Stück weiter, jetzt auf der Ebene, da fällt das Laufen viel leichter. Dann sehen wir endlich die Steinhaufen und die im Wind flatternden Gebetsfahnen, die den Aussichtspunkt markieren. Und dann kommt auch endlich der See in Sicht.

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Angeblich höchster See der Welt: Tilicho Tal (4.920 m).

Wir stehen auf 4.990 Metern am Southern Basecamp, etwa 70 Meter oberhalb des Sees und können auf seine teilweise gefrorene Oberfläche schauen, in der sich das Tilicho Massiv spiegelt. Breite Streifen am Ufer des Sees sind nicht gefroren und ihr Wasser kräuselt sich im Wind, der immer wieder in Böen auffrischt. Doch wirklich kalt ist es in der wärmenden Vormittagssonne nicht. Ich setz mich auf meine Daunenjacke und esse einen Müsliriegel. Mein Kopfschmerz ist verflogen. Es ist viertel vor zehn, wir haben genau 2 1/2 Stunden gebraucht.

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Erster Höhenrekord dieses Treks, knapp 5.000 Meter ohne Kopfschmerzen!

Als Japaner und Guide sich schon wieder verabschieden, stößt der junge Israeli Amir zu uns, den wir ebenfalls aus der staubigen Lodge kennen, und wir trinken gemeinsam eine Tasse Kaffee bzw. Tee, die er auf seinem mitgebrachten Minikocher zubereitet.

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Ich bekomme Lust auf Skifahren!

Nach einer Stunde verlassen wir den blau leuchtenden See wieder und steigen in der Hälfte der Zeit, die wir für den Aufstieg gebraucht haben, wieder ab.

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Und wieder runter…

Zurück im Basecamp bestellen wir dann was am schnellsten geht: Tomato Noodle Soup, die steht nach 15 Minuten auf dem Tisch und eine weitere Viertelstunde später brechen wir mit unseren Rucksäcken auch schon wieder auf.

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Zurück durch die rutschige Felsenwüste.

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Das erste Stück entlang der steilen Kieshänge wird ziemlich anstrengend, da es hauptsächlich bergauf geht und die Sonne ihre ganz Kraft auf uns niederbrennen lässt. Der Blick nach Osten, ins Tal mit den hohen schneebedeckten Bergen, deren Namen wir nicht kennen, ist heute ohne Schleierwolken noch viel schöner und entschädigt für die Anstrengungen, den Staub, der Augen und Atemwege reizt und die schmerzenden Füße.

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Pisang Peak im Vordergrund, die restlichen Namen? Keine Ahnung…

Nach zwei Stunden haben wir unser Ziel für heute erreicht und checken auf Anraten des Guides, der am Basecamp wahrscheinlich noch immer auf seinen Dal Bhat wartet, in die neuere der beiden Lodges in Sher Kharka ein. Kurz darauf trifft auch der Israeli ein und eine Stunde später auch der Japaner mit seinem Guide. Alle wechseln ihre Klamotten, schlagen die staubigen Hosen, Schuhe, Socken und Hemden aus und genießen dann die letzten Sonnenstrahlen, die bald darauf hinter dem Felsmassiv gegenüber verschwinden, unter einer blassen aber immer heller werdenden dünnen Sichel des zunehmenden Mondes.

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Hammertag geschafft: Gute Nacht!

Tag 10: Sher Kharka – Ledar

Die Lodge in der wir übernachten ist super. Auch wenn es nachts stürmt und ich wegen einer zuen Nase immer wieder aufwache, haben wir am Morgen einen perfekten Start in den Tag: Erst Sonnenaufgang im Tal, den wir vom Frühstückstisch aus betrachten können. Dann stehen auch schon Müsli, Porridge und Minztee auf dem Tisch, alles schmeckt wie gestern das Abendessen: super lecker!

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Um viertel vor acht laufen wir bereits, hinein in die aufgehende Sonne, zurück Richtung Manang. Aber wir nehmen einen Abzweig, der uns vorbei an Manang und direkt nach Yak Kharka (4.018 m) bringen soll.

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Wieder ein perfekter Morgen ohne eine einzige Wolke.

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Yak Stallungen, sogenannten Kharka, als Winterquartiere für das Vieh.

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Nach gut einer Stunde des recht anstrengend aufwärts Wanderns erreichen wir die Abbiegung oben auf dem Aussichtspunkt. Unter uns liegt Manang auf ihrem kleinen Plateau, davor schlängelt sich der Maryangdi Fluss, dem wir bis hier her gefolgt sind und der aus den Gletschern südlich und westlich des Tilicho Basecamps entspringt.

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Letzter Blick zurück ins Maryangdi Tal…

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…und auf Ganggapurna und Annapurna III.

Unser Blick schweift jetzt nach links, Richtung Norden, wohin wir uns nun wenden werden um den höchsten Punkt unserer Wanderung, den Thorung La Pass auf 5.416 Metern zu überwinden. Für heute haben wir uns das sicherlich nicht vorgenommen. Vorher schlafen wir auf jeden Fall noch mal eine oder zwei Nächte auf dem Weg dorthin.

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Gegenüber verläuft der Trekkinghighway, dahinter die Chulu-Gipfel.

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Und da hinten wollen wir hin.

Wir legen eine kurze Rast ein und verabschieden uns vom Marsyangdi Tal. Auf der Wiese des Aussichtspunktes will ich mich auf eine scheinbar weiche Grasfläche niederlassen. Die Wiese ist zwar nicht grün, sondern vertrocknet gelb, macht aber dennoch den Eindruck mir für das Päuschen ein gemütliches Plätzchen zu bieten. Als ich mich daraufhin samt meines Rucksacks auf dem Rücken mit dem Hintern auf die besagte Stelle plumpsen lasse, stellt sich die vergilbte Wiese als ein Beet langer, nadelartig-spitzer Dornen heraus, die sich sogleich durch den dünnen Stoff meiner Hose und anschließend die Haut meiner Pobacken bohren. Ich heule auf und versuche mich unter Flüchen so schnell wie möglich wieder aufzurappeln, was mir mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken nur mühsam im Zeitlupentempo gelingt. Jammernd und fluchend ziehe ich Stachel für Stachel aus der Hose und aus der Haut darunter…

Es geht hinab. Wir müssen runter zum Thorung Khola Fluss auf dessen gegenüberliegender Seite sich die nächsten Orte auf unserer Route befinden. Es ist steil und mir schmerzen die aus der Mischung feinsten Staubs und Schweiß wund gewordenen Zehen. Auf dem langen steilen Stück zum Fluss runter durchqueren wir kleine Wäldchen knorriger Bäume, deren sich abblätternde hauchdünne Papierrinde leise im Wind raschelt.

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Kleiner Märchenwald.

Nachdem wir die Brücke überqueren, geht es – klar – wieder hoch. Als wir das steilste Stück überwunden habe, wollen wir uns zu einer kleinen Verschnaufpause setzen, doch – Au! – mir piekst immer noch der Hintern. Meinen Füßen geht’s auch nicht besser. Als ich die Socken lüfte kommen an jedem Fuß mehrere Blasen zum Vorschein. Da hatte ich die ganzen letzten fünf Monate unserer Reise keine einzige Blase (außer in Berlin aber das zählt doch nicht!) und jetzt habe ich gleich zwei an jedem Fuß! Dieser Staub ist einfach schrecklich – wie Schmirgelpapier…

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Rechts am Hang kann man unseren Abstiegspfad erkennen.

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Nun aber schnell weiter, denn wir haben Hunger! In Yak Kharka werden wir fündig, das Essen ist gut und super schnell fertig.

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Da war doch ein Gangster am Werk!

Mittlerweile ist es zwanzig vor eins, bis nach Ledar (4.200 m) soll es noch eine Stunde dauern und wir haben uns überlegt von dort aus morgen zum High Camp, der letzten Übernachtungsmöglichkeit vor dem Pass, zu laufen. So wird die Passüberquerung übermorgen nicht ganz so lang. Nach 45 Minuten sind wir da und bekommen ein schönes und sauberes Doppelzimmer mit Blick zurück auf Annapurna III und Ganggapurna.

