Die Nachtfahrt von Jaipur nach Udaipur wird kurz doch relativ erholsam. Diesmal haben wir die zwei Betten im Gang, von denen jedes seinen eigenen Vorhang hat. Natürlich ist das untere der beiden Betten bereits belegt, und zwar von einem übergewichtigen, alten Mann, der es nicht in sein Bett, eins der oberen im Abteil, geschafft hat. Also zieht Christian in das Bett des Mannes, ich kann hinterm Vorhang liegen und mich dort mehr oder weniger geschützt umziehen. Um kurz vor sechs werden wir durch Klopfen ans Bett geweckt, wir sind in Udaipur. Total müde packen wir so schnell wie möglich alle unsere Sachen zusammen, schlüpfen in unsere Schuhe und schnallen die Rucksäcke auf, denn der Zug steht bereits am Gleis und wird in unbestimmter Zeit weiter fahren. Wir springen in den stockdunklen Morgen aus dem Zug – geschafft! Auch diesmal werden wir wieder vom Pickup-Service des Hostels abgeholt, was für eine Erleichterung! Der Typ steht schon mit Christians Namen auf einem Blatt Papier am Ausgang und wir folgen ihm in seine Autorikscha. Die Straßen sind wie leergefegt, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Wir begegnen weder Menschen, noch Kühen, noch sehen wir besonders viel Müll. Unser Fahrer kurvt mit uns durch schmale Gässchen, die von kleinen Geschäften gesäumt sind, es geht rauf und runter, die Häuschen sehen alt und schief aus. Wir haben gleich einen schönen Eindruck von der Stadt und freuen uns darauf sie am Tag erkunden zu können. Doch erst hoffen wir, dass wir vielleicht noch ein paar Stunden schlafen können. Auf unser Zimmer können wir eigentlich nicht hoffen, denn das sollte noch belegt sein, trotzdem wollen wir uns nicht damit abfinden, dass die letzten 5-6 Stunden Schlaf im Zug alles für heute gewesen sein sollen. Wir erreichen einen steilen Hang, den wir nur noch zu Fuß erklimmen können. Der Rikschafahrer führt uns den steilen Weg hinauf bis wir endlich vor unserem Hostel stehen. Dort läutet er die Klingel und wenige Momente später wird uns vom Hostelbesitzer geöffnet. Alles ist dunkel und still. Wir werden eine Steintreppe nach oben geführt und stehen auf dem Dach des Hauses, auf dem sich auch das Restaurant befindet. Der Mann erklärt uns, dass unser Zimmer noch belegt sei und in uns steigt eine unangenehme Befürchtung auf, doch, er zeigt auf das hintere Ende der Dachterrasse, da steht ein Zelt! Er erklärt wir könnten im Zelt wohnen, bis um 11 Uhr unser Zimmer für uns fertig sei. Wir sind heilfroh! Der Mann duckt sich und verschwindet im Innern des Zeltes und knipst eine Lampe an. Wir folgen ihm und finden zu unserer Überraschung zwei richtige Betten mit Matratzen, Decken und Kissen. Daneben ein kleiner Abstelltisch. Damit hatten wir wirklich nicht gerechnet und wir fühlen uns mit einem Mal unglaublich erleichtert. Wir schmeißen unsere Sachen hin, mummeln uns in unsere Fleece-Jacken und Schlafsäcke ein (auf dem Dach ist es nämlich ein bisschen kühl) und fallen glücklich in ein paar Stunden höchst erholsamen Schlaf.

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Erster Morgen in Udaipur im Zelt: Sooo romantisch!!

Um halb zehn wird es zu heiß im Zelt. Ich befreie mich von Decken, Jacken und Schals und trete verschlafen aus dem Zelt. Draußen herrscht ein strahlend sonniger Tag. Auf den Plastikstühlen des Dachrestaurants frühstücken bereits zwei Paare. Alles ist so friedlich, ich höre keinen Stadtlärm, nur ein paar Kinder und das allgemeine leise Summen der Stadt. Die Terrasse bietet einen schönen Blick über die Dächer der Stadt, die vielen kleinen Gässchen kann ich von hier oben nur erahnen.