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Annapurna III (Mitte) und Ganggapurna (rechts).

Beim Abendessen lernen wir ein deutsches und ein US amerikanisches Pärchen kennen, die sich auf dem Trek kennengelernt haben und nun gemeinsam wandern. Die Amis holen gleich eine ganze Palette verschiedener Pillendöschen heraus, von denen sie ihren Wandergefährten bereitwillig abgeben. Alle nehmen Diamox, das bei der Akklimatisierung an die Höhe helfen soll. Ein anderer Trekker liegt schon den ganzen Abend benommen auf der Bank. Obwohl er “on Diamox” ist, hat er Kopfschmerzen und beschließt im Laufe des Abends abzusteigen, dabei ist es draußen bereits dunkel und kalt. Von der Höhe merken wir zum Glück kaum etwas.

Tag 11: Ledar – High Camp

Pünktlich um 6:30 Uhr sind wir hellwach, die innere Uhr funktioniert wieder. Erst verarzte ich meine wunden Füße mit diversen Pflastern, die eh nicht halten werden und nach den ersten Steigungen zwischen Fuß und Socke ihrerseits auf Wanderschaft gehen werden. Das Frühstück ist pünktlich und köstlich, um viertel vor acht sind wir schon wieder On the Road, auf dem Weg zur höchstgelegenen Unterkunft unseres Treks, dem Thorung La High Camp auf knapp 5.000 Metern. Zunächst führt uns der breite Weg über eine Hängebrücke auf die andere Seite des Flusses und dann wieder hinauf bis nach Thorung Phedi (4.450 m), wo wir bereits um halb zehn eintreffen. Eigentlich haben wir noch gar keinen Hunger, aber vor dem angeblich zweistündigen Anstieg zum High Camp wollen wir wenigstens noch ein bisschen heiße Flüssigkeit in Form nahrhafter Suppe und Tee einnehmen.

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Um zehn Uhr beginnt der Anstieg.

Der Weg ist wirklich steil aber mit Om Ma Ni Padme Hum in den Ohren fällt der meditative Atem-Schritt-Rhythmus nicht schwer und ich kann mich der langsam auftauchenden schneebedeckten Spitzen von Purbung Himal (6.500 m) und Jinjang (6.111 m) erfreuen.

Ach, es ist eigentlich ein Klacks, da sind wir auf fast fünf Tausend Metern, ich trage aber nur meine leichte Trekkinghose, keine Jacke, nur ein Halstuch und mein Käppi. Die Sonne ist so angenehm und der Wind keinesfalls kalt. Nach knapp einer Stunde sind wir schon oben. Das ging aber schnell. Christian hat uns bereits in ein gemütliches kleines, sauberes Doppelzimmer einquartiert, das sogar Licht hat und saubere Laken. Es ist 11 Uhr und wir sind bereits am Ziel für heute. Mit einer Kanne Minztee und unseren Büchern machen wir es uns im sonnig warmen Aufenthaltsraum gemütlich. Nach einer Stunde lesen mit wärmender Sonne im Rücken, beschließen wir die Mittagssonne auszukosten und den Aussichtspunkt hinter unserer Unterkunft zu besteigen. Hinauf geht es ganz schnell, trotzdem sind wir oben angekommen atemlos.

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Hier blicke ich beim Who is Who auch nicht mehr ganz durch: In de Mitte Chulu West (6.419 m), links daneben zwei namenlose Gipfel (5.849 m und 5.902 m) und ganz links Jingjang (6.111 m).

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Der in der Mitte müsste Purbung Himal (6.500 m) sein.

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Alte Bekannte wo wir her kommen: Der westliche Teil des Annapurna Himal Massivs.

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Da geht’s hoch zum Pass, links am Yakwakang (6.482 m) vorbei.

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Ich will gar nicht mehr runter.

Ein bisschen lesen in der Sonne und wir steigen wieder ab. Unten angekommen treffen auch die zwei Deutschen, Sandra und Matthias, die wir am Vorabend in Ledar kennen gelernt haben, ein. Sie sind ziemlich fertig vom Anstieg und auch ein bisschen blass um die Nasen. Kurze Zeit später sitzen wir zu sechst zusammen. Toni aus München und Micha, ebenfalls aus München, gesellen sich zu uns vieren (Sandra und Matthias kommen auch aus München!) und wir haben einen gemütlich entspannten Nachmittag mit lustigen Reisegeschichten, Essens- und Hotelempfehlungen in Pokhara und Kathmandu, Masala Tee und Apfelpfannkuchen. Um drei verschwindet die Sonne bereits hinter den Bergen, ab vier wird es langsam dunkel. Im Nebenraum wird um fünf der Ofen entfacht und so scharen sich alle bibbernd um den alten metallernen Holzofen. Als wir uns bereits um sieben in die Betten verkrümeln, glitzern draußen die vielen vielen Sterne, die wie Eiskristalle vor dem pechschwarzen Nichts des Weltalls schweben. Wie erwartet wird die Nacht ein wenig schwierig. Ich liege lange wach bis ich wieder aufs Klo muss – wo ich mit einem Blick auf die Uhr feststelle, dass es bereits nächtliche 22 Uhr sind.

Tag 12: High Camp – Muktinath

Danach schlafe ich dann aber mit einigen Unterbrechungen bis fünf Uhr durch. Das ist schon ok so, denn um 5:30 Uhr stehen wir sowieso auf. Um sechs Uhr gibt’s super Porridge-Frühstück, um zehn vor sieben – wie immer (fast) – trotten wir im eisigen Morgen den Hang hinauf zum Thorung La Pass.

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Guten eisigen Morgen!

Der Aufstieg soll zwei Stunden dauern, ich habe heute Musik (Keane) in den Ohren und so fällt es mir überhaupt nicht schwer, gemütlich innerlich mitsingend den Pass zu erklimmen. Alle, die morgens schon vor uns unterwegs waren, werden gnadenlos von uns überholt.

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Syagang (6.026 m) links und Thorung Peak (6.201 m) rechts.

Nach knapp zwei Stunden sind wir oben angekommen und ein wenig angenervt von dem Rummel, der um diesen Pass gemacht wird und der keine besonders spektakuläre Aussicht bietet. Vor uns bereiten  sich die weiten zerklüfteten Zacken der kargen Berge auf der anderen Seite des Passes aus. Es wirkt als blickten wir auf eine Wüste hinab, erinnert uns ein bisschen an Tibet oder die Gobi. Dabei hatten wir uns doch darauf gefreut den staubigen Sand, der unsere Taschen und Klamotten bereits bin in jede Ritze und Falte eingenommen hat, endlich los zu werden wenn wir wieder absteigen.

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Angenervt ja, aber wir machen trotzdem mit: Auf 5.416 Metern und von Kopfschmerzen keine Spur!

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Jetzt geht’s wieder runter. Hinten links müsste der Tukuche Peak (6.920 m) sein.

Der Abstieg ist langwierig und anstrengend. Es geht unglaublich lang und unglaublich steil bergab. Als wir um 11 Uhr zu Mittag essen tun uns Beine, Knie und Füße weh und wir stellen fest, dass wir schon über tausend Meter abgestiegen sind. Nach dem Mittag ist es nur noch eine Stunde bis wir das nicht besonders hübsche Örtchen Muktinath (3.760 m) erreichen, das bereits durch eine Straße mit den nächsten Örtchen verbunden ist. Motorräder erinnern uns daran, dass wir jetzt tatsächlich eine gute Woche lang dem Straßenverkehr entflohen waren. Die Unterkünfte sehen alle recht ähnlich aus und wir entscheiden uns für das Bob Marley, das von außen noch den nettesten Eindruck macht. Obwohl wir eine der wärmsten Duschen unseres Treks bekommen, sind wir doch ein wenig angewidert von den dreckigen Kissenbezügen, Laken und Decken in unserem lieblos rosa und grün gestrichenen Zimmer. Nun ja, so ist es nun mal und ab morgen wohnen wir dann nur noch in wirklich guten Unterkünften. Wirklich!

Nach einem kleinen Spaziergang durch das Örtchen, stellen wir fest, dass keine der anderen Lodges wirklich besser aussieht und finden uns mit unserem Schicksal ab. Ein Holländer, der sich zu uns auf die Sonnenterasse gesellt, empfiehlt uns die Shangri-La Lodge in Kagbeni, wo wir morgen hin wollen. Als dann am Nachmittag plötzlich dicke Wolken aufziehen und es kühl wird, verkrümeln wir uns mit unseren Büchern und unserem Tee ins Innere und wärmen uns an einem kleinen Kohleöfchen, das unter die lange Tafel gestellt wird, die Füße. Das Essen stimmt uns dann endgültig positiv gegenüber Bob Marley, der im Hintergrund zu einer riesen Portion gekochtem Gemüse mit Reis für Christian (seinem armen Bauch geht es immer noch nicht besser) und einem leckeren Haufen Nudeln in Tomatensoße, Spinat und Fleischbällchen für mich singt.

Dank der 1.500 Meter, die wir heute abgestiegen sind, schlafen wir diese Nacht wie die Steine in den Bergen.

Tag 13: Muktinath – Kagbeni

Heute schlafen wir aus. Jedenfalls Christian. Meine innere Uhr funktioniert mittlerweile so perfekt, dass ich um zwei Minuten vor halb sieben mit ein paar tiefen Atemzügen aufwache. Ich liege lesend im Bett bis um viertel nach sieben auch Christian die Augen aufschlägt und mir gleich gratuliert. Zum zweiten Advent? Nein zu unserem Fünf-Monatigen. Fünf Monate auf Reisen… Noch mal so lange und wir sind schon fast wieder zu hause. Wie sehr wir unser gemütliches, warmes Zuhause in den letzten Tagen vermissen…

Das Frühstück haben wir für heute Morgen mal nicht im Voraus bestellt, denn für heute stehen nur 3 1/2 Stunden Wandern an. Also lassen wir es erst mal ganz entspannt angehen und bestellen erst nach dem Aufstehen. Um halb neun treten wir in den ziemlich kühlen aber wieder mal wolkenfreien Morgen hinaus. Gerade als das nette französische Pärchen mit den etwas albernen Mützen (sie trägt einen Frosch, der noch ganz süß ist, er einen Tiger, der ihn absolut lächerlich aussehen lässt) an unserem Hostel vorbei kommt. Sie wollen heute nicht laufen sondern in Muktinath bleiben und sich einen Jeep für die Rückfahrt organisieren. Ab neun Uhr morgens solle es eh sehr windig werden, haben sie gehört und da mache das Wandern ja keinen Spaß. Wie zur Bestätigung setzt in diesem Moment ein eisiger Wind ein, der die beiden, die nicht ausreichend eingepackt sind, dazu bringt von einem Bein aufs andere zu wippen. Der Abschied geht dann ganz schnell, wir vermuten, dass die beiden den Tipp von einem Jeepbesitzer bekommen haben, der natürlich seinen Service verkaufen will. Jaja, wir sind schon so weit, dass wir hinter jedem Tipp eine Touristenfalle vermuten. Wir laufen jedenfalls trotz Wind und nachdem wir Muktinath verlassen haben, lassen wir auch den Wind hinter uns.

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Vieles erinnert uns an Tibet, vielleicht weil wir uns auf einer alten Handelsstraße befinden.

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Wie kommst Du jetzt da rüber?

Die Landschaft ist trocken-herbstlich. Die Bäume und Sträucher sind kahl, das gelbe Laub liegt von Raureif glitzernd auf dem hart gefrorenen Boden. Mit unseren Wanderstöcken knacken wir die Eisdecke der Pfützen. Die Hufabdrücke der Ziegen sind ebenfalls überzogen mit einer zarten Schicht Eiskristalle und wir müssen eine Zeit lang laufen bis unsere Zehen und Finger wieder warm werden. Dann jedoch, wir laufen endlich in der Sonne, wird es bald warm genug Mütze und Handschuhe auszuziehen. Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir Jharkot (3.550 m), nach einer weiteren halben Stunde Khinga (3.355 m). Von nun an müssen wir uns wieder an den Anblick einer breiten Sandstraße gewöhnen. Erst überholt uns ein Moppet, dann kommt hupend ein Jeep voll Touris auf uns zugerast. Als hätten wir den nicht von weitem bereits gesehen und gehört.

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Blick zurück: Muktinath und die hohen Berge.

Die Trampelpfade dienen nur noch dazu die lang gezogenen Serpentinen der Straße abzukürzen. Dann sind wir in Kagbeni (2.800 m) und schlängeln uns in den süßen kleinen Ort hinunter, der zum Glück unterhalb der Straße liegt und nicht von ihr durchzogen wird. Das Shangri-La macht auch von Außen einen guten Eindruck. Von Innen überzeugt es uns sofort: So schön!

Wir bekommen auch ein schönes Zimmer (bzw. suchen wir uns das schönste von allen Zimmern aus, denn wir sind die einzigen Gäste) mit eigenem Badezimmer und suchen uns dann aus der reichhaltigen Speisekarte was leckeres aus (jedenfalls ich, für Christian gibt es – auf Anraten der fürsorglichen Hausherrin und Köchin – nur Pellkartoffeln und viel Pfefferminztee).

Wir haben viel und lange Zeit im sonnenerwärmten Obergeschoss zu sitzen, unsere riesigen Kanne Pfefferminztee zu trinken und bei einem Stück Apfelkuchen in unseren Bücher zu versinken. Am frühen Nachmittag gesellen sich zwei US Amerikaner zu uns, mit denen wir uns stundenlang über Deutschland (das Mädel hat mal übers Militär in Darmstadt gelebt und ist voll des Lobes für die deutsche Höflichkeit, Ordnung und das Sozialsystem), die USA, Weltgeschichte, Tibet und China unterhalten können.

Um vier müssen die zwei sich beeilen, damit sie ihren Bus nach Jomson nicht verpassen. Wir machen einen kleinen Spaziergang durch den mittelalterlichen Ort, mit seinen schiefen klobigen Steinhäusern, plätschernden Bächlein in den Straßengräben, den klagenden Rufen der Kühe, den schüchternen Kälbchen und nervös hin und her laufenden Hühnern, den interessiert hinter uns her blickenden Hutzelweibchen mit ewig lang geflochtenen Zöpfen, dicken Röcken und klobigen Ketten um den Hals, mit “Yak Donald’s” und einer German Bakery und hin und wieder einem Traktor vollbeladen mit Getreidesäcken. Nur den Doktor, den “Health Post”, nach dem wir eigentlich Ausschau halten, finden wir nicht. Muss Christian sich noch bis morgen in Jomson gedulden und weiterhin brav Diät halten, damit er keine Bauchschmerzen bekommt.

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Schon verführerisch. Wenn nur der blöde Bauchschmerz nicht wär…

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Der Arme, ein bisschen unterproportioniert!

Zum Abendessen werden wir nach unten in den gemütlichen und liebevoll eingerichteten Aufenthaltsraum gerufen. Inspiriert durch die häusliche Architektur unserer Unterkunft, versucht sich Christian an Entwürfen für sein Traumhaus und wir wärmen uns unsere Füße an dem kleinen Ofen, dessen Kohlen unterm Tisch wieder Wärme spendend vor sich hin glühen.

Tag 14: Kagbeni – Marpha

Was für eine erholsame Nacht. Ich schlafe so gut, dass ich bereits um kurz nach fünf hellwach bin und mich freue noch ein bisschen im Bett rumliegen zu können. Auch ohne Vorbestellung steht das Frühstück nach wenigen Minuten auf dem Tisch, um acht Uhr geht’s weiter.