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Morgendliches Udaipur.

Nachdem es auch Christian in unserem romantischen Zufluchtsort zu warm geworden ist, wechseln wir in das Hostelrestaurant und frühstücken erst einmal. Um 11 Uhr ist unser Zimmer dann auch tatsächlich für uns bereit und wir ziehen nach unten in ein gemütliches Doppelzimmer mit sehr sauberem Badezimmer und gut riechender Bettwäsche. Wir sind froh endlich am Ziel zu sein, hier werden wir drei Tage bleiben und haben endlich mal wieder Zeit ein wenig faul zu sein. Das machen wir dann auch und kommen erst am frühen Nachmittag los.

Die Stadt ist tatsächlich sehr viel entspannter als andere Städte, die wir bisher bereist haben. Bei einem Süßigkeitengeschäft entdecken wir eine neue Lieblingssüßigkeit, eine Art gebackene Nuss-Milch-Sesam-Mischung mit Nussstückchen oben drauf. In den größeren Gassen ist natürlich immer noch was los. Rikschas schieben sich die Hänge rauf und runter, dazwischen schlängeln sich hupende Motorräder und alte knatternde Roller hindurch. Doch im Vergleich zu den großen vom Smog nebligen Straßen in Delhi, Agra oder Jaipur, fühlt sich die Innenstadt Udaipurs an wie ein verschlafenes Dorf.

Wir besuchen den Jagdish Tempel im Zentrum der Stadt und lauschen im Innern den Gesängen der Gläubigern.

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Frauen vorm Jagdish Tempel.

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Bei den Göttern geht es um Opfergaben, Blumen und: Die Augen!

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Die Seiten des Tempels sind wieder detailreich verziert.

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Wieder auf dem Weg runter auf die “Hauptstraße”.

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Nun wollen wir aber endlich den Pichola See sehn, der Udaipur so besonders macht und Udaipur zur Kulisse für den James Bond Film “Octopussy” gemacht hat.

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Langsam verstehen wir wie Udaipur zu ihrem Ruf kommt.

Über eine Fußgängerbrücke gelangen wir auf die andere Seite des Sees und bestaunen dort zunächst die luxuriösen Hotels.

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Tür zum See.

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Hotelinnenhof mit Pool und Pfauen.

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Dann finden wir endlich ein gemütliches Plätzchen direkt am Ufer mit Blick auf den Stadtpalast.

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Das Seeufer dient als öffentliches Bad. Im Hintergrund der Seepalast.

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Altes Häuschen in der Innenstadt.

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Und wieder ein kleiner Tempel.

Im Abendlicht nimmt dann langsam die entspannte Stimmung der Stadt von uns Besitz und wir können es nicht mehr abstreiten: Udaipur ist einfach zu romantisch!

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Einen perfekten Sonnenuntergang gibt’s dann natürlich auch noch.