Wir verlassen Kagbeni, das uns endlich mal wieder richtig gut gefallen hat, entlang der staubigen Sandstraße und dem Kali Gandaki Fluss, dem wir von nun an folgen. Um uns herum erheben sich die trockenen Berge und Hügel. In der Mitte des Tales breitet sich das hauptsächlich trockene Flussbett einige Kilometer weit aus, durch dessen Kieselsteingrund wir auf Jomson, die Stadt mit dem offiziellen Straßenbeginn und dem Flughafen, dem Endpunkt für viele Trekker, zu laufen. Mit zwei Achttausendern (Dhaulagiri, 8.167 m und Annapruna I, 8.091 m) zu beiden Seiten befinden wir uns hier – obwohl noch knapp drei Tausend Meter hoch – im tiefsten Tal der Welt.

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Die nächsten Tage folgen wir jetzt dem Kali Gandaki Fluss bis nach Tatopani.

Nach 2 1/2 Stunden sind wir bereits da und freuen uns aufs Mittagessen. Doch erst geht Christian zum Doktor ins Krankenhaus und bekommt in einer Sprechstunde alle Medikamente in die Hände gedrückt, die zur Behandlung einer Magenschleimhautentzündung oder einer bakteriellen Darmerkrankung in Betracht kommen, da der Arzt weder das eine noch das andere ausschließen kann. Ausgestattet mit vier verschiedenen Tabletten und dem Ratschlag weiterhin Diät zu halten (nichts frittiertes, nichts scharfes, nichts süßes, keine Milch und keine Eier) können wir dann endlich zu Mittag essen (demnach gibt’s für Christian wieder köstlichen Reis mit herrlich gekochtem Gemüse, dazu Salz und Pfeffer). Nach der Stärkung geht es dann endlich Richtung Marpha (2.670 m), wo laut Lonely Planet die luxuriösesten Unterkünfte der ganzen Annapurna Runde auf uns warten. Wir haben auch eine Empfehlung für das Paradise Hotel bekommen und können es kaum erwarten wieder in eine gemütliche und komfortable Unterkunft ein zu checken.

Doch erst müssen wir durch den Sturm. Der Wind bläst uns orkanartig Staub und Sand ins Gesicht, der sich in unseren Mund- und Augenwinkeln absetzt und zwischen den Zähnen knirscht. Ja, ab 11 Uhr soll hier im Kali Gandaki Tal ein starker Wind fegen. Uns fegt er fast von den Füßen oder weht uns an den Straßenrand. Dass sich so ein heftiger Wind innerhalb so kurzer Zeit entwickelt haben wir noch nie erlebt. Wir stemmen uns im spitzen Winkel gegen die tosenden Böen und drehen uns weg wenn wir durch zugekniffene Augen eine Wand aus Sand auf uns zurasen sehen. Der Weg kommt uns im Getöse unglaublich lang und furchtbar anstrengend vor, wir brauchen jedoch nur eine gute Stunde bis der kleine altertümliche Ort Marpha (2.670 m) endlich hinter einem Bergvorsprung auftaucht. Wir biegen ab, um durch das Eingangstor in den Ort zu gelangen und der Wind erstirbt so plötzlich wie er uns umgehauen hat.

Die kleinen mit Steinplatten gefliesten Gassen mit den Souvenirläden und Restaurants erinnern mich ein wenig an ein ruhiges, verlassenes Tallin. Das Paradise Hotel macht auch gleich einen guten Eindruck. Wir bekommen ein sauberes Doppelzimmer mit dampfend heißer Dusche im eigenen Bad und machen das was uns beim Wandern am meisten Spaß macht (nicht ganz, aber nach Gipfel und Pässe erklimmen und tolle Aussichten genießen kommt es bestimmt): Tee trinken, Lesen, Schreiben, Apfelkuchen naschen und Popcorn knabbern.

Aber es ist noch früh und so raffen wir uns dann doch noch mal aus den gemütlichen Polstersesseln, in denen wir es uns so schön bequem gemacht haben, auf und streifen die Hauptstraße rauf und runter durch den Ort. In den kleinen Souvenirläden schaue ich mir überall den gleichen Schmuck an und im Yak Book Store tauscht Christian “Die Frauen” von T.C. Boyle gegen John Grisham’s “The Associate“. Dann bleiben wir an einem Schaufenster hängen in dem lecker aussehende Apfel- und Schokokuchen, sowie Zimtschnecken und andere Teilchen uns anlocken. Wir gehen hinein, nur mal gucken. Ich benutze die Toilette, dann habe ich mich schon entschieden: Für ein weiteres Stück Apfelkuchen und eine Tasse Milchkaffee – nach deren Preis zu urteilen wird es wahrscheinlich eine Fertigmischung sein, aber egal. Zum Kuchen gehört nun mal Kaffee. Im Café sitzt noch eine weitere Person, das blonde Mädel mit dem Mountainbike Outfit, das ich für eine Russin gehalten hatte als wir sie mit ihren zwei Freunden in Muktinath das erste Mal getroffen hatten. Sie erklärt sie sei zu müde und hungrig um noch ne Runde mit den Jungs zu radeln. Eine Gruppe Hippies – zwei Mädels mit mehrfach gepiercten Nasen und Lippen, Fokuhilas und Dreads und ein Typ im ähnlichen Outfit – kommt in die Bäckerei als ich mich mit der Russin unterhalte, die sich als Bulgarin herausstellt. Als die Sprache auf unsere Reise kommt mischt sich die eine der drei Schluffis am Nebentisch ein “Cool! Sounds like a cool journey!” Das Gespräch schwenkt über zu ihr und sie erklärt in starkem schweizer Dialekt, dass sie auf der Annapurna Runde seien. Sie kommt aus Sankt Gallen. In der Zwischenzeit kommen die anderen zwei Jungs mit ihren Mountainbikes an und setzen sich auf Bulgarisch laut schwatzend an den Tisch ihrer Reisepartnerin. Durch die Glastür erkenne ich plötzlich eine bekannte Gestalt. Ich springe auf und stecke den Kopf raus, es sind unsere zwei Amis, die wir im schönen Hostel in Kagbeni kennengelernt hatten. Sie sind so überrascht wie wir und setzen sich gleich zu uns. Das Café ist mittlerweile voll, alle reden laut an ihren Tischen oder über die Tische hinweg und Adrienne und Daniel (so heißen die zwei) bestellen sich erst mal einen Apple Brandy verdünnt mit heißem Wasser. Wieder quatschen wir stundenlang, es ist auch so gemütlich und die Zeit fliegt nur so an uns vorbei. Um sechs müssen die zwei zum Bus und wir zum Abendessen. Im Paradise Hotel angekommen, gesellen wir uns zu einer Gruppe Wanderer, die an dem großen Kohle beheizten Tisch sitzt. Unser Holländer – den wir in Muktinath auf der Sonnenterrasse und dann wieder in Kagbeni im Shangri-La getroffen haben und der es leider nicht geschafft hat an einem Tag von der anderen Seite aus bis auf den Thorung La Pass zu steigen – ist auch dabei. Außerdem zwei Slowaken, von denen der eine gleich neidvoll Christians neuen John Grisham Roman in Augenschein nimmt, und zwei US Amerikaner, den einen kennen wir vom Tilicho Lake Trek, er war uns entgegen gekommen und wollte den Trek ohne Übernachtung am Basecamp hinbekommen – und hat’s auch geschafft. Der andere Ami ist bereits im mittleren Alter, dafür aber voller Geschichten von seiner Zeit als 17-Jähriger Gastschüler in Köln und den damit verbundenen Glühweinerfahrungen. Es wird viel gelacht und wir vergleichen Weihnachtstraditionen unserer Länder. Morgen ist Nikolaus.

Tag 15: Marpha – Kalopani

Nach dem Aufwachen aus einem wunderbar erholsamen Schlaf, schleiche ich zum Zimmer des Holländers und lege ihm ein symbolisches Snickers auf die Türschwelle – er hatte am Vorabend so rührend und mit nostalgischem Blick von Santa Klaus erzählt, der in Holland aus Spanien kommt, begleitet von dem dunkelhäutigen Helfer “Schwarze Peter”, vor dem man sich in Acht nehmen muss wenn man morgens seine Geschenke reinholt.

Bevor er aufsteht sind wir jedoch bereits unterwegs, im Gepäck ein paar Tipp von seinem Guide für gute Lodges unterwegs. Zunächst geht es wieder am breiten Flussbett entlang, durch das schattige Tal.

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Tukuche Peak (6.920 m).

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Dann laufen wir durch den schönen kleine Ort Tukuche, in dem wir von einem stolzen Gockel beäugt werden.

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Wir schauen zurück auf die Nilgiri Gipfel (alle um die 7.000 Meter).

In Larjung essen wir unser kleines Mittagessen, folgen dem Knick des Tals, überqueren das kilometerbreite kieselsteinige Flussbett, das sich endlich zusammen zieht und den gemächlichen Strom in einen reißenden Fluss verwandelt, und erreichen schließlich um kurz nach eins die Kalopani Lodge, die uns am Morgen empfohlen wurde. Wir bekommen ein absolutes Luxuszimmer, mit rotem Hotelteppich, einer Leseecke bestehend aus zwei komfortablen Sesseln und einem Tischchen und einem eigenen riesigen rosa gekachelten Badezimmer mit heißer Dusche und “Western Toilette” zum Sitzen.

Im Nebengebäude befindet sich der absolut moderne, wenn auch dadurch etwas steril-kühle, “Annapurna Coffee Shop”, in dem wir es uns zwischen westlichen Einrichtungsgegenständen versuchen bequem zu machen.

Zum Abendessen probiere ich mal was Neues aus. Ich habe die Vegi Burger, Vegetable Curry Rice und Dal Bhat Gerichte langsam satt und suche mir eine indische Spezialität bestehend aus marinierten Kartoffeln und Minzsoße aus. Vor dem Abendessen vertilgen wir jedoch noch hungrig zwei Portionen Popcorn und ein Stück Apfelkuchen. Leider alles nicht so lecker wie der moderne Stil des Gebäudes erwarten lässt. Die Kartoffeln sind rot angebraten, anscheinend mariniert in einer Soße aus rotem Chili, Joghurt, Ingwer und Knoblauch. Die Minzsoße dazu ist ebenfalls scharf aber auch sehr lecker. Obwohl mir der Kellner vorher gesagt hatte die Portion sei eher ein Snack und allein zu wenig, kämpfe ich – vielleicht wegen all der kleinen Zwischenmahlzeiten vorher – mit den letzten kleinen scharfen Kartöffelchen. Christian will nach gekochtem Gemüse und Toast noch mehr und bestellt einen Reispudding. Seit wir entdeckt haben dass Reispudding = Milchreis ist, bestellen wir täglich mindestens einen. Meistens handelt es sich dabei um eine leichte Variation der uns bekannten klassischen Variante (Milchreis mit Zimt-Zucker). Dieser ist besonders lecker mit Mandelstückchen und Rosinen gekocht und mit Nelken, Kardamom, Zimt und Zucker gewürzt. Ein Genuss! Nach wenigen Löffeln habe ich plötzlich das Gefühl richtig satt zu sein. So satt, dass ich keinen weiteren Löffel mehr essen kann auch wenn’s der allerletzte wär. Ich bin mitten im Satz in meinem Buch als das pappsatt Gefühl plötzlich in ein anderes Gefühl umschlägt. Ich merke wie mir alle Farbe aus dem Gesicht weicht, alles Blut verlässt meine obere Körperhälfte und konzentriert sich auf meinen Magen, was ist los? Mein Mund wird trocken, die Umgebung um mich herum verändert sich, mir wird ganz unwirklich zu Mute. Wie in Trance drehe ich mich zu Christian um, sage ihm, dass ich mich ganz seltsam fühle, vielleicht ist mir schlecht, vielleicht muss ich mich übergeben, er schaut mir nur verdattert nach, da torkele ich auch schon blind und taub aus dem hell erleuchteten Essensraum. Ich trete nach draußen, halte mich an der Türklinke fest und sacke benommen zusammen. Seitlich auf den zwei Stufen vor der Tür liegend atme ich schnell ein und aus, ich hyperventiliere, wird mir bewusst. Was ist bloß los mit mir, vor ein paar Sekunden war doch noch alles ganz normal. Vor meinem inneren Auge erscheint mir unsere saubere Toilette, ich muss mich übergeben, dann ist alles wieder gut, höre ich mich innerlich sagen. Ich raffe mich auf, laufe schwankend über die Steinplatten, sehe alles nur schemenhaft, als würde ich träumen, mein Atem geht immer noch panisch hektisch. Ich muss nach rechts abbiegen und durch den Schlafraum der Sherpas. Kaum überschreite ich die Schwelle, stürze ich unkontrolliert auf den Boden und finde mich keuchend auf allen Vieren wieder. Im Raum neben mir sitzt jemand auf einem Drehstuhl, die Tür ist offen, er ist nur knapp einen Meter von mir entfernt. Ich hechele ein erschöpftes “Sorry”, dann raffe ich mich wieder auf, komme schwach wieder auf meine Füße und setze unsicher wieder einen Fuß vor den anderen. Meine Hände suchen zu den Seiten nach Halt, mein Herz klopft laut in meinem Kopf, mein schneller Atem dröhnt in meinen Ohren, jetzt nur noch die Steinstufen nach unten. Ich kann mich nicht mehr erinnern wie ich sie in der Dunkelheit und der Umnebelung meiner Sinne hinabgestiegen bin ohne erneut zu fallen. Auch wie ich es hinbekommen habe das Vorhängeschloss vor unser Tür aufzuschließen und den Riegel zur Seite zu schieben weiß ich nicht mehr. Das Zimmer ist stockdunkel, damit habe ich nicht gerechnet. Ich wanke erst nach rechts, taste nach dem Lichtschalter, doch als meine Hand nichts ertasten kann und ich mich gerade nach links wenden will, verlässt mich erneut alle Kraft in den Beinen und ich stürze, den einen der beiden Lesesessel mitreißend auf den Teppichboden. Dort liege ich einige Sekunden, unfähig mich zu bewegen, halb bewusstlos, halb träumend – bin ich vergiftet worden? Ich komme mir vor wie James Bond in Casino Royal, nur weh tut mir nichts. Christian kommt rein, er macht das Licht an und sieht mich rücklings hinterm Bett liegen. Erstarrt schaut er mich an: “Oh Gott! Was ist los?” Das ist mein Stichwort. Ich rolle mich zur Seite, stütze mich auf, kann gar nicht klar sprechen und fasele nur etwas von food poisoning, eine Hitzewelle rollt durch meinen Körper und ich entledige mich energisch meiner vielen Fleece- und Daunenjacken: “Boah, is mir heiß! Hast Du Wasser?”, mein Mund ist immer noch wie ausgetrocknet. Dann stehe ich schon wieder überrascht sicher auf beiden Beinen und begebe mich wie geplant auf Toilette. Christian geht zurück das Wasser holen. Nach brechen ist mir nicht, also gehe ich einfach mal vorsorglich aufs Klo. Ich zittere, mein Atem auch, aber ich hyperventiliere nicht mehr. Ich wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser und lege mich aufs Bett, Christian gibt mir Wasser. Ich bin ganz aufgeregt, fühle mich immer noch unwirklich, als hätte ich irgendwelche Drogen genommen, erkläre ich dem besorgten Christian. Meine Hände kribbeln und ich fühle mich schwach, sonst ist alles wieder beim Alten. Wow! Was war das?! Ich habe das Gefühl geträumt zu haben, als wäre ich in einem Film gewesen, kann mich an meinen Weg durchs Dunkel nur schwach erinnern, einige Momente sind vollkommen weg. Ich beschließe, dass das scharfe Essen Schuld war, das meine Verdauung kurzzeitig mehr Blut verlangt hat als ich leisten konnte und ich deshalb kurz vorm Blackout war. Meine Knie schmerzen ein wenig von den Stürzen, aber alles halb so schlimm. Mit dem Buch mache ich es mir im Bett bequem. Um 20 Uhr überkommt mich eine ungeheuerliche Müdigkeit, so angenehm erschöpft, dass ich gleich laut gähnend einschlafe.