Nachdem wir genug geschlendert haben, gehen wir im Queen Café traditionell Curry essen. Den restlichen Abend verbringen wir mit nicht so angenehmen Tätigkeiten: Rishi hatte uns versprochen, uns eine Unterkunft in Mumbai zu besorgen (immerhin kommt er aus Mumbai), leider hat er sich bisher jedoch noch nicht gemeldet und als wir ihn anrufen ist er noch genauso schlau wie zuvor. Wir bekommen ein wenig Panik als wir im Internet über Unterkünfte in Mumbai recherchieren: Alles ist unglaublich teuer (Durchschnittspreis fürs Doppelzimmer 20 €), hat dabei jedoch furchtbar schlechte Bewertungen (dreckig, Bettwanzen, laut, unfreundlich) und ist dann auch noch ausgebucht. Wir verzweifeln. Hätten wir uns früher drum gekümmert – und nicht (bequemerweise) Rishis Versprechen vertraut – hätten wir vielleicht noch was halbwegs passables bekommen. Aber jetzt? Da meldet sich Rishi. Er habe ein tolles Hotel für uns gefunden, 25 € die Nacht aber er meint es sei super. Doch als wir im Internet die Bewertungen lesen vergeht uns gleich die gute Laune. Wieder telefonieren wir mit Rishi. Diesmal kommt ihm der grandiose Einfall, wir könnten doch bei seinem Bruder wohnen! Wieso nicht gleich so? Wir sind total beglückt, alle unsere Probleme scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Also telefonieren wir mit Rishis Bruder, der uns jedoch mitteilt, dass er gar keinen Platz für uns habe. Wieder Enttäuschung. Was für ein Auf und Ab! Wir haben auch eine einzige Zusage bei Couchsurfing, auf die wir im Notfall zurückgreifen können. Das Paar wohnt etwa 40 Kilometer außerhalb der Stadt und die Züge in und aus der Stadt sind angeblich die vollsten der Welt, mit 14-16 Personen pro Quadratmeter in der Rush Hour, genau der Zeit in der wir mit dem Zug rein und raus fahren würden… Doch wie es scheint haben wir keine andere Wahl. Wir finden kein vernünftiges Hostel oder Hotel mehr (auch wenn wir mittlerweile bereit sind 20 € die Nacht zu zahlen, aber NICHT auf schimmligen Matratzen voller Bettwanzen!) und so entschließen wir uns zu dem Couchsurfer-Paar in den Nordosten Mumbais zu ziehen, in der Hoffnung dort keine schimmlige Matratze voller Bettwanzen vorzufinden…

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Clocktower im Zentrum der Stadt (leider gehen alle Uhren falsch).

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Bei unserem Süßigkeitenmann.

Der nächste Tag wird ein wenig überschattet von unserer verzweifelten Wohnungssuche in Mumbai. Trotzdem raffen wir uns auf und besichtigen den Stadtpalast, der auch heute noch von der Königsfamilie (König, Königin, zwei Prinzessinnen und ein Prinz) bewohnt wird. Wieder versuchen wir unseren Fotoapparat zu unterschlagen, immerhin kostet der allein 200 INR! Doch gleich beim zweiten Foto fliegen wir auf (“Where is you camera ticket?”) und müssen beschämt eins nachlösen. Die Inder finden’s natürlich lustig.

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Außenfassade des Palasts.

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Aufwändige Verzierungen in den Steinfliesen auf dem Boden…

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…und an den Marmorwänden.

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Buntes Glas in den Fenstern…

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…und ein Garten 30 m über dem Bode.

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Die Gemäuer sind mehrere hundert Jahre alt…

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…und verbreiten eine friedliche Stimmung.

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Mit schönen Blicken auf den See.

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Die Innenarchitektur hingegen wartet mit pompösen Spiegelsälen auf,…

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…futuristischen Räumen,…

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…königlichen Schaukeln…

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…und mit Gemälden ehemaliger Könige.

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Dann aber auch wieder mit aufwändigen Stein- und Glasverzierungen…

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…und altertümlichen Innenhöfen.

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Das Herzstück des Palasts: Ein prunkvoller Innenhof mit drei riesigen Pfau-Mosaiken.

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Zum Abschluss noch die ehemaligen Gemächer der Königin Mutter.

Nach dem Palastbesuch wollen wir noch, wie im Reiseführer empfohlen, im alten Café im britischen Königsstil einen Tee trinken. Wieder müssen wir Eintritt bezahlen und werden dann von den Aufpassern hin und her geschickt. Das Café, wie sich herausstellt, existiert angeblich nicht mehr, ein anderes Café mit Seeblick hat geschlossen, in den königlichen Raum dürfen wir nicht rein, außer wir zahlen 500 INR Eintritt. Wir wollen doch nur einen Tee trinken! Also lässt man uns doch rein, führt uns vorbei am königlichen Kronensaal und in einen kleinen Raum, in dem Stühle mit den Lehnen zur Wand stehen, über ihnen hängen Bilder von barbusigen weißen Frauen. Als uns die Teekarte gereicht wird, fällt uns die Kinnlade runter, ein Tee kostet hier um die 250 INR oder mehr. Das ist ja wohl die reinste Touristenfalle! Wir machen, dass wir wieder raus kommen.