Tag 16: Kalopani – Ghasa

Huch! Schon viertel vor Sieben! Ohne einmal aufzuwachen hab ich die Nacht felsenfest geschlafen. Schnell, schnell aufstehen und in den kalten Essenssaal unser Frühstück einnehmen. Um kurz nach acht laufen wir los. Erst durch einen Nadelwald, dessen weich gepolsterter Boden unsere Schritte dämpft. Dann zwischen Steinmäuerchen entlang und über eine Hängebrücke.

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Die grüne Umgebung tut gut.

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Hinter uns lassen wir das Manapathi Himal und den Tukuche Peak zurück.

Der Wanderweg verlässt wieder die Straße und schlängelt sich den Hang hinauf. Spinnenweben glitzern in der Sonne und kitzeln mich im Gesicht. Wir sind wieder im dichten Dschungel, umgeben von Fichten, Farnen und Bambus. Unten rauscht der Fluss.

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Gegenüber blicken wir auf die felsigen Spitzen der Berge.

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In der Luft liegt ein Dunst.

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Diese hässliche Weggefährtin jagt mir einen riesigen Schrecken ein.

Es ist warm und wir kehren zur Straße zurück. Nach gut 2 1/2 Stunden erreichen wir Ghasa (2.010 m). Wir suchen uns ein nettes Restaurant am Eingang des Ortes und bekommen unser Mittagessen auf die Dachterrasse gebracht. Nach einer Stunde geht es weiter durch den süßen Ort, an dessen Wegesrand sich die typischen Alltagsszenen nepalesischer Dörfer abspielen: Frauen schrubben und wringen Wäsche an Steinbrunnen, sortieren Mais und anderes Getreide, Männer schwatzen, aus einer Hütte qualmt es blau, Hühner scharren und picken im trockenen Boden, Küken laufen hektisch zart piepsend durch die Gegend und Kühe kauen mit läutender Glocke um ihren Hals genüsslich Heu und Gras.

Dann kommen wir plötzlich an einer total gemütlich aussehenden Lodge vorbei und entschließen uns kurzfristig einfach da zu bleiben. Eigentlich ist unser Tagesziel noch vier Stunden entfernt, aber hier ist es so schön und wir sind so träge.. Leider ist die Dusche im super sauberen Bad erst kalt und dann zu heiß um sich wirklich duschen zu können, aber das ist ja nach dem kurzen Tag auch nicht so wichtig. Dafür ist das Bett sauber und die Matratzen sind dick und super weich. Zwischen Baumtomaten und bunten Blumen setzen wir uns in den Innenhof in die warme Mittagssonne.

Tag 17: Ghasa – Tatopani

In unseren Luxusbetten schlafen wir hervorragend. Meine erste Nacht ohne Daunenjacke und Fleece! Dann geht’s wie gewohnt weiter. Schnell wird es richtig warm und wir müssen – um die blöde Straße zu vermeiden – immer wieder in den vibrierenden Dschungel aufsteigen, in der feuchten Luft kommen wir schnell ins Schwitzen.

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Endlich kommen wir auch den Menschen und ihrem einfachen Leben wieder näher.

Auf dem Weg nach oben kommt uns ein kleines Mädchen in typischer Schuluniform entgegen: Blauer Faltenrock, weiße Bluse, blaue Jacke und Zöpfe. Ungewöhnlich ist die blau-rot gestreifte Krawatte, die sie dazu trägt und die ihr eindeutig zu lang ist. Oben auf einem moosbewachsenen Felsbrocken steht eine hutzelige alte Dame im traditionellen langen Rock aus festem olivgrünen Stoff, darüber eine maisgelbe Schürze, ein Langarmshirt in verwaschen-schmuddeligem Rosa und ein gemustertes Tuch, das locker über Kopf und Schultern hängt, einem weiteren festen stark gemusterten Tuch als Gürtel und dem obligatorischen Schmuck: Goldene Nasenringe, billige Armreifen, Goldringe und klobige Ketten um den Hals. Sie ruft dem Mädchen, das wir für ihre Enkelin (oder Urenkelin?) halten, noch ein paar Worte hinterher, doch die springt schon flinkfüßig Richtung Tal davon. Dann dreht auch die Alte sich wieder um und steigt mit nackten hornigen Füßen den steinigen Pfad hinauf zurück ins Dorf. Ihr Schritt ist langsam aber stetig. Sie lächelt uns tief durchatmend an, als wir sie überholen. Die alten Leute in den Bergen sind erstaunlich mobil, bemerkt Christian. Einen Rollstuhl haben wir hier noch nicht gesehen. Er wär wohl auch unbrauchbar…

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Wieder ein Wasserfall.

Dann hören wir es in den Bäumen rascheln und beobachten eine Gruppe zotteliger Affen, die sich an den Blättern und Früchten bedienen.

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So ein Affenleben!

Nach knapp drei Stunden erreichen wir Dana, wo wir zu Mittag essen. Bis nach Tatopani sind es angeblich noch 1 1/2 Stunden. Wir folgen den seltenen Wegmarkierungen und steigen wieder steil auf, dabei sollte es doch weiter bergab gehen.

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Wir durchqueren futzi kleine Dörfchen.

Irgendwie steigen wir ganz schön lange auf und wir haben auch schon lange keine rot-weiße Markierung mehr gesehen.

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Aber müssen wir nicht eigentlich am Fluss entlang…?

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Die Aussicht ist jedenfalls super: Auf Annapurna South (7.219 m).

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Als wir ein gemütliches kleines Bergdörfchen erreichen, in dem die Menschen gesellig zusammen sitzen, sich die Haare flechten, mit den Kindern spielen oder laut erzählen, haben wir das Gefühl von den Bewohnern aus- statt angelacht zu werden. Wir fühlen uns komisch und unser Verdacht bestätigt sich: Wir haben uns verlaufen. Zum Glück ist es ja nicht schwer zurück zum Weg zu finden, wir müssen einfach runter zum Fluss. Also alles mühsam erklommene wieder hinunter – mittlerweile sind mehrere Schichten Schweiß über unsere Rücken geflossen und wieder getrocknet – bis wir eine Brücke erreichen.

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Es ist halb zwei, jetzt wollten wir eigentlich in Tatopani sein. Nun ja, ab hier also noch mal eine Stunde, teilen uns zwei Nepalesen mit, von denen der eine eine riesige Blattsäge trägt. Nach einer guten halben Stunde durch die ländliche Idylle taucht Tatopani (1.190 m) endlich im Dunst der Nachmittagssonne vor uns im Tal auf und eine weitere halbe Stunde später erreichen wir unsere Empfehlung, die Dhaulagiri Lodge. Das Zimmer ist leider weniger komfortabel, etwas dunkel und spartanisch, kostet dafür aber auch nur 100 Rs (statt 500 Rs, wie letzte Nacht). Aber der Apfelkuchen ist lecker und die Luft ist lau und wir sind froh für heute genug gelaufen zu sein.

Wir spazieren einmal durchs Dorf, tauschen ausgelesene Bücher gegen neue und stocken den Schokoriegel- und Keksvorrat wieder auf. Dann senkt sich der Abend über Tatopani und bringt den Gipfel des Bharha Chuli (7.647 m) zum Glühen. Fledermäuse jagen durch den Orangenbaumgarten, unweit rauscht der Fluss. Als es kühl wird ziehen wir nach drinnen. Obwohl wir hier auf dem tiefsten Punkt unser Wanderung sind – abgesehen von Start- und Endpunkt – wird es ein wenig frisch, in der Hütte reichen unsere Schlafsäcke jedoch vollkommen.

Tag 18: Tatopani – Chitre

Als wir nach einer gemütlichen Nacht fast zu spät erwachen (Flussrauschen ist einfach ein sicheres Mittel für erholsamen Tiefschlaf), stellen wir fest: Heute geht’s wieder bergauf! Von Tatopani nach Chitre sind es knapp 1.200 Höhenmeter nach oben. Und: Ab heute verlassen wir endlich wieder die Straße! Denn auf dem Weg, den wir jetzt einschlagen, biegen wir von der nervigen Staubstraße ab, der wir seit Muktinath gefolgt sind. Wir freuen uns endlich wieder durch die unberührte Natur zu laufen, ohne Fanfarenhupe und Staubwolken.

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Jetzt geht’s wieder nach oben!

So wird es dann auch, fast, denn die Straße begleitet uns weiterhin. Wenn auch rudimentärer und weniger staubig, sie ähnelt eher einer Schlammstraße. Zum Glück leiten uns orangene Punkt und Pfeile immer wieder ab von der matschigen Schneise, deren Sinn sich uns nicht ganz erschließen will; denn wir sehen motorisierte Fahrzeuge weder auf der Straße noch in den Dörfern, die wir auf unserem Weg steil hinauf in den Dschungel durchqueren.

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Der Pfad schlängelt sich in engen Serpentinen, über Steinstufen, Felsbrocken, Baumstammbrücken, schattige Waldwege und durch in der feuchten Hitze sirrende Reisterrassen.

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Immer wieder durchqueren wir idyllische Dörfer, die uns wie das Paradies vorkommen. Die Menschen hier leben in einfachen Lehm- und Steinhäusern, das Wasser sprudelt von den Hängen in klaren Bächen hinab und Strom gibt es anscheinend auch, da wir von Strommasten immer begleitet werden. Die Natur ist wunderschön.

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Überall wachsen farbenfrohe Blumen in Orange, Rot, Lila. Bananenstauden hängen schwer über den Weg und in den Gärten wachsen üppige Orangenbäume, deren Früchte prall und rund in der Sonne leuchten. Jeder Haushalt verfügt über ein bisschen Vieh: Ein paar Hühner und einen Hahn, der sich mit den anderen Hähnen im Ort und im Nachbarort im Krähen misst, ein paar Ziegen mit ihren verzweifelt rufenden Zicklein, eine Kuhfamilie, das Brüllen des Bullen bringt die Luft zum Zittern, und vielleicht noch ein Pferd, auf dessen geschundenen Rücken alle möglichen Güter (Säcke voll Getreide, hektisch gackernde Hühner in Käfigen, riesige Holzklötze) die steilen Pfade auf und ab transportiert werden.

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In den Gemüsegärten wächst alles schnell und üppig: Salat, Kohl, Kräuter, Gemüse. Die Menschen sehen zufrieden aus, auch wenn sie sicherlich sehr arm sind. Wie es ihnen wirklich geht können wir nicht wissen. Die alten Leute sind meist sehr dünn, klapprig mager könnte man sagen. Sie sitzen mit nackten, schwarzen Füßen, die schon etwas hufartiges haben, vor ihren Häuschen in der Sonne und sortieren gedankenverloren Getreidekörner. Die Frauen haben erstaunlich häufig noch glänzend schwarzes Haar, das ihnen bis auf die schmalen Hüften fällt und das sie sorgsam kämmen und von ihren Töchtern oder Enkelinnen in einen langen Zopf geflochten bekommen. Die Kinder sind unterschiedlich gut genährt. Manche kommen uns mit dicken geröteten Backen und glänzenden Augen in ihren Schuluniformen entgegen, legen routiniert ihre Hände aneinander und grüßen höflich. Andere haben stumpf-verfilztes Haar und sehen uns bettelnd an, fragen nach “school pen”, “sweets”, “photo” oder “money”. Statt zur Schule zu gehen, wollen sie uns Orangen verkaufen und verfolgen uns auf nackten Füßen und in dreckigen löchrigen Kleidchen minutenlang, bis wir deutlich genug “No!” und “Goodbye!” gesagt haben und sie es aufgeben. Am besten sehen natürlich die Männer aus. Aber häufig auch die Frauen im gebärfähigen Alter. sie sind gut genährt, sauber und häufig – trotz der ständigen Schufterei – gut gelaunt.

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So viele Eindrücke, die gleichzeitig auf uns einwirken und sich so schwer in Worte fassen lassen. Eine Frau, die mit einem Stück Strauch eine Kuh abwechselnd lockt und schlägt, weder wir noch die arme Kuh wissen was sie von dem verwirrten Tier will. Eine alte Frau, die einen kleinen Jungen auf dem Arm hält, ihn zu uns dreht und ihm “Namaste! Namaste!” vorsagt. Vier Frauen unterschiedlichen Alters, die zusammen sitzen, sich gegenseitig lausen. Ein alter Greis, der scheinbar zahnlos mit herunter gezogenen Mundwinkeln und tiefen Furchen im Gesicht vor seiner mickrigen windschiefen Steinhütte im Schneidersitz sitzt und uns murmelnd mit trüben Augen hinterher blickt. Zwei Jungs, die Fangen spielen und uns kreischend und mit laufenden Nasen keines Blickes würdigen…

Es gibt tausend solcher kurzen minimalen Begegnungen und ich wünschte, ich könnte länger verweilen und die Geschichten der Menschen, ihre Gesichter und ihr Leben festhalten. Ich wünschte, ich wüsste mehr über sie.

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Die Luft wird zum Nachmittag glücklicherweise lauer. Sie ist erfüllt vom Krähen der Hähne – jeder Hahn hat eine individuelle Stimme und damit einen ganz eigenen Ruf – dem Stöhnen der Kühe, dem Jammern der Ziegen und dem kehligen Gurgeln einer Krähe, die mit aufgeplustertem Kopf in einem Baum sitzt. Auf den stilleren Waldwegen, außerhalb der Orte, lauschen wir dem sanften Zwitschern der kleineren Vögel und dem Gluckern der Bäche. Wir sehen Schmetterlinge und ihre Vorfahren, die Raupen, die unseren Weg mit rundem Rücken kreuzen.

Am Nachmittag erreichen wir Chitre (2.390) und unsere Lodge, von der aus wir eine wunderbare Aussicht auf die fernen hohen Berge hätten, hätten sie sich nicht im Laufe des Mittags in weiße Wolken gehüllt.

Einen Vorteil haben große Gruppen: Eine 14-köpfige Mischung aus Japanern und Indern sorgt in unserer Lodge dafür, dass der Aufenthaltsraum gut geheizt wird.

Tag 19: Chitre – Tikhedunga

Die gehorsamen Singapurianer (wie sich herausstellt) stehen alle schon um fünf Uhr auf, obwohl sie nicht vor viertel vor sieben ihr Frühstück bekommen. Leider ist es, wie wir bereits auf unseren Zugreisen durch China feststellen konnten, in der chinesischen Sprache (der Großteil der Gruppe hat einen chinesischen Hintergrund und spricht daher Chinesisch) nicht möglich zu flüstern. Bei Wänden so dick wie Sperrholzplatten bleibt uns nichts anderes übrig als den frühmorgendlichen lautstark geführten Unterhaltungen in den Nachbarzimmern zu folgen und uns vergeblich von einem Ohr aufs andere zu wälzen. Am Vorabend haben wir mitbekommen wie den “Officers”, wie die eindeutig nicht militärisch mit einander verbundenen Leutchen sich gegenseitig ansprechen, in einer ernsthaften Ansprache die Route für den nächsten Tag mitgeteilt wurde. Das Ziel der “Mission” – dabei geht es irgendwie um den sicheren Transport von Salz und Pfeffer (??) – ist Tatopani. Die gleiche Strecke, die wir an einem Tag zurück gelegt haben, nur bergab statt bergauf, warum also so früh aufbrechen? Aber gut, so sind auch wir heute ein wenig früher dran und können noch den roten Sonnaufgang am Dhaulagirie (8.172 m) beobachten.

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Das Dhaulagiri-Massiv.

Die Gruppe sitzt schon munter und gesellig beim Frühstück und wir erfahren, dass es sich um ein Leadership Training handelt, das eine Firma für ihre Mitarbeiter ausrichtet. Uns fallen die albernen Tropenhüte auf, die alle gleichsam tragen. Als sie sich vom Frühstückstisch erheben, haben alle die “Rinde” ihrer Toasts liegen gelassen.