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Ein heimliches Foto vom alten Café können wir uns dann doch nicht verkneifen.

Das war dann wohl mal wieder nix. Aber egal, es gibt auch noch andere Orte in der Stadt, an denen man leckeren Tee und Kaffee trinken kann und einer ist laut Buch das “Whistling Teal”. Wir folgen der Karte und landen unweit des Stadtpalasts in einem wunderbar ruhigen Garten. Wir lassen uns bei Kris und Paul aus Chicago auf gemütlichen Gartenbetten nieder. Hier können wir ein paar Stunden entspannen und auch unseren Kaffee bzw. Tee trinken. Am Nachmittag wollen wir nur kurz beim Augenoptiker Kontaktlinsen und Zubehör kaufen, als ich spaßeshalber mal ein paar der altmodischen Brillengestelle anprobiere, die wir in Indien schon so häufig auf den Nasen alter Omis und Opis gesehen haben. Der Optiker wittert natürlich gleich seine Chancen und kümmert sich aufmerksam um mich. Als ich dann zufällig ein Gestell entdecke, dass mir tatsächlich gefällt, bietet er mir an, es mit Gläsern meiner Stärke zu versehen und es am Abend für mich fertig zu haben. Der Preis: 2.300 INR, etwa 32 €! Also lasse ich meine Augen ausmessen (ich bin natürlich wieder eine viertel Dioptrie blinder geworden) und lasse das Oldschool-Modell bis zum Abend zurück. Bevor wir es wieder abholen, wollen wir erst zu Abend essen.

Das machen wir stilvoll auf der Dachterrasse eines recht guten Hotels, das mit vielen Lichterketten ausgeleuchtet und live Musik von der Sitar und der Trommel eine schicke Atmosphäre verströmt. Auf dem Dach ist es recht windig. Aber der Wind ist warm und neben uns glüht eine große Schüssel Kohlen. Das Essen ist dann, bis auf den Nachtisch, nicht besonders umwerfend.

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Der Ausblick auf das Lake Palast Hotel gleicht das fettige Essen wieder aus.

Die Brille fühlt sich zwar im ersten Moment viel zu stark an, nach 15 Minuten Tragen bin ich aber sicher, dass ich mit ihr viel besser sehen kann als durch die verkratzten, fast vier Jahre alten Gläser meiner aktuellen Brille und schlage daher zu. Ich brauche sowieso ne neue und so günstig komme ich wohl so schnell nicht mehr an eine ran.

Unseren letzten Abend verbringen wir wieder mit unserer weiteren Reiseplanung. Wir buchen Züge von Goa nach Kerala und von Kerala nach Tamil Nadu. Wir buchen Unterkünfte an drei verschiedenen Stellen in Goa, an zwei verschiedenen Orten in Kerala und in einem Ort in Tamil Nadu. Danach wollen wir dann unser endgültiges Indienziel erreichen: Auroville in der Nähe von Puducherry in Tamil Nadu. Aber davon sind wir noch etwa einen Monat entfernt.

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Garten des Whistling Teal.

Unseren letzten Tag in Udaipur verbringen wir wieder schlendernd und Kaffee trinkend im Whistling Teal. Am Abend bereiten wir uns auf eine weitere Übernachtung im Zug vor (Ohrstöpsel und Schlafbrille griffbereit, Zähneputzen und den Schlafanzug zieh ich diesmal drunter) und bestellen uns eine Rikscha zum Bahnhof.

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Abschied von der romantischsten Stadt Indiens.

Hinter uns lassen wir das wahrlich romantische Udaipur zurück. Hier zu bleiben hat sich wirklich gelohnt und wir konnten tatsächlich ein wenig auftanken. Vor uns liegt unsere längste Zugreise in Indien: 22 Stunden von Udaipur über Ahmedabad bis nach Mumbai, die größte, dreckigste, ärmste und gleichzeitig teuerste, reichste und modernste Stadt Indiens.

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