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Pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen geht es los.

Die “Officers” biegen nach rechts ab – bergab – wir nach links – weiter bergauf. Ein Tropenhut bleibt zurück. Heute geht es nach Ghorepani (2.860 m), nur 1 1/2 Stunden entfernt. Doch von dort aus wollen wir den Poon Hill (3.193 m) besteigen und danach in Ghorepani übernachten. Nach einer Stunde sind wir bereits da und schauen besorgt in aufziehende Wolken. Ob es sich überhaupt lohnt bei dem Wetter auf einen Aussichtspunkt zu steigen? Wir kehren erst mal in die Lodge ein, die uns empfohlen wurde, und wärmen uns am Holzofen. Dann entschließen wir uns doch aufzusteigen. Zwischendurch haben die vorbeifliegenden Wolken immer wieder blaue Löcher und wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück. Wir lassen unsere Taschen in der Lodge und sind eine halbe Stunde später schon oben.

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Aussichtspunkt Poon Hill (3.193 m).

Leider zeigen sich nur Annapurna South (7.219 m) und Annapurna I (8.091 m) gelegentlich in den Wolkenlöchern und wir müssen auf das Annapurna-Dhaulagiri-Panorama verzichten.

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Annapurna South.

Zurück in Ghorepani, beschließen wir am gleichen Tag noch nach Tikhedunga (1.540 m) abzusteigen, was eigentlich erst für den nächsten Tag geplant war, aber es zieht uns ins Tal, wo es wärmer ist und näher an Pokhara. So langsam reicht es mir nämlich mit dem Wandern: Jeden Tag mit der Sonne aufstehen, Klamotten packen, immer die gleiche kalte Routine, dann drei bis vier Stunden Wandern, Mittag essen (eigentlich immer das gleiche), wieder ein paar Stunden Laufen, Schwitzen, Trocknen, Schwitzen, Frieren, dann Lodge suchen, Duschen (wenn möglich warm, ansonsten eben nicht), Lesen, Kuchen, Popcorn (der angenehmste Teil des Tages!), Abendessen (auch immer das gleiche), Lesen, kalt, Bett, Lesen, Schlafen. Nach zweieinhalb Wochen hängt mir das langsam zum Hals raus. Ich will endlich Ausschlafen, lange Frühstücken, Spazieren gehen, Shoppen, Trödeln, WARM! Vor allem WARM! Deswegen zieht es mich nach Pokhara… Also weiter Absteigen und einen Tag gewinnen. Erst ist es noch ganz angenehm durch den Rhododendronwald und ein Dorf, in dem wir den Namen Ulleri lesen und davon ausgehen, dass wir bald in Tikhedunga sind.

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Wieder Mitten durch den Dschungel.

Nach einer weiteren Stunde Abstieg brauchen unsere Beine und Füße bereits eine Pause und wir finden uns in einem Ort mit dem Namen Ban Thanti wieder. Auf der Karte liegt Ban Thanti jedoch vor Ulleri, nicht dahinter und wir finden noch einen anderen Ort mit dem gleichen Namen, der jedoch ganz woanders liegt als wir eigentlich hin wollen. Sind wir etwa falsch abgebogen?! Irritiert halten wir zwei jungen Frauen unsere Karte unter die Nasen und finden heraus, dass wir zumindest auf dem richtigen Weg sind, jedoch noch lange nicht so weit wie wir gehofft hatten. Um halb zwei haben wir aber mittlerweile Hunger und lassen uns zum Mittagessen nieder. Danach haben wir noch mal eine Stunde vor uns, noch mal 680 Meter nach unter, über 3.280 Steinstufen, wie es auf unser Karte eingezeichnet ist, quasi steil nach unten. Die Füße tun sowieso schon weh, jetzt sind auch die Knie dran. Wir durchqueren Ulleri, diesmal tatsächlich, lassen uns von einem Stein auf den nächsten fallen. Kühe und Pferde stehen entspannt am Hang und genießen ihre Freizeit – für die Kühe eine Alltäglichkeit, für die Pferde eine Besonderheit – wir schlängeln uns Schritt für Schritt um sie herum. Der Trek sollte “Knie-Operation-Trek” (kurz: KOT) heißen, meine Kniegelenke knarzen, meine Fußwurzeln brennen bei jedem Schritt. Die letzten paar Hundert Höhenmeter schließen wir uns einer kleinen Gruppe von fünf Frauen an, die quatschend und gestikulierend das gleiche Tempo haben wie wir. Die älteste der fünf geht ganz am Ende, sie ist die einzige, die einen Stock benutzt, einen ähnlichen wie ich. Sie trägt, genau wie die andere etwas ältere Frau, einen Rock, der aus einem großen bunt gemusterten Tuch um ihre schmalen Hüften gewickelt ist. Die drei jüngeren Frauen tragen Pluderhosen in türkis, maisgelb oder matschgrün. Dazu tragen alle Langarmshirts in irgendeiner anderen knalligen Farbe. Sie sind reich geschmückt in Gold mit Ohrringen, Nasenpiercings, Ketten und Ehering. Alle fünf tragen die langen schwarzen Haare zu einem niedrigen Dutt aufgedreht. An den Füßen haben sie leichtes Schuhwerk: Gummischlappen oder Hausschuhe. In Tikhedunga trennen sich unsere Wege.

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Endlich angekommen!

Wir sind unendlich erleichtert als wir endlich unsere Unterkunft finden, ein nettes sauberes Zimmer bekommen, den einschläfernd rauschenden Fluss im Rücken, warm Duschen können und uns zum “Nachmittagskaffee” in den Aufenthaltsraum zurückziehen können. Dort lernen wir gleich Adam, einen neuseeländischen Banker, der in Singapur arbeitet, kennen, mit dem wir uns den Rest des Nachmittags und Abends über Trekking, Nepal und Banking (den Teil übernimmt zum Glück Christian) unterhalten.

Tag 20: Tikhedunga – Pokhara

Ganz beschwingt erwache ich schon früh: Heute geht’s zurück in die Stadt! Zurück nach Pokhara, wo es warm ist, die Sonne scheint und – viel wichtiger – wir endlich wieder faul sei können! Wir verabschieden uns von Adam, der seinen geführten 10-Tages-Trek gerade erst beginnt, dann machen wir, das wir weg kommen. Wieder hinunter, der Straße folgend. Diesmal ist es uns egal, Hauptsache es geht schnell.

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Vom idyllischen Landleben müssen wir uns jedoch auch verabschieden.

Wir schauen uns noch ein paar Mal um zu den Hängen und den süßen Häuschen, denen wir jetzt endgültig den Rücken kehren. Es war auch schön, ganz bestimmt, vor allem das Leben der Menschen, in das ich einen winzig kleinen Eindruck gewinnen konnte, hat mich fasziniert und berührt.

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Bald erreichen wir Birethanti (1.050 m), unsere Schritte werden schneller, nur noch durch einen Check Point, wir bekommen unseren Exit Stempel, jetzt sind wir raus aus der Annapurna Runde. Auf dem letzten Stück kurz vor Nayapul werden wir immer wieder von Taxifahrern angequatscht, die uns nach Pokhara bringen wollen, aber wir wollen mit dem Bus fahren. Wir erreichen Nayapul und laufen den Gruppen frischer, sauberer, duftender Touristen entgegen. Oben am Hang hält ein Bus, der Busbegleiter springt raus, ruft uns fragend entgegen “Pokhara?”, Christian ist zuerst oben, ich lasse mir Zeit, bloß keinen Stress. Dann bin ich da, wohin mit meinem Stock, den brauche ich jetzt nicht mehr. Also drück ich ihn dem Bustypi in die Hand “This is for you” und steige ein. Die Nepali im Bus lächeln uns neugierig an. Wir quetschen uns mit unseren Rucksäcken in die letzte Reihe, der Bus fährt hupend und hüpfend los. Wir haben’s geschafft! Pokhara wir kommen!!

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